Erwachen

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Er wachte auf.

Das war das erste, was Harry merkte. Er war wach, obwohl er es nicht sein sollte. Er erinnerte sich an das Gespräch mit seinem Vater, das Geschrei, die Absicht des Anderen, ihn weg zu schicken, weit weg. Dessen Meinung, dass er nur ein aufmerksamkeitsgeiler Spinner wäre. Warum? Warum hatte Sirius ihn aufgehalten?! Der Andere wäre doch alle Sorgen mit einem Schlag losgeworden, er hätte ohne ihn sicher schöner weiter machen können! Mit Fenrir! Ohne das psychische Wrack, das er war.

Und er - er hätte endlich seine Ruhe gehabt und vielleicht, vielleicht hätte wenigstens seine Mutter sich gefreut, ihn wieder zu sehen, vielleicht wäre er wenigstens bei ihr willkommen gewesen! Er merkte, wie er erneut zu heulen begann, doch er konnte nicht anders, er hatte nicht die Kraft, dagegen zu kämpfen, er war so müde. Er wollte es nur zu Ende bringen. Allein sein, wenn er schon nirgends wirklich erwünscht war. Nicht bei Tom, nicht bei seinem eigenen Vater.

Tom war erschöpft, doch das war ihm gleich, er hatte seine Hauselfe geschickt und gerade in dem Moment tauchte ein Aufputschtrank von ihm auf, den er herunter kippte. Er merkte, wie sein Körper wieder wacher wurde. Er hatte die gesamte Nacht an seinem Bett gesessen, während Harry sich herum geworfen hatte, wenn er ihn nicht aufgehalten hatte. Sichtlich von Alpträumen geplagt, trotz des Traumlostrankes. Vollkommen fertig mit den Nerven. Er hatte fast die gesamte Nacht in einem alten Buch gelesen, ein Buch über alte Bindungen. Und nur zu gut wusste Tom inzwischen, dass er mit Sicherheit einen guten Teil der Schuld an Harrys Zustand trug. Er hätte den Jungen nie einfach gehen lassen dürfen. Nicht, wo sie die letzten Monate so nah beisammen gewesen waren. Nah genug, um den ersten Schritt zu machen, den Bund so zu besiegeln, wenn man es so sehen wollte. Ihre magischen Auren hatten sich bereits vermischt. Es ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Und wo er, wie Greyback schon festgestellt hatte, durch sein Alter einen Vorteil gehabt hatte, war Harry jung und wusste nicht, was geschah. Sondern hatte einfach nur das Gefühl, von Jemandem, der ihm sehr wichtig war, weggestoßen worden zu sein. Und dann noch Severus' unmögliches Verhalten, dessen Unfähigkeit, die Wahrheit hinzunehmen. Es hatte so kommen müssen und er konnte Sirius nur auf Knien danken, dass der den Verstand besessen hatte, dem Jungen zu folgen, als der an ihm vorbei gerannt war. Sonst wäre er vollkommen durchgetickt. Er hätte sein eigenes Werk, alles, was er bisher schon erreicht hatte, selbst zerstört.

Langsam stellte er die Phiole wieder ab und sah zu Harry, stockte dann aber, als er sah, wie immer mehr Tränen aus den geschlossenen Augen strömten, während dessen wieder bedenklich dürren Finger sich an die Decke klammerten. Er war wach. Nun, es wurde auch Zeit, der Traumlostrank sollte gar nicht so lang wirken, wie er es letztendlich getan hatte. Was ihn fertig machte, war eher, dass er nicht glaubte, dass Harry wegen Schmerzen weinte. Sondern vermutlich weil er enttäuscht war, noch zu leben.

Sanft wischte Tom die Tränen mit seinem Taschentuch beiseite, strich durch Harrys Haare. „Es ist gut", sprach er leise. Er wollte wissen, was Harry zu diesem Wahnsinn getrieben hatte, aber er wusste auch, dass er langsam vorgehen musste und ruhig. „Du bist zu Hause", fuhr er leise fort. Er kraulte Harrys Ohren etwas, aber er war vorsichtig, da eines davon ein großes, schmerzhaft aussehendes Loch gehabt hatte, dass Poppy am Abend erst geschlossen hatte, auch sie mit Tränen in den Augen. So hatte er auch erst erfahren, wie oft Harry von Remus, Sirius und ein paar Mal sogar von Fenrir zu ihr gebracht worden war, weil er angegriffen worden war. Aber nie hatte der Junge gesagt, von wem oder wo er noch Schmerzen habe, er hatte einfach nur da gesessen und ins Leere gesehen.


Ein Traum!

Das war Harrys erster Verdacht, als er die Stimme über sich hörte. So vertraut, so vermisst. Ruhig und sicher. Tief. Die Finger, die seine Ohren kraulten. Wie damals, als er noch den Pantherkörper gehabt hatte, in den er sich so sehr zurückwünschte. Es war, als müsse er nur die Augen aufschlagen und Tom würde wieder da sein, was absoluter Unsinn war. Nein, lieber die Augen geschlossen halten und den Anderen spüren, hören, wie er sagte, dass Harry wieder zu Hause war. Denn sonst hätte der Ältere das sicher nicht gesagt.

Durch die ZeitenWhere stories live. Discover now