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Als Kyungsoo klein gewesen war, hatte er eine wichtige Lektion gelernt. Es gibt Dinge im Leben die verschwinden, aber nicht alle Dinge verschwinden auf die gleiche Art und Weise. Kyungsoos Großvater zum Beispiel war eines Tages ganz plötzlich verschwunden und danach hatte er ihn nie wiedergesehen. Er durfte nicht mehr zu ihm zu Besuch kommen und erhielt von seinem Großvater auch keine großen Geschenke zu Chuseok mehr.
Dann gab es auch noch die Dinge, die verschwanden und wiederkamen. Kyungsoo hatte so etwas schon oft erlebt. Es musste einen Trick geben, um die Sachen zum Zurückkommen zu zwingen. Wenn er ein Spielzeug in seinem Zimmer nicht wiederfand, versuchte er es mit Aufräumen, das klappte meistens. Wenn ein Freund lieber mit anderen Kindern spielte, war er freundlicher zu ihm und teilte sein Mittagessen mit ihm. Auch der kam dann meistens wieder.
Er folgte einem Schema. Die Dinge die verschwanden, waren anders als sein Großvater nicht für immer verschwunden, es musste einen Weg geben sie zurück zu bekommen, der Trick bestand nur darin, herauszufinden was er dafür tun musste.
Auch als Erwachsener hatte dieser Gedanke sich noch immer in Kyungsoos Unterbewusstsein eingenistet. Wenn sich der Tod nicht einmischte gab es immer einen Weg die Dinge oder die Menschen die ihm fern waren zurückzuholen.
Manchmal bemerkte Kyungsoo gar nicht, was er alles dafür tat.



Junyeol trug ein schönes grünes Hemd, dessen Ärmel hochgekrempelt waren, eine dunkle Jeans und teure Schuhe, schwarz und aus Leder. Kyungsoo hatte sich weniger feingemacht, trug jedoch ebenfalls ein Hemd. Er hatte schwarz gewählt.
„Kyungsoo", wieder eine Pause. „-sshi. Du bist pünktlich."
Kyungsoo war immer pünktlich, das gehörte zu seiner Persönlichkeit. „Wenn es dir nichts ausmachst, könnten wir informal miteinander sprechen?"
Junyeol seufzte erleichtert. „Ich bin froh, dass du das sagst, ich fand es auch ein wenig...unpassend nach unserer...Nacht."
Kyungsoo nickte, seine Lippen waren zu einem geraden Strich zusammengepresst.
„Wollen wir reingehen? Es ist mein Lieblings Restaurant."
Kyungsoo schaute auf. Die Eingangstür war komplett verglast und Statuen waren in den Stein neben die Türe gemeißelt. „Es ist ein japanisches Restaurant. Ich kenne den Küchenchef und er kocht großartig." Er legte den Kopf schief. „Isst du gerne japanisch?"
Kyungsoo war immer mal wieder auf Geschäftsreise in Japan gewesen, er war vertraut mit der japanischen Küche und mochte sie. „Ja, du hast guten Geschmack", lobte er. Kyungsoo erkannte, dass die Statuen irgendwelche spirituellen Geister darstellen sollten, er hatte jedoch vergessen, welche es sein könnten.
Obwohl Junyeol am Nachmittag erst reserviert hatte, führte die Bedienung sie an einen schönen Platz etwas abseits, neben einer langen Glaswand, die zur Terrasse, sprich dem Garten zeigte.
„Man kann sich ein wenig die Beine im Innenhof vertreten und eine Rauchen wenn man möchte", erklärte Junyeol, der Kyungsoos Blick gefolgt war. „Der Garten ist typisch japanisch gehalten mit einem kleinen Teich mit weiß-roten Doltsu, die ihre Runden drehen, Steinwegen und reichlich Pflanzen wie Bambussträucher, Kirschlorbeer, Glanzmispel und Koniferen. Es ist klein aber fein."
„Du kennst dich ziemlich gut aus", stellte er erstaunt fest. Die Bedienung brachte ihnen Karten und sie bedankten sich.
„Ich habe mich für eine Weile damit beschäftigt." Junyeol war wieder rot geworden. Er wurde schnell schüchtern und verlegen. Kyungsoo hielt ihn für einen aufrichtigen, zuverlässigen und freundlichen Mann. Er passte gut zu ‚Implicit'.
„Wieso?"
„Ich habe mir meinen eigenen kleinen japanischen Garten vor die Haustüre gelegt." Daran konnte sich Kyungsoo nicht erinnern, bis auf das Schlafzimmer und den Flur hatte er bei seinem letzten Besuch nicht viel von Junyeol's Wohnung gesehen. „Ich hatte keine Zeit dich herumzuführen", setzte Junyeol fort, als hätte er Kyungsoos Gedanken gelesen. „Du bist gegangen ohne dich zu verabschieden."
Großartig. „Ich wusste nicht, wie du reagieren würdest - ob du Schuldgefühle hättest, deshalb bin ich gegangen." Es war zumindest die halbe Wahrheit.
„Du hast so etwas nicht zum ersten Mal getan, nehme ich an."
Es war keine Frage, also gab Kyungsoo auch keine Antwort. „Was fasziniert dich an japanischen Gärten?"
Junyeol ließ sich auf den Themenwechsel ein. „Von außen betrachtet ist ein Japanischer Garten eine Nachahmung der Natur, dessen Elemente Felsen, Wasser, Gehölze und Moos die natürlichen Strukturen der Inseln Japans wiedergeben. Es ist ein Ort zum Entspannen und Abschalten, der einen zum Nachdenken anregt oder seine Alltagssorgen vergessen lässt und die gestalterische Schönheit gibt einem das Gefühl von innerem Frieden – ist doch schön so einen Ort vor seinem Haus zu wissen. Was tust du um deine Alltagssorgen zu vergessen?"
„Arbeiten", antwortete Kyungsoo ohne großartig darüber nachzudenken. „Und Bilderbetrachten." Yixing's Bilder zum Beispiel hatten schon immer eine beruhigende Wirkung auf ihn gehabt. ‚Sex', dachte Kyungsoo, ohne es auszusprechen.
„Du bist wirklich interessant Kyungsoo", er lehnte sich nach vorne. Kyungsoo wusste nicht genau wann, aber irgendwann im Verlaufe ihres Gesprächs hatte Junyeol die obersten zwei Knöpfe seines Hemds aufgetan.
Die Bedienung kam und Kyungsoo bemerkte, dass er noch gar nicht in die Karte gesehen hatte. „Ist es in Ordnung, wenn ich für uns bestelle?", fragte Junyeol mit einem warmen Lächeln. Kyungsoo erklärte sich einverstanden.
Junyeol bestellte irgendein Menü, von dem Kyungsoo nicht wusste, was serviert werden würde, eine Kanne Rosenblütentee und warmen Sake.
„Du trinkst doch Alkohol oder Kyungsoo?"
„In Maßen", antwortete er bescheiden. Die Bedienung verbeugte sich, sie trug zwar keinen Kimono, sondern eine schwarze Jeans und ein weißes Hemd, aber sie hatte eine traditionelle Haarspange im Haar, die ihren Dutt zusammenhielt.
„Du schaust tatsächlich Frauen hinterher, während ich mit dir am Tisch sitze?", fragte Junyeol belustigt, seine Ohren verrieten jedoch, dass er sich alle Mühe gab locker und souverän zu wirken.
„Ist das ein Problem?", stichelte Kyungsoo, worauf Junyeol ernst nickte.
„Das wäre es."
„Wie läuft es mit den Vorbereitungen für Jongdae's Debut von eurer Seite aus?"
„Gut", antwortete er automatisch. „Wir wollen vor allem schaffen, dass viele wichtige Leute kommen, das würde uns noch mehr Interesse verschaffen."
„Was ist mit Kim Minseok?"
„Wir werden ihm natürlich eine Einladung zukommen lassen, wenn das Datum feststeht. Ich persönlich bezweifle jedoch, dass er kommen wird. Er lässt sich so gut wie nie zu öffentlichen Ereignissen wie diesen blicken."
Irgendetwas in Kyungsoo sagte ihm er würde kommen. Kim Minseoks Interesse musste von ähnlicher Natur sein, wie das das Kyungsoo empfunden hatte, nachdem er Jongdae's erstes Gemälde gesehen hatte.
„Was ist mit Kim Sunggyu?"
Junyeol sah ihn überrascht an. „Der Galerist Kim Sunggyu?"
Kyungsoo nickte. „Werdet ihr ihm auch schreiben?"
Junyeol schüttelte langsam den Kopf. „Soweit ich weiß befindet sich Kim Sunggyu gar nicht in Südkorea. Er kümmert sich um seine Galerien in Europa."
Kim Sunggyu war der erfolgreichste Galerist in ganz Südkorea, sein Name war jedem Künstler und Kunsthistoriker ein Begriff. Er hatte mehrere Galerien in Südkorea und hatte schließlich nach Europa und Nordamerika expandiert. Sein Auftauchen wäre ein großer Schritt für Jongdae's Karriere.
„Kannst du es versuchen? Ihn zu erreichen meine ich."
„Das ist ziemlich viel verlangt, denkst du nicht? Er würde extra von weiß Gott woher herfliegen müssen um einen Debutanten zu sehen."
Kyungsoo legte seine Hand über Junyeol's. „Versuch es, bitte."
Der Mann atmete tief ein und aus, dann ließ er die Schultern sinken. „Du bist ziemlich manipulativ, weißt du das?"
Kyungsoo wusste es, ja. Es war nicht das erste Mal, dass er sich mittels Kontakte, den ein oder anderen Weg freiräumte. „Ist das etwas Schlechtes?"
„Es ist gefährlich", seufzte Junyeol, dann versprach er, sich mit Kim Sunggyu in Kontakt zu setzen. „Können wir jetzt nicht mehr über die Arbeit sprechen? Ich fühle mich wie bei einem Geschäftsessen."
Kyungsoo lehnte sich über den Tisch und küsste Junyeol auf den Mund. Seine Zunge strich dabei kurz seine Unterlippe entlang. „Ich wollte dir nur zeigen, dass das kein Geschäftsessen ist."
Junyeol konnte ein Dankeschön nur mit Mühe herausstottern, als die freundliche Bedienung einen Moment später mit ihrer Bestellung an ihren Tisch kam.

Blüten so kalt wie SchneeWhere stories live. Discover now