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Eine Idee hatte sich in Kyungsoos Kopf eingepflanzt und verbreitete sich unaufhörlich weiter, wie die Samen von Pusteblumen, die der Wind in alle Richtungen streute. Jongdae war der Begründer einer völlig neuen Kunstepoche. Er war der Vorreiter von etwas Neuem, etwas Großem mit dem niemand gerechnet hatte. Er würde die gesamte Kunstgeschichte verändern, wie es Jan van Eyk mit der Verwendung von Ölfarbe getan hatte, oder Claude Monet als er das Licht und die Farbe über die Präzision seines Motivs gestellt hatte. Jongdae war besonders.

Kyungsoo hatte eine Idee, aber er hatte noch keine Bestätigung, dass diese auch richtig war und nicht seiner eigenen Voreingenommenheit, was Jongdae betraf, entsprungen war. Er zog Junmyeon und Baekhyun, am Tag nachdem Jongin und er ‚Implicit' besucht hatten, zu Rate und fand sich prompt sehr kritischen Gesichtern gegenüber.

Er erzählte Yixing am Telefon davon und erhielt auch von ihm nur knisterndes Schweigen zurück. ‚Ich weiß nicht, Soo...Ich meine, wenn du diese Dinge in seinen Gemälden gesehen hast, dann vertraue ich darauf, dass etwas Wahres dran sein muss, aber....es klingt doch ein bisschen weit hergeholt...denkst du nicht auch?'

Kyungsoo erzählte sogar Luhan davon, einfach weil er darüber reden musste und weil Luhan gerade bei ihm war, als Kyungsoo zum zwanzigsten Mal an dem Text handwerkelte, der dem großen Kunstkritiker, Kim Minseok, genau wiedergeben sollte, was Kyungsoo mit seiner Theorie meinte.

Luhan küsste nur seinen Nacken entlang und legte sich dann wie ein Seestern auf sein Bett und stierte mit einem kleinen Lächeln an die Decke, während er Kyungsoo zu hörte und ab und an einen Kommentar einwarf. („Wie wer?" – „Jan van Eyck." – „Und was hat er getan?" – „Er hat um etwa 1420 angefangen, mit Ölfarben zu malen und konnte dadurch Realitätsnähere Werke erstellen." - „Wegen Öl?" – „Jap. Hast du jemals ein Gemälde des Mittelalters mit einem von der Renaissance verglichen? Ölfarben haben die gesamte Malerei verändert." – Klingt wie ein flotter Typ." – Kyungsoo lachte.)

Bislang hatte seine Begeisterung noch niemand so recht teilen können. Alle bis auf Jongin.

Jongin schien sofort verstanden zu haben wovon Kyungsoo gesprochen und was er gemeint hatte, als er ihm in ‚Implicit' davon erzählte. Vielleicht weil gerade er Jongdae besser kannte, als jeder andere Mensch. Vielleicht weil er es war, den Jongdae seit so vielen Jahren schon wieder und wieder auf die Leinwand brachte. (Vielleicht verstand Kyungsoo Jongdaes unheimliches Talent auch erst jetzt, weil auch er das Gefühl kannte, von Jongdaes Blick berührt zu werden).

Niemand außer Kim Jongin konnte das sehen, was Kyungsoo in Jongdae sah. Er hoffte inständig, dass Kim Minseok es ebenfalls tun würde.

Kyungsoo war wie unter Strom, während seine Idee in ihm wuchs und gedieh und sich beständig weiter ausbreitete.

Die letzte Person, die er in Kenntnis setzen musste war nur noch Jongdae selbst.

Das Atelier war hellerleuchtet als Kyungsoo am Freitagabend die Türe aufschloss und sich selbst hereinließ. Er hatte Jongdae Bescheid gegeben, dass er heute kommen würde, aber während Kyungsoo sich die Schuhe und seine dünne Jacke abstreifte, schien das Atelier still dazuliegen. Jongdae grüßte nicht – so wie er es sonst tat und Kyungsoo konnte auch nicht das Rascheln der Folie hören, die er immer unter seiner Staffelei ausbreitete und die leise knisterte, wenn er das Gewicht verlagerte oder einen Schritt zurücktrat um sein Werk zu begutachten.

„Hallo?" Kyungsoo ging tiefer in die Wohnung hinein, erhielt jedoch keine Antwort. „Jongdae, bist du da?" Die Deckenlichter des Flurs strahlten auf ihn hinunter und auch das Atelier selbst war hellerleuchtet. Der Türgriff war voller Farbflecke, weil sich das einfach nicht vermeiden ließ. Kyungsoo drückte die Tür etwas weiter auf und hätte dann vor Schreck beinahe seine Laptoptasche fallengelassen.

Blüten so kalt wie SchneeWhere stories live. Discover now