Kapitel 16

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Am nächsten Morgen muss ich mich auch leider schon von Lynk wieder verabschieden, viel zu schnell nach meinem Geschmack. Am liebsten hätte ich ihn noch mindestens eine Woche hierbehalten.
„Pass auf dich auf", flüstert mein Bruder mir zu, als er mich ein letztes Mal in seine Arme schließt.
„Mach ich doch immer." Mit einem traurigen Lächeln dreht er sich um und lässt das Schloss hinter sich.
Anschließend begebe ich mich in die Küche um mit Morgan zu frühstücken. Ich musste ihr versprechen, dass ich ihr sofort am nächsten Morgen erzähle, wie der Ball war. Das wird lustig, denke ich mit gespielter Vorfreude.

Wie immer sitzen wir auf unserem Stammtisch, diesmal sind wir jedoch die einzigen, die diesen Tisch belegen. Die anderen essen vermutlich in deren Zimmer.
Sobald wir uns beide unser Frühstück geholt hatten und uns hinsetzten, fängt das Verhör auch schon an.
„Und? Erzähl, wie wars?", fragt sie gespannt.
„Gut", erwidere ich. Mit meinen Augen fixiere ich nervös meinen Teller.
„Nur 'gut'? Komm schon, die ganze Nacht freue ich mich auf deine Erzählung und du sagst nur gut."
Ich hole einmal tief Luft und seufze laut. Was soll's, vor ihr kann ich sowieso nichts verheimlichen.

„Valaia hat Lynk eingeladen, also das war toll. Danach haben wir uns halt die ganze Zeit unterhalten und getanzt."
„Kalia. Ich merke, dass dich irgendetwas bedrückt, also wieso erzählst du es mir nicht gleich und erspart mir dich danach ausquetschen zu müssen", sagt sie etwas flehend.
„Ja, ich weiß." Ich hole tief Luft und bereite mich auf den nächsten Teil vor. „Naja, gestern wollte ich gerade ein Glas Wein holen, konnte aber keinen Kellner finden. Also bin ich eben einige Stufen hinaufgestiegen um besser sehen zu können. Und dann habe ich etwas gesehen."
„Was hast du gesehen?", fragt sie ungeduldig nachdem ich nichts mehr sage.
„Rohan und seine Verlobte."
„Ja und? Wir haben sie doch schon öfters gesehen?"
Abermals atme ich tief ein.
„Sie haben sich geküsst."
Das bringt sie zum Schweigen. Wir haben seine Verlobte zwar schon oft gesehen, aber noch nie sind sie in der Öffentlichkeit in irgendeiner Art und Weise intim geworden. Nicht einmal Händchenhalten.
Sie küssen zu sehen, war ein kleiner Schock.

Danach erzähle ich ihr noch von meiner Flucht und wem ich dort begegnet bin. Das Gespräch der Königin findet sie besonders faszinierend, schlau wird sie daraus aber auch nicht, somit können wir beide nur Vermutungen aufstellen.

           

Schließlich komme ich zu Rohans Geständnis. Als ich ihr davon erzähle, springt sie vor Freude von ihrem Stuhl auf, wobei sie alle Blicke auf sich zieht. „Er mag dich also doch und nicht diese zickige Göre", flüstert sie erfreut, als sie sich wieder auf ihren Stuhl niederlässt.
„Das ändert nichts daran, dass er verlobt ist."
„Doch das ändert alles", behauptet sie. Darauf rolle ich meine Augen. „Solange er verlobt ist, werde ich nichts mit ihm anfangen", erläutere ich ernst.
„Damit sagst du aber, sobald er nicht mehr verlobt ist, steht euch nichts mehr im Weg."
Achselzuckend stimme ich ihr zu.

Auf dem Weg zurück zu unseren Zimmern sind wir beide mit unseren Gedanken beschäftigt. Blitzartig hebt Morgan ihren Kopf und blickt mich aufgeregt an. „Ich habe eine Idee. Was wenn du die Königin mal absichtlich ausspionierst?"
Was? Ich soll mich mutwillig in ihre Nähe begeben? „Bist du verrückt?! Das kann ich doch nicht machen", flüstere ich aufgebracht.
„Wieso nicht? Sie kann dich nicht sehen und du könntest diesmal ein ganzes Gespräch hören und nicht nur Bruchstücke."
„Ich weiß ja nicht", gestehe ich zögerlich, „es wäre schon praktisch etwas mehr zu erfahren."
„Komm schon, folge ihr heute einfach ein wenig herum und mit etwas Glück erwischt du sie in einem privaten Gespräch. Es wäre perfekt."
„Na gut" stimme ich schließlich zu.

Einigen Stunden später ist es so weit. Nach dem Mittagessen habe ich Freizeit, also begebe ich mich auf die Suche nach der Königin. Unsichtbar irre ich ziellos im Schloss umher, mit der Hoffnung zufällig auf die Königin zu treffen.
Das Glück ist anscheinend auf meiner Seite, denn schon nach wenigen Minuten erkenne ich ihre entfernte Stimme. Vorsichtig folge ich ihrer unverwechselbarer Stimme und siehe da, als ich um die Ecke biege, schreitet sie elegant in meine Richtung. Ich drücke mich fest an die Wand um ja nicht entdeckt zu werden. Sobald sie einige Meter entfernt ist, schleiche ich ihr mit leisen Schritten hinterher.

Etwas später landen wir vor ihrem Gemach, wo sie vor ihren Wachen stehen bleibt. „Ist Sir Peltic schon eingetroffen?", richtet sie an einen der Wachen. „Ja, eure Hoheit", antwortet er mit monotoner Stimme ohne seinen Blick auf sie zu richten. Die Königin nickt ihm einmal zu und sofort öffnet er sie schwere Tür vor ihr. Ich eile ihr hinterher um rechtzeitig durch die Tür schlüpfen zu können.
Was mache ich hier bloß, ich sollte wieder umdrehen. Doch bevor ich den Gedanken in die Tat umsetzten kann, fällt die Tür hinter mir ins Schloss. Nun bin ich hier gefangen bis jemand wieder diese Tür öffnet. Ganz toll. Wieso höre ich bloß auf Morgan. Ich weiß nicht einmal wie lange ich in der Lage bin unsichtbar zu bleiben. Was wenn ich mich vor ihnen wieder materialisiere? Während ich mir selbst Vorwürfe mache, schleiche ich in eine dunkle Ecke um mich außer Gefahr zu bringen.

Sobald die Königin die Sitzgruppe erreicht, erhebt sich der Mann, wahrscheinlich Sir Peltic, von dem Sofa und verbeugt sich tief vor der Königin. So ein Schleimer. Sie bittet ihn zu sitzen und lässt sich anmutig auf ein anderes Sofa fallen. Ihre zierlichen Hände faltet sie dabei elegant auf ihrem Schoß.
„Nun denn, gibt es Neuigkeiten, von denen ich wissen sollte?", fragt die Königin den schmächtigen Mann vor ihr.
„Nein, eure Hoheit. Alles verläuft wie geplant und bis jetzt gab es noch keine Komplikationen."
„Das sind zur Abwechslung mal gute Neuigkeiten. Wie steht es um das restliche Budget für das Waisenhaus?"
Ein Waisenhaus? Bin ich jetzt ernsthaft hier eingesperrt und muss mir ein Gespräch über ein Waisenhaus anhören. Wie unnötig.

Einige Zeit später reden sie immer noch über, für mich, uninteressante Themen. Bis jetzt haben sie fröhlich über ein neues Waisenhaus, eine neue Schule, neue Lehrer für Paaralan und eine erfolgreiche Spendenaktion geplaudert. Wenn man die Königin nicht kennen würde, könnte man glatt glauben sie wäre eine Heilige.
Jedes Mal, wenn ich sie zufällig belausche, redet sie über die seltsamsten Sachen und wenn ich sie mal absichtlich ausspioniere, ist sie eine hervorragende Königin. Schon langsam ermüde ich von dem ganzen uninteressanten Geschwätz. Am liebsten würde ich mich hinsetzten, aber das ist mir doch etwas zu riskant.
Stattdessen lehne ich mich an den kleinen Tisch neben mir, was ich lieber nicht tun hätte sollen. Denn scheinbar ist der Tisch nicht dazu gebaut worden um etwas mehr Gewicht auszuhalten.

Sobald ich mich gänzlich daran gelehnt habe, knackst er nämlich etwas. Als wäre das nicht schon schlimm genug, bricht der kleine Tisch unter meinem Gewicht ein. Sofort kehrt Stille ein. Der kleine Mann und die Königin drehen sich beide ruckartig zu meiner Ecke, wo nun der Tisch in einem Haufen liegt. Panisch entferne ich mich langsam aus der Ecke, doch weit komme ich nicht. Die Königin runzelt ihre makellose Stirn und mustert den Tisch und anschließend die Umgebung äußerst genau.
„Eigenartig", murmelt sie vor sich hin. Langsam richtet sie sich auf und nähert sich meiner Ecke.
„Vielleicht ist der Tisch lediglich alt?", fragt Sir Peltic ahnungslos.
„Nein, das ist nicht der Grund", kontert sie wissend.
Schieße! Das war's nun mit meinem Leben. Ich bin offiziell tot. Wieso habe ich bloß auf Morgan gehört.
Lautlos versuche ich mich noch weiter aus dem Eck zu schleichen, doch der eine Weg wird durch ein Sofa abgesperrt und von der anderen Seite kommt die Königin immer näher.

Vorsichtig tastet sich die Königin voran. Als sie nun immer näherkommt, sinke ich auf den Boden und ziehe meine Beine an mich heran, in der Hoffnung sie würde mich nicht finden, wenn ich mich klein mache.

Mit ausgebreiteten Armen kommt sie auf mich zu. Eine Hand lässt sie über die glatte Wand laufen während die andere das weiche Sofa berührt. Es gibt keinen Ausweg für mich, also bleibt mir nichts übrig als zu hoffen. Als sie nur mehr einen halben Meter von mir entfernt ist, verharrt sie. „Eigenartig", murmelt sie nochmal. Erleichtert atme ich sanft auf. Sie tastet mit ihren Händen noch die Wand oberhalb von mir ab. Abermals hält sie inne. Langsam zieht sie ihre Amre wieder zu ihr, doch sie dreht sich nicht, wie erwartet, um, sondern senkt ihren Kopf. Genau auf mich. Als könnte sie mich, trotz der Unsichtbarkeit, sehen.
„Du kannst dich nicht verstecken. Ich weiß, dass du da bist. Zeig dich!" Sofort rast mein Herz. Vor Angst fängt mein Körper an zu zittern.
„Keine Angst", faucht sie mit giftigem Ton. Langsam streckt sie ihre Hand zu mir aus. „Ich werde dir nichts tun." Innerlich schnaube ich misstrauisch. Wer's glaubt.

Quälend langsam nähert sich ihre knochige Hand. Schließlich erreicht sie meinen eingerollten Körper. Ihre Finger berühren meinen Kopf. Triumphierend lächelt die Königin. „Zeig dich", befiehlt sie mir.

Auf frischer Tat ertappt. Nun gibt es kein Zurück mehr. Das bekannte Kribbeln kehrt in meine Füße zurück. Sobald ich gänzlich sichtbar bin, zieht sie Königin ungläubig Luft zwischen ihre Zähne. „Kalia." Ihre Stimme trieft nur so von Feindseligkeit. Wütend packt sie mich am Kragen und zieht mich nach oben.

„Wart's nur ab. Du wirst dir wünschen nie hier her gekommen zu sein."

The Queen of SecretsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt