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Vorsichtig streiche ich mir über die Lippe. Ich weiß es war nur eine Erinnerung, dennoch kommt es mir so vor als würde ich immer noch seine zuckersüßen, nach Erdbeere schmeckenden und blutroten Lippen auf meinen spüren, als würde ich immer noch das unbeschreibliche Kribbeln in meinem Bauch, mein schnellschlagendes Herz gegen meine Brust hämmern spüren und in den intensiven Gefühlen versinken. Seine Lippen fühlten sich so wundervoll an, dass ich es mit Worten nicht beschreiben kann. Meine Wangen färben sich von alleine rosarot wenn ich an dieses Gefühl zurück denke, doch die Gegenwart sieht nunmal anders aus.


Wie erstarrt starre ich auf den weißen Briefumschlag vor mir der auf den Tisch liegt, wie als würde er mich rufen. Hobi meinte das es in Ordnung sei wenn ich ihn mitnehme, schließlich ist es mein Brief den ich an Jimin schrieb, doch meine Angst steigt immer mehr bei den Gedanken was sich in diesen winzigen Umschlag befindet. Wie erstarrt blicke ich seit Minuten auf diesen Umschlag, unfähig mich zu bewegen. Ich wünsche mir Taehyung wäre hier und würde mir Unterstützung leisten, doch ich habe ihn gehen gelassen. Wie egoistisch es auch klingt, ich will das er hier ist und ich will seine Lippen erneut auf meinen spüren, doch ich kann ihm das im Moment einfach nicht antun. Ich vermisse ihn.

Doch ich kann ihn nicht sehen, nicht wenn ich nicht den Grund für seine Angst auf mich kenne, doch den muss ich alleine herausfinden. Ich nehme den Brief nun in meine zittrige Hand und schaue ihn so an, als könnte er mir eine Antwort geben, doch er kann es nicht. Ein unangenehmer Kloß bildet sich in meinem Hals und mein Magen fühlt sich komisch und unwohl an. Ich atme tief durch und öffne langsam den Umschlag, dann den zusammengefalteten Brief. Die Schrift ist beinahe unleserlich und klein, doch ich spüre das es meine Schrift ist. Manche Stellen sind verwischt, wie als wären Tränen darauf gefallen. Vorsichtig streiche über die raue Seite des Briefes, bevor ich beginne ihn leise vor mich hin zu lesen.

Lieber Jimin, Lieber Taehyung,


Um ehrlich zu sein weiß ich garnicht bei wem ich mich zuerst entschuldigen soll, denn ich weiß das eine Entschuldigung in einem Brief nicht das entschädigt was ich angerichtet habe. Ich muss mich bei so vielen Menschen entschuldigen, bei Hobi, bei Yoongi, einfach bei allen aber ich dachte ich fange bei euch beiden an, auch wenn Jimin diese Nachricht niemals lesen wird, hoffe ich das du es tust, wenn du wieder sein Grab besuchst.

Ich weiß nicht wie ich am Besten anfangen soll, aber ich sollte dir den Grund für mein Verschwinden erklären, auch wenn es dir dadurch nicht besser gehen wird. Ich konnte nicht bei dir sein, nicht länger, nicht weil ich dich nicht geliebt habe oder nie getan habe, denn alles was ich sagte war wahr. Ich habe dich verlassen weil ich Angst hatte, Angst davor dir wieder in die Augen zu sehen, denn ich weiß das wenn ich dir sage das ich der Grund für Jimin's tot bin, du mich verabscheuen wirst. Ich konnte es nicht länger.

Ich bin nichts weiter als ein Monster, gefangen in einer Einsamkeit und umhüllt von Leere. Das hier ist ein Abschiedsbrief und gleichzeitig eine Entschuldigung. Ich weiß ich kann deine Antwort nicht mehr hören, aber ich möchte das du mir wenigstens verzeihst für das was ich in deiner Welt angerichtet habe. Ich wollte dich nie verlassen. Ich hätte ihn aufhalten können Taehyung, verstehst du?

Und Jimin, du sagtest jedesmal das ich lachen soll, fröhlich sein soll, egal wie schwach du bist, doch wie soll ich Lächeln wenn ich weiß wie sehr ich Tae verletzt habe, wie sehr ich dich enttäuscht habe? Ich wünschte du könntest mir eine Antwort geben und mir helfen, denn es liegen so viele Fragen in der Luft die du nicht beantworten kannst und es tut mir verdammt nochmal leid. Taehyung, bitte gib dir nicht die Schuld für alles, versprich es mir, lache weiterhin, sei weiterhin fröhlich denn ich bin es nicht wert zu leiden.

Du sagtest immer du liebst mich und kannst ohne mich nicht weiter Leben und verdammt wenn ich an diese Worte zurück denke dann schmerzt mein Herz und ich möchte bei dir sein. Ich will dich sehen, dich küssen, dich in meine Arme nehmen, aber womit habe ich das verdient? Womit? Bitte Taehyung, versuche mich zu vergessen und lache wieder so wie du es immer mit mir getan hast denn ich weiß das du weinst.

Taehyung ich werde-





Meine Hände zittern unaufhaltsam während ich die Zeilen immer und immer wieder durchlese, doch die letzte halbe Seite ist abgerissen. Ich bin schuld an Jimin's tot? Immer wieder stauen sich mehr und mehr fragen in meinen Kopf auf, die drohen zu platzen. Was habe ich getan? Kopfschüttelnd versuche ich zu verstehen und zu verarbeiten was dort niedergeschrieben ist, doch ich verstehe es nicht. Ich will antworten, auf meine Fragen. Ich will zu Taehyung.

Ich habe Jimin umgebracht? Niemals. Das kann nicht wahr sein. Wie konnte Taehyung mit mir reden, so als wäre alles normal? Wieso habe ich nicht früher nachgedacht, was ich Tae angetan habe? Ungläubig lege ich den Brief wieder auf den Tisch. Wenn ich die einzelnen Scherben betrachte ergeben sie immer mehr und mehr Sinn, trotzdem komme ich nicht weiter. Mein Kopf dröhnt plötzlich wieder wie verrückt und ich kneife mir meine Augen zusammen. Angst überströmt mich und für einen kurzen Bruchteil, erkenne ich wieder das schnellfahrende Auto, das mich ins Koma gebracht hat. Ich war in dem Auto, ich war am Steuer, war es kein Unfall?

War das ein Selbstmordversuch? Niemals.

Plötzlich weiten sich meine Augen reflexartig. Taehyung! Ich muss zu ihm, jetzt. Warum habe ich nicht darüber nachgedacht, dass ihm etwas passiert sein könnte? Das er mit diesem Stress alleine umgeht? Was ist wenn er sich sogar etwas angetan hat? Ich schrieb das mir Taehyung verzeihen soll, aber wie soll er mir verzeihen, wenn ich mir nichtmal selber verzeihen kann? Ich humple beinahe unaufhaltsam von der Couch weg, in meiner Hand der Brief.


Bitte Taehyung, sag mir das alles in Ordnung ist.


-


Die Graffiti besprühten Wände und der eklige Gestank von Müll und weggeworfenen Zigaretten kommt mir entgegen. Der Ort sieht immer noch genau so aus wie in meinen Erinnerungen und auch wenn ich mich bei der Sache unwohl fühle, muss ich ihn sehen. Nur um zu wissen ob es ihm gut geht, denn ich weiß das ich mir nicht verzeihen kann. Ich lege meine Krücken auf den kalten Boden und lasse meine Hände an dem eiskalten Metall ruhen.

Unsicher zittern meine Hände, während ich vorsichtig einen Fuß ansetze und mich an der Leiter abstütze und anfange zu klettern. Die Leiter wirkt anders wie in meinen Erinnerungen, viel rostiger und wackliger, so als wäre schon ewig niemand hier gewesen. Angst überkommt mich und nervös schlucke ich runter.


‚Jetzt komm schon, oder hast du etwa Angst?'


Ich weiß das Taehyung's Stimme in meinem Kopf fehl am Platz ist, doch aus irgendeinem Grund gibt sie mir ein klitzekleines bisschen Mut das ich tatsächlich ohne es selber zu bemerke, weiter klettere bis ich am kleinen Fenster angekommen bin, doch was ich dort sehe ist nicht das kleine Sofa, der Tisch auf dem Taehyung seinen Kaffee abgestellt hatte und die farbenfrohen Lichterketten und Taehyung den ich gehofft hatte hier anzutreten.


Nein. Der Raum ist komplett leer.

White Snow // Taekook Where stories live. Discover now