Tag 12 // Tag 11

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Tag 12

Obwohl heute Dienstag war, musste ich nicht ins Hospiz. Ich konnte ganz entspannt zuhause frühstücken und meinem Dad dabei zusehen, wie er mürrisch die Zeitung las.

Ich lächelte, als er die Zeitung mit einem Schnauben schloss und sein Toast in die Hand nahm. Ich selber aß mein Brot und versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Mum summte in der Küche vor sich hin, während eine neue Runde Kaffee durch die Maschine lief.

Plötzlich klingelte es an der Tür. Dad und ich hoben gleichzeitig den Kopf und sahen uns an.

»Erwartest du jemanden?«, fragte Dad mich und ich schüttelte den Kopf. Trotzdem erhob ich mich und lief zur Tür. Als ich sie öffnete, grinste mir Nathalie entgegen.

»Nat?«, stieß ich verblüfft hervor. »Was machst du denn hier?« Dann sah ich auf die kleine Uhr, die auf einer Kommode in unserem Hausflur stand. »Vor allem um die Zeit.« Nat lächelte nur verwegen.

»Ich habe in einer halben Stunde einen Termin bei einem Tätowierer. Und ich will, dass du mich begleitest«, erklärte sie. Stumm starrte ich sie an.

»Was?«, sagte ich völlig verwirrt. Nathalie schob mich einfach zur Seite und marschierte in unser Haus.

»Guten Morgen, Mr Gray!«, trällerte sie und lief an meinem Dad vorbei zur Küche. »Guten Morgen, Mrs Gray!«

»Nathalie«, begrüßte Mum sie, nicht weniger verwundert als ich gerade noch an der Haustür. »Was machst du denn hier?«

»Ich würde mit Jo gern in die Stadt, wenn es okay ist?«, meinte sie und setzte ihren besten Hundeblick auf. Mum blickte kurz zu mir, als ich zu den beiden trat und nickte dann.

»Klar doch, macht euch einen schönen Tag, ihr zwei!«, sagte sie und wandte sich mit einem liebevollen Lächeln wieder ihrer Küchentheke zu. Leise summte sie wieder vor sich hin.

»Spitze!«, triumphierte Nat und wandte sich zu mir um. »Du solltest dir besser noch was anderes anziehen.« Ich sah an mir herunter und bemerkte, dass ich noch meine Pyjamahose mit kleinen Kakteen trug.

»Wieso?«, fragte ich grinsend. »Schämst du dich etwa für mich?« Nathalies Blick wurde schelmisch. Sie packte mich am Ellenbogen und schob mich voran zur Treppe. »Niemals, Jo. Aber da, wo wir hingehen, wäre diese Hose nicht gerade hilfreich. Ich bin zwar volljährig, aber wenn du das als meine Begleiterin anhast, fragen sie mich wahrscheinlich nicht einmal nach einem Ausweis, sondern befördern uns beide in hohem Bogen wieder hinaus.«

»Ich war noch nie bei einem Tätowierer«, gestand ich flüsternd. Meine Eltern mussten nicht unbedingt mitbekommen, wohin wir beide unterwegs waren.

»Zieh dich einfach so an, als würden wir auf dein liebstes Rockkonzert gehen«, riet mir Nat und schubste mich die Treppe hoch.

In meinem Zimmer angekommen entschied ich mich für ein Bandshirt und wählte meine schwarze Lieblingshose dazu aus. Dann polterte ich die Treppe wieder hinunter und blieb vor Nathalie stehen.

»Wir können«, sagte ich und Nathalie, die gerade noch prüfend mein Outfit betrachtet hatte, nickte. Sie wirbelte herum und rauschte aus dem Haus, genauso plötzlich, wie sie aufgetaucht war.

Als ich mich neben ihr auf dem Beifahrersitz niederließ und sie den Motor startete, drehte ich mich leicht zu ihr um.

»Willst du mir vielleicht noch ein paar mehr Infos geben?« Nathalie fädelte sich in den Verkehr und boxte dann mit ihrer rechten Faust gegen das Radio, was darauf hin rauschend ansprang.

»Wie ich schon sagte, fahren wir jetzt zu einem Tätowierer, bei dem ich mich tätowieren lasse.«

»Wieso heute?«, fragte ich weiter. Nathalie setzte den Blinker und bog ab.

The Bucket ListWo Geschichten leben. Entdecke jetzt