Tag 9 // Tag 7

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Tag 9

Es gab schon immer Tage, an denen ich erst um zwölf das Bett verlassen konnte. Selbst als ich noch gesund war. An solchen Tagen hatte ich mir nicht erst die Mühe gemacht, mein Pyjama zu wechseln, und bin den ganzen Tag ohne BH, ungeschminkt und mit fettigen Haaren durch mein Zimmer getanzt, hatte ungesundes Zeug gegessen und mich entweder völlig in einer herzzerreißenden Geschichte verloren oder eine ganze Staffel meiner aktuellen Lieblingsserie geschaut. Am besten waren solche Tage, wenn ich abends dann duschen konnte und mich dann geschminkt hatte, um auszugehen.

Heute war wieder so ein Tag. Ich aß zwar kein ungesundes Essen und ich las auch nicht oder sah fern, aber ich schrieb die letzten Tage nieder und war so in meiner Literatur gefangen, dass ich nicht merkte, wie die Stunden verstrichen. Ich liebte das. So zu schreiben war wie Magie. Nebenbei hörte ich eine Playlist auf Spotify und wenn mir ein Lied besonders gut gefiel, schwang ich meine Arme durch die Luft, um im Sitzen zu tanzen. Und nur wenn mir das Lied besser als besonders gut gefiel, stand ich auch auf, um so richtig abgedreht durch mein Zimmer zu hüpfen.

Abends stieg ich dann laut singend unter die Dusche, gönnte mir eine Haarkur und ein Peeling, föhnte und lockte mir meine Haare und ließ mir mal wieder so richtig Zeit mit meinem Make Up. Ich trug Lidschatten auf, zog mir einen schwungvollen Lidstrich und pinselte mir Highlighter auf mein Gesicht. Ich wählte sogar einen natürlichen Lippenstift. Als ich dann in den Spiegel sah, musste ich kurzerhand so richtig glücklich grinsen. Seit Langem hatte ich mich schon nicht mehr so normal gefühlt.

Vor meinem Kleiderschrank stockte ich dann. Plötzlich erschienen mir meine schwarzen, abgenutzten Bandshirts und meine schwarze Jeans zu trüb, um sie an so einem sonnigen Tag zu tragen. Ganz hinten im Schrank fand ich noch einige Kleider und Röcke aus meiner Jolina-Zeit. Auch diese erschienen mir nicht richtig. Dieses Mädchen war ich schließlich nicht mehr. Ich war aber auch nicht mehr die zynische Nachtkönigin, die hinten in der Mathestunde ihr Buch las, vor sich hin trauerte und jedem einen bösen Blick zu warf, der wagte, sie länger als zehn Sekunden anzustarren.

Kurzerhand entschied ich mich für einen Mix. Also kramte ich ein Bandshirt heraus und kombinierte es mit einem dunkelroten Rock. Vor dem Spiegel drehte ich mich grinsend. Perfekt.

Dann schnappte ich mir meine kleine Tasche und polterte die Treppe nach unten. Ich griff nach meiner Lederjacke, warf sie mir über die Schulter und rauschte an meinen verblüfften Eltern aus dem Haus.

»Bis später!«, rief ich, bevor ich die Haustür zuknallte und zu meinem Wagen sprintete. Atemlos warf ich mich hinter das Steuer. Ich wollte mich mit den anderen auf unserem Dach treffen. Für eine Feier nach der Zeugnisübergabe. Es dämmerte bereits, was bedeutete, dass ich schon spät dran war. Wir planten, uns den Sonnenuntergang anzuschauen und dann gemütlich beisammen zu sitzen und den Sommer zu genießen.

Ich kurbelte die Fenster herunter, drehte den Zündschlüssel und fuhr los. Es war noch ziemlich warm und so genoss ich den Wind, der mir die Haare umherwirbelte.

Mit lauter Musik fuhr ich auf das vorletzte Deck des Parkhauses und stellte den Motor ab. Dann schwang ich mich aus dem Wagen und lief den Weg nach oben. Logan und Kyle deponierten gerade einen alten Ghettoblaster, während Nathalie und Maya einige Getränke kaltstellten und drei Campingstühle aufklappten. Ich war die Letzte und in diesem Moment nahm ich mir die Zeit, für einige Sekunden meine Freunde zu beobachten.

Nat mit ihrer schwarzweiß gestreiften Hose und den ausgeblichenen Chucks. Ihre schwarzen Haare fielen ihr ins Gesicht und sie trug ebenfalls ein Bandshirt. In dem noch verbleibenden Sonnenlicht blitzen ihre Piercings im Ohr auf. Ich blinzelte und in diesem Moment sah ich Nat so, wie die anderen Kids aus der Schule sie sahen. Als verrückte Außenseiterin, die ihnen eine reinhaute, wenn sie ihr krumm kamen. Aber ich kannte ihre verletzliche Seite.

The Bucket ListWhere stories live. Discover now