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Dein Rücken tanzte vor meinen Augen. Völlig unbekümmert und mit einer Spur von Selbstverständlichkeit wandertest du von einem Stand zum nächsten. Schenktest jedem den Schein von Aufmerksamkeit und dabei einem Funken Desinteresse. Für dich war all das Alltag, es gehörte zu deinem Leben. Doch für mich war es das Spektakel des Sommers.

Bunte Lichter, scheppernde Dosen, klirrende Spielautomaten und kreischende Menschen auf Achterbahn und Autoscouter.

Der Rummelplatz.

Jeden Sommer schlug er am Pordless River seine Zelte auf und brachte das Gelächter von Kindern und den Duft von Zuckerwatte über Chesford.

Du warfst einen Blick über deine Schulter und schautest dich suchend nach mir um. Gefunden, zogst du eine deiner Augenbrauen hoch.

Ich grinste und schloss wieder zu dir auf.

Deine Hände ruhten in den Taschen deiner Jeans, während du seelenruhig den anderen Menschen hinterher schlendertest.

»Womit willst du fahren?«

Ich zuckte ratlos mit den Schultern. Ich war nie der entscheidungsfreudigste Mensch gewesen.

»Komm schon. Wir können überall kostenlos mitfahren.«

Ein Blitzen schoss in seine Augen und der Enthusiasmus erfasste seinen Körper. Er zog die Hände aus den Taschen, deutete auf die vielen Stände und Attraktionen und versuchte sie mir mit seinen Lautmalereien schmackhaft zu machen. Er drehte sich um seine eigene Achse, rempelte aus Versehen einen Herrn an und entschuldigte sich lachend.

Er blühte auf und ließ deutlich erkennen, dass er genau hier Zuhause war.

Hier war sein Reich. Der Ort, an dem er aufgewachsen war. Wobei... Kein tatsächlicher Ort, sondern mehr ein Platz voller Erinnerungen und Gefühle. Eine schwammige Art eines Ortes, der so beständig war wie eine Feder im Wind.

Sein Zuhause war der Rummelplatz. Hier war er aufgewachsen. Hatte laufen gelernt, hatte Freunde gefunden und wieder verloren. Hier lebte er mit seiner Familie. Hier und damit überall.

»Komm schon, Sut.«

Ich zuckte zusammen, als er mich bei meinem Spitznamen nannte. Vielleicht war es Einbildung, vielleicht auch ein Wunsch, doch in meinen Ohren klang es anders, wenn er ihn aussprach. Ich wusste nicht auf welche Weise, aber eben anders.

»Dosenwerfen. Lass uns Dosenwerfen«, fiel ich meine Entscheidung.

Er grinste breit und klatschte freudig in die Hände, bevor er sich wieder in Bewegung setzte und mich im Eilschritt durch die Menschenmenge lotste. Wir tauchten ein in ein tiefes Gemurmel, in ein Durcheinander aus Gerüchen und Düften, in ein pures Chaos der Individuen. Ich musste aufpassen niemanden in die Hacken zu treten oder sie mit meinen Armen aus blanken Versehen zu hauen.

Du hingegen warst fast eins mit der Masse. Du schlängeltest dich zwischen all den Menschen hindurch als hättest du dein Leben lang nichts anderes gemacht und vermutlich war es auch so. Du wichst gekonnt den richtigen Menschen aus, verkürztestes deine Schritte, stopptest kurz, nur um dann wieder nach vorne zu preschen. Du ducktest dich, drehtest dich und schlüpftest seitlich zwischen zwei großen Männern hindurch.

Du warst so geschickt, dass es mir beinah die Sprache verschlug, während ich dir nur hilflos hinterher stolpern konnte und mich dabei wie der letzte Trottel fühlte.

Die Tage von damals sind bei mir eingebrannt wie kleine Filme. Immer wieder abspielbar und dabei genauso wunderbar spürbar, wie in dem Moment, in dem sie geschehen waren.

Sie sind da, wo du bist. Tief vergraben in meinem Herzen.

»Yes!«

Mein Blick flog zu ihm und erhaschte noch, wie er seinen Arm in die Höhe streckte und nach seinem Freudensprung wieder auf den Füßen landete. Meine Augen sprangen zu den Dosen an der Wand. Er hatte sie alle mit einem Wurf umgehauen.

Bedröppelt kniff ich die Mundwinkel ein. Mein Daumen fuhr über die Naht des Lederballs in meiner Hand.

»Hast du das gesehen, Sut!«

Wieder zuckte ich zusammen.

»Ha! Hast du gesehen!«

Seine Augen sprühten Feuer. Sie gingen in sich auf, schienen im Innersten zu explodieren und dabei alles in ihrem Umfeld zu absorbieren. Sie rissen alles an sich, ohne es selbst zu bemerken.

Und bevor ich mich fragen konnte, warum er sich so dermaßen über den Sieg freute, schob sich ein breites Grinsen auf meine Lippen.

Neid war das Schlimmste, was einer Freundschaft passieren konnte. Es war das Gift, das alles auseinander riss und kümmerlich versterben ließ.

Bei dir... war er nicht. Wann immer er für den Bruchteil einer Sekunde aufzukeimen drohte, wurde er erstickt von der Freude an deiner Freude. Er wurde zu Nichte gemacht, bevor er eine Chance bekam sein Unheil anzurichten. Er bekam nicht die Möglichkeit an die Oberfläche zu schwimmen, um mich von dir wegzutreiben. Er blieb immer unter Wasser.

Bis Heute noch.

»So genial«, lachte er und schlug mir vor lauter Freude auf die Schulter. Ich grinste still in mich hinein.

Crowded RoomWhere stories live. Discover now