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Sommer 2016.

Gewitter. Chocolate Chip Ice Cream. Und du.

Kreischende Möwen fuhren über unsere Köpfe, zogen ihre Kreise und sanken hinunter auf die nahezu spiegelglatte Oberfläche des Pordless River.

Die letzten Sonnenstrahlen küssten unsere Haut, funkelten wie Sterne auf dem Gewässer und machten sich auf den Weg in ihr Bett. Weg von diesem Ort, weg von uns und hin zu neuen Menschen. Zu Menschen, die aufstanden, wenn wir längst schliefen. Zu Menschen, die zu Abend aßen, wenn wir frühstückten.

Meine Füße trugen uns durch den Sand, machten einen Satz nach dem nächsten und verliehen uns das Gefühl von Schwerelosigkeit. Meine Zehen gruben sich bei jedem Schritt in den feuchten Untergrund bis mein Ballen uns wieder abdrückte und zum nächsten katapultierte.

Meine Arme umfassten deine Beine, während du auf meinem Rücken klebtest und jauchzende Schreie ausstießt. Laut und unbedacht schicktest du sie in die Stille der anbrechenden Nacht. Einen deiner Arme hattest du um meinen Hals gelegt. Deine Hand krallte sich in meine Schulter, während die andere hoch hinauf in die Luft gestreckt war.

»EYEYJEYJEYEYHEEEY!«, johltest du in ohrenbetäubender Lautstärke und schicktest mir mit der Leichtigkeit eines Fingerschnips einen Schauer über den Rücken.

Erneut donnerte dein Ruf durch die Dämmerung und diesmal gab ich der unbändigen Freude in meiner Brust nach, bevor es mich zerbarsten konnte. Ich ließ das Glucksen passieren und sich leichtfertig zu einem unaufhaltsamen Lachen entwickeln. Es erschüttert mich und damit jeden Quadratzentimeter meines Körpers.

Du musstest aufpassen und kralltest dich noch fester an mich, bevor wir das Gleichgewicht verloren und in den Sand sackten. Lachend ließt du von mir und purzeltest auf die angrenzende Wiese, um dich wie ein Kleinkind auf dem Boden zu kugeln.

Mir erging es nicht anders. Denn während du dich wie ein Käfer auf dem Rücken wandest und mit den Beinen strampeltest, musste ich mir den Bauch halten und die Lachtränen aus meinen Augenwinkel wischen.

Was zwei Gläser Wein doch anrichten können. Es ist damals das erste Mal gewesen, dass wir etwas getrunken hatten. Deine Eltern hatten sie uns eingeschenkt, nachdem wir ihnen und deinem Bruder beim Einpacken der letzten Sachen geholfen hatten. Wir hatten miteinander angestoßen, auch wenn mir eigentlich mehr zum Heulen zu Mute gewesen war.

Wieder war einer unserer Sommer um. Vielleicht der Letzte. Vielleicht auch nicht. Ich wusste damals noch nicht, wohin mich mein Schicksal treiben würde. Ich hatte die Schule fertig, Zusagen von drei verdammt guten Colleges und damit lag mir die Welt quasi zu Füßen. Ich konnte in den Süden, in den Westen oder genau dort bleiben wo ich war.

Und dann warst da noch du. Was mit dir sein würde, wusste ich damals schon dreimal nicht. Wir sind Meister darin geworden unsere Freundschaft auf der Distanz aufrecht zu erhalten, sie zu führen als würden nicht Hunderte von Meilen zwischen uns liegen. Doch der Gedanke dich womöglich irgendwann innerhalb von einer halben Stunde oder gar weniger zu erreichen, versetzte mir ein Prickeln, das mit nichts in der Welt zu beschreiben war. Es war wie ein Feuerwerk im Magen, aber mit weniger Schmerzen. Wie tausend Insekten, aber weniger eklig.

Nach einiger Zeit verebbte unser Lachen und wich dem leisen Zirpen der abertausenden Grillen um uns herum. Ich atmete erschöpft durch und konzentrierte mich auf den immer dunkler werdenden Himmel und auf die ersten Sterne, die sichtbar wurden.

»Was passiert nach diesem Sommer, Sut?«

Ich zuckte zusammen. So als hätte mir jemand ein heißes Bügeleisen auf die Brust gedrückt.

»Wir machen weiter...«, flüsterte ich leise, in der Hoffnung meine Worte würden dadurch weniger real.

»Und wie?«

Ich schwieg. Denn ich hatte keine Antwort. Nichts, was dich oder mich zufrieden gestellt hätte.

Sekunden verstrichen, Minuten zogen dahin und wir blieben liegen. Dort wo wir waren, umzingelt von einer eisigen Stille und dem nervtötenden Pfeifen der Grillen.

Ich legte die Arme unter den Kopf und verschränkte sie. Wie gerne würde ich diesen Moment für die Ewigkeit festhalten. Wie gerne würde ich die Zeit anhalten und den Moment mit allem was er war inhalieren. Ihn zu mir machen, ihn leben und feiern wann immer ich wollte.

Andernfalls... könnte er beim nächsten Blinzeln schon wieder weg sein. Er könnte einfach dahin schwinden und ich würde ihn vergessen. Erst die warme Brise, die uns umhüllte. Dann der salzige, leicht schwüle Geschmack in der Luft. Dann das Gras und der Sand unter uns. Und zu guter letzt... dich.

»Ich würde gerne bleiben...«

Mein Herz machte keinen Mucks. Er begann nicht aufgeregt zu springen oder überfordert auszusetzen. Stattdessen pochte es in aller Seelenruhe weiter.

»Ich will nicht mit meinen Eltern gehen. Ich will hier bleiben.«

Deine Stimme hatte etwas Bittendes und zugleich Klagendes. Als wäre irgendjemand anders dafür verantwortlich, dass du fortgingst.

»Ich will hier aufs College gehen. Ich will Freunde finden, ein Leben aufbauen und nicht jedes Mal irgendwo rausgerissen werden.«

Ich blickte ihn nicht an.

»Ich will bleiben, Sut.«

Doch wir beide wussten, dass es dazu nicht kommen würde. Nicht diesen Sommer und vielleicht niemals. Denn auch wenn du es nicht zugeben mochtest, du warst niemand, der es lange an einem Ort aushielt. Du musstest unterwegs sein, von einem Ort zum anderen reisen und ständig dein Umfeld wechselt. Du musstest, denn anders gingst du ein. Wie eine Blume ohne Wasser. 

Und genau das warst du. Eine verwelkte Blume, die im Schatten aller dem nächsten Sturm trotzen würde.

Crowded RoomWhere stories live. Discover now