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Vor mir stand Nash.

Mein Bauch sagte mir, dass du es warst, aber meine Augen erkannten dich kaum wieder.

Ein Prickeln brannte in meiner Nase und durchzuckte mich wie Strom. Dein Geruch. Es war das gleiche unverkennbare Gemisch aus Wald und Farbe. Die Frische, die feuchte Luft, etwas leicht Modriges gegenüber dem gerade zu betörenden, Sinne verklärenden Stoffen von Acrylfarben.

Meine Herz japste verzweifelt nach Luft, während meine Gedanken sprachlos auf der Stelle traten.

Du trugst weiße Sneaker. Zum ersten Mal, solange ich dich kannte, trugst du weiße Sneaker.

An deine Beine schmiegte sich eine dunkelblaue Chinohose, deren Enden ein Stück nach oben geschoben war. Sie warf leichte Falten und spannte um den Schritt.

Ich schluckte.

In ihren Bund war ein weißes T-Shirt gestopft. Es lag eng an deinem Oberkörper an und schmeichelte den darunter liegenden Muskeln.

Wo war die Version von dir geblieben, der ich vor zweieinhalb Monaten Lebewohl gesagt hatte?

Wie warst du in so wenigen Wochen so viel reifer geworden?

Und vor allem...

In der nächsten Sekunden versteifte sich alles an mir.

Beinah hätte ich mich selbst belächelt. Wie idiotisch, dass mir dieser Gedanke zuletzt kam.

...Warum standest du mir überhaupt gegenüber?

»Nash«, stieß ich hervor, wobei ich mir wünschte, ich hätte die leichte Verbitterung vertuschen können. Er hatte sich über Wochen, Monate nicht gemeldet und nun stand er völlig unbefangen vor mir und schenkte mir ein träges Lächeln.

In meinem Kopf drehte sich alles.

Dein Lächeln verrutschte ein Stück, als ich dir mit kalten Blick in die Augen sah. Ich wollte nicht wütend auf dich sein. Ich wollte nicht so verbittert sein. Ich wollte keinen Streit vom Zaun brechen. Aber... ich war es. Ich war sauer, enttäuscht und bereit dir alle gemeinen Worte um die Ohren zu pfeffern, die mir in den vergangenen Wochen durch den Kopf gegangen waren.

Du räuspertest dich und fuhrst dir durch deine dunklen Haare.

Du machtest den Mund auf, nur um ihn kurz darauf wieder zu schließen. Du rangst nach Worten und brachtest dabei keines an die Oberfläche der Wirklichkeit. 

Ich schluckte und als du mit deinen wasserklaren Augen zu mir hinaufblicktest, wäre all der Ärger beinah vergessen gewesen.

Wenn ich nicht so überwältigt von deinem Auftauchen gewesen wäre. So erstarrt. So unvorbereitet auf all das, was du mir entgegen brachtest.

Zweieinhalb Monate waren nicht die Welt. Das überstand man. Auch in kompletter Funkstille. Aber das waren einfach nicht wir. Wir waren nicht die Art von Menschen, die voneinander verschwanden ohne sich zu melden.

Jedes Jahr aufs Neue hatten wir versprochen uns im nächsten Sommer wiederzusehen. Mochte was auch immer kommen. Wir wollten uns wiedersehen und wir wollten alles dafür tun. Es war für uns das Größte gewesen.

Nach dem Kontaktabbruch schien es für mich utopisch zu denken, dass du jemals wiederkommen würdest.

Meine Synapsen verstanden einfach nicht, warum du nun vor mir standest. Warum du Mitte Oktober einfach so vor mir stehen konntest, wo du mit seiner Familie doch die Küste hinauffahren und in wenigen Wochen in Pennsylvania sein müsstest.

Warum standest du nun vor mir? Warum?

Du vergrubst deine Hände in den Taschen deiner Hose und tratest unruhig von einem Fuß auf den anderen.

Ich schluckte.

Du wandtest den Blick auf deine Füße.

Ich ging.

Mein Körper trug mich quer durch den Laden, während mein Inneres vor Gefühlen zu explodieren drohte. Durch meine Adern pochte die Wut, zog einen schmerzlichen Pfad der Enttäuschung hinter sich her und unterdrückte die freudig erregte Spannung, die den elfjährigen Jungen in mir auf und ab springen ließ.

Ich stoppte vor der Kasse und stellte den Eisbecher auf den Tresen. Erst jetzt bemerkte ich wie eiskalt meine Finger geworden waren. Rot, schon beinah blau klammerten sie sich um die Pappverpackung und katapultierten mich immer wieder zu dem Moment vor wenigen Sekunden.

Grober als beabsichtig klatschte ich dem Besitzer das Geld vor die Nase und verließ ohne eine Danke oder Bye den Kiosk.

Im Schnellschritt eilte ich durch die Dunkelheit und konzentrierte mich dabei allein auf mein kleines pochendes Herzen und meinen rauschenden Atem in den eigenen Ohren.

Mein Körper rannte davon, während meine Gedanken noch immer in dem Kiosk waren. Noch immer zwischen Tiefkühlregal und Fertiggerichte. Noch immer mit offenem Mund und der wahnsinnigen Sehnsucht mit Nash dort weiterzumachen wo wir aufgehört hatten.

Lief ich gerade ehrlich vor dem Menschen davon, der mir in den letzten Jahren die größte Freude gebracht hatte?

Warum?

Warum, Sutton? Warum tust du das?

Und in der nächsten Sekunden hatte sich meine Chucks bereits in den Boden gerammt. Ich kehrte um und eilte zurück in Richtung Kiosk. Bis meine Füße wieder ihren Dienst verweigerten und ich erneut umkehrte. Und wieder. Und wieder. Und wieder.

Beim nächsten Atemzug stand ich bereits im Kiosk, ignorierte den skeptischen Blick des älteren Herrn hinterm Tresen und quetschte mich zurück durch die engen Regalreihen bis ich wieder genau dort stand, von wo ich vor wenigen Augenblicken geflüchtet war.

Ich konnte es selbst kaum fassen.

Als hätte man mich einmal resetet.

Ich atmete hörbar aus und sah mich um. Von dir fehlte jedoch jede Spur.

Crowded RoomWhere stories live. Discover now