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In den nächsten Tagen klaffte ein tiefer Abgrund zwischen uns.

Ich bereute die Worte, die ich nicht gesagt hatte und die Blicke, die ich dir gegeben hatte. Die Zweifel, die du in meinen Augen gesehen hattest und diese Unsicherheit, die mich beinah krank machte.

Nach deiner Flucht und Lewis irritierten Blicken, die ich stumm über mich hatte ergehen lassen, war ich nach Hause zurückgekehrt. Zurück zu meiner Mom, die ich den vergangenen zwei Wochen jeden Tag nur für ein paar Minuten zu Gesicht bekommen hatte. Zurück in mein Zimmer, das mir in der Zeit seltsam fremd geworden war.

Es war still, kalt und ohne deinen Geruch, der mich jeden Tag der letzten zwei Wochen umfangen hatte, sobald ich zur Tür hereingekommen war. Ich vermisste es, dich um mich zu haben.

*

Wir sprachen erst wieder miteinander, als Fin uns alle zu sich einlud, um unsere wöchentliche Ration an Bieren zu köpfen. Er begrüßte mich und Joon mit einem breiten Grinsen und ausgebreiteten Armen, während Joon neben mir die Augen verdrehte.

»Tretet ein, meine Herrschaften.«

Fin verbeugte sich vor uns und trat zur Seite. Ich stieß ein Schnauben aus, das mir gleich im Hals stecken blieb, als ich deinen Haarschopf über den Flur ins Wohnzimmer huschen sah. Sofort begann mein Herz wie wild zu pochen.

»Schwachkopf.«

Joon stieß Fin beim Eintreten ihren Ellenbogen in den Magen, was er mit einem amüsierten Lachen quittierte. Ich folgte Joon und schnappte mir im Vorbeigehen ein Bier aus der Küche.

Fin lachte laut auf und als mein Blick zu ihm flog, konnte ich gerade so noch erkennen, das Joon ihn ins Wohnzimmer schubste. Mit Sicherheit hatte er wieder irgendeinen dummen Witz gerissen.

Ich schmiss den Kronkorken in den Müll, verharrte noch für einen Moment, raffte mich dann allerdings doch auf. Mit gestrafften Schultern und mutigen Schritt betrat ich das Wohnzimmer. Und obwohl ich es hatte vermeiden wollen, traf mein Blick unweigerlich auf Nash. Er sah mich und drehte seinen Kopf abrupt weg. Fin und Joon schienen es nicht zu bemerken, doch Lewis sah es. Er schaute erst zu Nash, dann zu mir und wieder zu Nash.

Bisher war Lewis der Einzige, der von Nash und mir wusste. Wenn es ein Nash und ich überhaupt noch gab.

Ich unterdrückte ein Seufzen und setzte mich neben Joon auf den Boden. Sie hatte sich auf einem der Kissen niedergelassen und ihre Beine zum Schneidersitz verschränkt.

Der Abend war ein Graus. Von der ersten Sekunde an drehten sich meine Gedanken nur um dich. Ständig musste ich mich davon abhalten zu dir zu blicken. Denn hätte ich es getan, hätte ich nicht mehr wegblicken können. Du trugst einen grauen Hoodie. Meinen grauen Hoodie, den ich dir gegeben hatte, nachdem du all deine saubere Wäsche aufgebraucht hattest. Mit dem du dich wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa zusammengerollt hattest, während du dir jegliche Disneyfilme angeguckt hattest. Die einzigen Filme, die dich in deiner Depression irgendwie aufgeheitert hatten.

Ich schluckte und versuchte die Erinnerungen an die Zeit mit dir zu verdrängen. Ich wollte einen weiteren Schluck von meinem Bier nehmen, als ich bemerkte, dass die Flasche leer war. Mühsam rappelte ich mich vom Boden auf und schnappte mir in der Küche ein Neues. Doch gerade als ich wieder zurück über den Flur ins Wohnzimmer kehren wollte, knallte ich in dich rein.

Du wichst einen Schritt zurück und blicktest mich durch deine großen blauen Augen erschrocken an. Doch so klar wie sie in dem einen Moment noch waren, so düster und nebelig wurden sie im nächsten. Ein Sturm zog über das Meer und ließ die Wut in deinem Blick auflodern.

Ich öffnete meinen Mund, rang nach den richtigen Worten, doch wie zuletzt, fehlte mir die Kraft sie auszusprechen.

»Sorry.«

Du schobst dich an mir vorbei und verschwandest im Bad. Ich starrte dir nach wie vor sprachlos hinterher.

Meine Gedanken überfielen mich und traten beinahe meinen Schädel ein. Sie beschimpften mich als Dummkopf und ließen mich immer näher an den Abgrund treten.

War meine Angst alles zu zerstören wirklich so groß, dass ich das Risiko gar nicht erst eingehen wollte? Dass ich das aufgab, was mir alles bedeutete? Konnte ich so blind vor Zweifeln sein oder hatte ich einfach das Denken verlernt?

Fuck.

Die Tür öffnete sich wieder, du erschienst im Türrahmen und ich entschied mich. Ich stellte mich vor dich. Du runzeltest die Stirn, sahst zu mir auf und legtest den Kopf schräg.

»Was soll das, Sutton?«

Ich blinzelte. »Scheiß auf die anderen.«

Die Worte kamen wie von selbst aus meinem Mund und waren sie einmal draußen, platzte auch der Knoten in meinem Kopf. Ich trat auf dich zu, zog dein Gesicht zu meinem und presste meine Lippen forsch auf deine.

Du warst perplex, stolpertest zurück und knalltest mit dem Rücken gegen das Waschbecken. Ein Keuchen drang von deinen Lippen zu meinen und dann endlich erwidertest du den Kuss. Deine Hände verflochten sich mit meinem Hemd und zogen mich enger zu dir bis unsere Körper der Länge nach aneinander klebten.

Wie ich deine Nähe vermisst hatte. Deinen Duft, der mir in die Nase kroch und all meine Sinne vernebelte. Deine Berührungen, die mir einen Schauer nach dem nächsten über den Körper jagten. Und nicht zuletzt deine Küsse, die immer mehr forderten und nicht genug kriegen konnten.


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