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Ich hätte mir gewünscht, dass es anders käme. Nicht so plötzlich, vielleicht mit einer Vorwarnung. Aber nicht einfach so.

*

Joons Haare kitzelten mich am Hals, piksten leicht in meine Haut und hinterließen ein leichtes Kribbeln, das zum wahnsinnig machen bestimmt war.

Es war ein Sonntag Nachmittag, die Sonne schien durch mein Fenster und warf ein paar Strahlen auf unsere Bäuche. Es war friedlich, draußen wehte schwach der Wind, während die Klimaanlage ein leises Summen von sich gab.

Es war die Ruhe vor dem Sturm. Die Stille kurz bevor die düsteren Wolken über uns einfielen und uns in eine unergründliche Finsternis schickten. Bevor das Grollen ertönte und Blitze uns in Angst und Schrecken versetzten. Bevor unsere schlimmsten Albträume sich als real entpuppen. Bevor der Anfang zum Ende wurde.

Von einer Sekunde auf die nächste tauchte es aus der Versenkung wieder auf. Das Monster mit den langen Fingern, schwarz, düster und so umheimlich, dass es einen vor Furcht erstarren ließ. Es legte seine Klauen um deinen Hals und riss dich zurück in die Dunkelheit, aus der du einst so wagemutig entkommen warst. Es zog dich hinein, immer weiter hinein, bis es kein zurück mehr gab.

Bis du zu entkräftest warst, bis... es für dich nichts mehr gab.

Es machte aus dir jemanden, den ich nicht kannte. Den ich nicht verstand. Den ich nicht haben wollte. Es machte dich depressiv, selbsthassend und so selbstzweifelnd, dass es für dich keinen anderen Ausweg gab außer diesen einen. Derjenige, der die Erlösung bringen sollte. Die Erlösung, die du mit vierzehn bereits gesucht hattest. Auf deren Weg du dich gemacht hattest, aber nie dort angekommen warst.

Dein Bruder, nicht Lewis, sondern Sean, er war es gewesen, der dich damals gefunden hatte. Der dich gerettet und dich ins Krankenhaus gebracht hatte. Nur durch Zufall war er Zuhause vorbeigekommen und hatte die Wirkung der Überdosis aufhalten können.

Er war dein Retter gewesen und zugleich die Ursache. Der Grund, weshalb das Monster dich anfing heimzusuchen. Wieso du Angst im Dunkeln bekamst, wieso dich Panikattacken aus dem Schlaf rissen und wieso dein Lebenswille aufhörte zu schlagen.

Du warst nicht damit klar gekommen, dass er zu den Marines gegangen war. Du hattest es nicht verkraften können, dass er sein Leben riskierte, wo er doch die Wahl hatte.

Du warst mit nichts mehr klargekommen.

Und diesmal erneut... du ließt dich ohne Widerstand in unergründliche Tiefen ziehen bis du ganz im Dunkel verschwunden warst. Bis es keine Anzeichen mehr auf den Kerl gab, den ich so vergötterte. Denn das tat ich. Das hatte ich schon immer getan. Vielleicht war mir lange Zeit nicht bewusst gewesen auf welche Art, doch es gab nie Zweifel daran, dass ich es tat.

*

Im Treppenhaus herrschte eine bedrückende Stille. Nur von oben, ein oder zwei Stockwerke weiter, konnte man Kochtöpfe scheppern und Stimmen leise diskutieren hören.

Ich bückte mich, fischte mir deinen Wohnungsschlüssel unter der Fußmatte hervor und steckte ihn ins Schloss. Er passte und wenige Sekunden später hatte ich bereits meinen Fuß im Türspalt. Die Holzdielen gaben knirschend unter meinem Gewicht nach, während ich meinen Schuh durch den Spalt schob und vorsichtig eintrat.

In deiner Wohnung war es stockdunkel.

Dabei war draußen der schönste Sonnenschein.

Die Rolladen waren runtergelassen und in der Luft lag ein muffiger Geruch, als wäre hier bereits seit einigen Tagen nicht mehr richtig durchgelüftet worden.

Ich drückte die Tür zurück in ihr Schloss, bevor ich nach dem Lichtschalter tastete. Es machte klick, dann flackerte es und schon erstrahlte eine kleine Lampe über meinem Kopf. Sie erhellte die Diele in einem schwachen Licht, doch es genügte, um mir meinen Weg zu deinem Schlafzimmer zu bahnen.

Ich klopfte, wartete ein Lebenszeichen von dir ab, doch du schenktest mir nur ein schwaches Nichts. Mein Hand legte sich um den Türknauf, drehte ihn und drückte die quietschende Tür langsam auf. Der Lichtschein der Diele fiel durch den Spalt und mitten auf den kümmerlichen Haufen aus Bettdecke, Kissen und dir.

Du lagst mit dem Rücken zur Tür, hattest die Decke bis zum Kinn gezogen und warst an die Wand gerückt, wo dein Bett doch 1,40 maß.

»Nash?«, flüsterte ich, doch wie erwartet blieb jegliche Reaktion von dir aus.

Ich schloss die Tür, streifte mir die Jacke von den Schultern und legte sie auf deine Kommode. Dann folgten die Schuhe, die ich mir vorsichtig von den Füßen kickte, bevor ich zu dir schlich. Ich blickte auf dich hinunter und spürte wie mein Herz sich schmerzhaft zusammenzog.

Das warst nicht du. Das hier war eine leere Hülle, die jedes Leben in sich verloren hatte.

Ich schluckte und versuchte die aufkeimenden Tränen zu unterdrücken. Du warst immer der Stärkere von uns gewesen, denn was dir an Körpergröße fehlte, hattest du mit deinem Mut auch durch schwere Zeiten zu gehen wettgemacht. Du warst liebend gerne in den Sturm gefahren, hattest dich ihm praktisch entgegen geworfen, obwohl du um die geringe Chance des Sieges wusstest. Gegen jeden Verstand hattest du es jedes Mal aufs Neue überstanden. Vielleicht nahmst du hin und wieder ein paar Schrammen mit, aber du schafftest es. Du warst der Starke, der Mutige.

Nur nicht heute. Heute musste ich an diese Stelle treten.

Mein Atem ging tief, mein Brustkorb hob und senkte sich, bevor ich mich auf die Bettkante niederließ. Du rührtest dich nicht. Selbst als ich mich hinlegte und an dich robbte, um meinen Arm um deine Taille zu legen, bewegtest du dich nicht.

Du atmetest ruhig und friedlich und für den einen kurzen Moment genoß ich es einfach, dich so dicht bei mir zu haben. Deinen Rücken an meiner Brust zu spüren und deine Haare auf meiner Haut zu fühlen.

Ohne dass du mich wegstießt.

Crowded RoomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt