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Der Sommer ging schneller um als ich es gefürchtet hatte. Ein Fingerschnips und du warst weg.

*

Sommer 2010.

Grippe. Kaputte Knie. Und unerfüllte Hoffnungen.

Es war wieder soweit. Der Rummelplatz kehrte ein und ließ sich am Ufer des Flusses nieder. Musik tönte über die weiten Wiesen, das Riesenrad drehte seine Runden und die Menschen tummelten sich eng zwischen all den Ständen.

Doch von dir fehlte jede Spur.

Was mir von dir blieb, war nur die Erinnerung an unsere Begegnung vom Vorjahr...

*

Die Sonne schien in aller Pracht, eine warme Brise empfing uns und die Grillen zirpten im hohen Gras. Im Strom der Masse liefen wir die große Brücke entlang, aufs andere Flussufer und mitten hinein ins Getümmel des Rummelplatzes. Kinder zogen an den Armen ihrer Eltern, ein Kinderwagen fuhr mir in die Hacken und ein zotteliger Mischlingshund kreuzte unbeirrt meinen Weg.

»Wollen wir darauf?«, ertönte Joons Stimme und als ich sah worauf sie deutete, fuhr mir der Schreck in die Knochen.

»Ähm... eher nicht«, meinte ich und versuchte unbemerkt den dicken Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. »Aber du kannst gerne.«

Joon musterte mich prüfend von der Seite, bevor sie mit den Schultern zuckte und mir ihren Beutel reichte. Ich sah ihr dabei zu, wie sie sich ans Ende der Schlange stellten mit jeder Minute weiter vorrückte. Immer näher zu dem Monstrum einer Achterbahn.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah dem Tosen um mich herum eingeschüchtert zu. Joon mochte ein Jahr jünger sein als ich, doch dafür hatte sie doppelt so viel Mumm in sich als ich jemals haben werde.

Meine Augen fixierten sich fest auf den Blondschopf, als sie in den Wagon stieg und los in meine persönliche Hölle geschickt wurde. Wenn ich dort gesessen hätte, wäre ich ohnmächtig geworden, doch sie hatte den Spaß ihres Lebens. Sie streckte die Arme in die Höhe und ihr Jauchzen war bis zu mir nach unten zu hören.

Ich grinste breit.

Als mich mit einem Mal ein Stoß von hinten traf und ich einen Schritt nach vorne stolpern musste. Überrumpelt drehte ich mich um und sah augenblicklich in zwei glasklare, blaue Augen.

Mir stockte der Atem.

»Oh, fuck. Sorry.«

*

Das waren damals deine ersten Worte zu mir gewesen. Noch heute gibt es in meinen Ohren keine schöneren.

*

Sommer 2011.

Verloren. Gefunden. Und wieder allein.

Der Regen prasselte leise und beruhigend auf den Stoff meines Regenschirms. Er tropfte von den Rändern und hinunter in ein Nichts aus feuchtem Gras und Matsch. Meine Finger waren eiskalt, meine Wangen schon ganz rot und dennoch trugen mich meine Füße immer weiter. Genau dorthin, wo sich auch dieses Jahr der Rummelplatz niedergelassen hatte. Genau dahin, wo ich auch dieses Jahr hoffnungsvoll auf dich wartete.

Die ersten Wagen waren erst gestern angekommen und parkten wild durcheinander auf der noch grünen Grasfläche. Leute eilten umher, fluchten und versuchten den großen Lastwagen, der neu eintraf, rückwärts auf seinen Platz zu lotsen.

Ich blieb stehen und beobachtete den Trubel aus sicherer Entfernung. Der Wind pfiff um mich, während der Regen unerbittlich niederfiel und alles in ein feuchtes, beklemmendes Gefühl hüllte.

Ein Pfiff fegte über den Platz und schon rumpelte der nächste Kleinlaster von der Straße auf den matschigen Rasen. Er wackelte bedenklich, blieb fast stecken und schaffte es dann doch seinen Platz zu erreichen. Sicher und trocken, mitten unter der Brücke.

Mein Blick wandte sich von dem Laster ab, nur um wieder zurückzuspringen, als ein Junge aus der Autotür krakselte.

Nash?

Mein Blick war festgetackert und verfolgte jede einzelne deiner unbedeutenden Bewegungen. Deine Boots landeten im Matsch, während deine Jacke sich vom Wind aufplusterte und dich zur Seite taumeln ließ. Sie war knallig grün und dir drei Nummern zu groß. Du zerrtest an ihr und schlosst mit einem Ruck den Reißverschluss.

Erst dann ließt du deine Augen über die weite Wiesenfläche wandern, nahmst jedes einzelne Auto, jeden Laster in dich auf. Mit einem mürrischen Gesichtsausdruck richtetest du deinen Blick gen Himmel und verzogst deinen Mund zu einem kerzengeraden Strich.

Bevor mein Kopf geschaltet hatte, setzten sich meine Füße bereits in Bewegung. Sie hetzten geradezu in Richtung Brücke und damit genau zu dir. Die Tatsache, dass es gar nicht du sein könntest, sondern jemand, der dir einfach verdammt ähnlich sah, kam mir gar nicht in den Sinn. Du warst es. Zu hundert Prozent.

Und schon standest du vor mir. Einen halben Kopf kürzer als ich, mit kurzrasierten Haaren und einer scheußlichen Zahnspange.

Die Verblüffung war dir ins Gesicht geschrieben.

»Sut? Was–«

Doch da hatten dich meine Arme schon umschlossen.

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