KAPITEL 5 | SYDNEY

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VÖLLIG GESTRESST KLEMME ich mir mein Handy zwischen Ohr und Schulter, während ich versuche einen Schluck von meinem Kaffee zu trinken. Das stellt sich jedoch als eine so große Herausforderung heraus, dass ich die Hälfte davon verschütte und nun ein riesiger, brauner Fleck auf meinem weißen, mit Blümchen bestickten Top prangt.

Der Montag fängt ja echt toll an.

Genervt rubble ich mit meiner freien Hand über die braune Stelle, aber der Fleck verteilt sich dadurch nur noch mehr. Eigentlich wollte ich heute einen guten Eindruck bei meinen Dozenten hinterlassen, aber der ist hiermit dahin. Als ich seufzend aufsehe, bemerke ich Kolin, der auf der anderen Seite des Gangs steht und mir statt in die Augen auf den Ausschnitt glotzt.

Die Stimme meiner Mutter, die durch mein Handy dringt, macht die ganze Situation auch nicht viel besser. »Es freut mich wirklich, dass du dich schon so gut eingelebt hast, Syd, auch wenn deine College-Wahl mich anfangs skeptisch gemacht hat. Das Wichtigste ist aber, dass es dir gefällt und das tut es dir offensichtlich. Jedenfalls sagt mir das dein wiederholtes Seufzen.« Der Sarkasmus in ihrer Stimme ist dabei nicht zu überhören.

Mir ist klar, dass meine Eltern sich eher gewünscht hätten, dass ich auf ein College in ihrer Nähe gehen werde, aber wäre ich ihrem Wunsch nachgegangen, wäre ich mit Sicherheit nicht so glücklich gewesen, wie ich es jetzt bin. Dass ich Psychologie studieren will, haben sie jedoch immer unterstützt, deshalb bevorzuge ich es ihnen eher davon zu erzählen. »Mir gefällt es hier wirklich, Mom. Die Kurse und Professoren sind toll, aber ich komme leider zu spät, wenn wir jetzt nicht auflegen.«

Ich habe eigentlich noch genug Zeit, aber der Kaffeefleck und Kolin, der mich noch immer anstarrt, rufen in mir Mordgelüste vor.

Meine Mutter hat ─ wie ich es mir schon gedacht habe ─ nicht vor jetzt schon aufzulegen. »Hast du eigentlich schon jemanden kennengelernt? Einen Jungen?«

Dean Walker.

Es ist nicht beabsichtigt von mir gewesen ausgerechnet an ihn zu denken, aber er ist der einzige Junge, der mir bei der Frage meiner Mutter in den Sinn gekommen ist. Wem mache ich hier eigentlich etwas vor? Ich denke seit letzter Nacht fast durchgehend an ihn, an seine Worte und an seinen Sprung aus meinem Fenster, der zugegebenermaßen ziemlich beeindruckend ─

»Sydney? Bist du noch dran? Warte mal, hast du dich etwa mit Kolin wieder vertragen?«

»Was? Nein!« Kopfschüttelnd streiche ich mir die einzelnen Haarsträhnen, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst haben, aus dem Gesicht.

Sie atmet erleichtert auf. »Na, dann bin ich aber beruhigt. Kolin war wirklich langweilig.«

Stimmt.

»Nein, ich habe niemanden kennengelernt und mit Kolin werde ich sicher nicht wieder zusammenkommen. Also bitte sag so etwas nicht noch mal.«

»Wie du willst, Syd, ich habe ohnehin aus einem ganz anderen Grund angerufen.« Sie macht eine Pause und ich werde tatsächlich neugierig, was sie mir zu sagen hat. »Ich habe vor ein paar Tagen von diesem Vorfall an eurem College gehört. Stimmt es, dass ein Mörder sein Unwesen bei euch treibt?«

Am liebsten hätte ich Folgendes gesagt: »Also es ist so, dass ich Dean Walker schon vor zwei Wochen begegnet bin und ihm zur Flucht verholfen habe. Gestern hat er dann an meiner Tür geklopft und ja, ich habe ihn hereingelassen und ihm erlaubt für eine Stunde zu bleiben, weil ich eine naive, dumme Nuss bin. Trotzdem hat sich herausgestellt, dass die naive, dumme Nuss letztendlich einen Teil der Wahrheit herausgefunden hat und sie Dean Walker deshalb nicht mehr für einen potenziellen Mörder hält. Ich könnte mich auch irren, tue ich aber nicht, denn wozu soll meine Leichtgläubigkeit sonst gut sein?«

Dean Walker | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt