KAPITEL 30 | SYDNEY

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MEINE BEINE ZITTERN, meine Handflächen schwitzen und mein Atem geht flach, als ich ganz allein in einem der Vernehmungsräume sitze und die leere Tischplatte vor mir anstarre. Ich bin noch nie verhört worden und habe schreckliche Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Zumal mich der Officer vor mir extrem seltsam beäugt, so als würde er versuchen, aus mir schlau zu werden. Er hat extrem rotes Haar und einen Bart, der gar nicht zu seinem restlichen Gesicht passt. Sind solche Schnurrbärte wirklich noch in Mode? Bronwyn könnte mir diese Frage beantworten.

»Miss O'Donnell?«

Mein Kopf ruckt hoch. »Ja?«

»Ich habe Ihnen bereits zwei Fragen gestellt, aber alles, was ich bekomme, ist Schweigen.«

»Tut mir leid. Ich bin nervös. Wo ist Dean?«

»Mr Avens ist nach Ihnen dran. Zuerst möchte ich Ihnen ein paar Fragen stellen.«

»Wieso ist er nicht vor mir an der Reihe? Sind seine Aussagen nicht viel wichtiger?« Nicht dass ich will, dass er sich ebenfalls mit diesem Officer auseinandersetzen muss. Er macht mir irgendwie Angst.

Er runzelt die Stirn. »Ich möchte mich vergewissern, dass Mr Avens die Wahrheit sagt, was Sie betrifft.«

Ich ziehe die Augenbrauen in die Höhe. Er glaubt meinem Wort also mehr als das von Dean?

»Fangen wir noch einmal von vorne an. Nennen Sie fürs Protokoll bitte Ihren Vor- und Nachnamen, Ihr Alter, Ihr Geburtsdatum, Ihren Wohnort und Ihren Beruf.«

»Ich heiße Sydney Ree O'Donnell, ich bin neunzehn Jahre alt, habe am achtzehnten Oktober Geburtstag, wohne in einer WG mit meiner besten Freundin an der University of New Haven und studiere momentan Psychologie im ersten Semester.«

»Sie wollen Psychologin werden?«

»Hat das für dieses Verhör irgendeine Bedeutung?«

»Beantworten Sie bitte einfach die Fragen, Miss O'Donnell.«

Ich atme tief durch und zwinge mich zu einem Nicken. »Ja, ich will Psychologin werden. Am besten Kinderpsychologin. Ich hätte, als ich klein war, gerne eine Bezugsperson gehabt, jemand, mit dem ich hätte reden können. Ich möchte Kindern helfen, sich selbst und ihre Mitmenschen zu verstehen, auch wenn das nicht immer einfach ist. Außerdem brenne ich für psychologische Fakten. Ich könnte für jede Situation einen Fakt finden, so war es schon immer.«

Falls es ihn stört, dass ich so viel rede, lässt er es sich nicht anmerken. »Wie genau haben Sie Mr Avens kennengelernt?«

»Spielt das eine Rolle?«

»Wir können die Frage auch überspringen und später darauf zurückkommen. Im Laufe der Vernehmung werde ich so oder so herausfinden, wie es dazu kam. Sie können nichts verheimlichen. Nicht mehr.«

Die Luft in dem kleinen grauen Raum wird plötzlich noch stickiger.

»Sagen Sie mir, wie es zu dieser Szene vorhin kam, als wir Mr Avens mitgenommen haben.«

»Was ist an zwei Menschen, die sich küssen, verkehrt?«

»Gar nichts. Ich frage mich nur, wie es dazu kam.«

»Nicht dass sie meine privaten Beziehungen etwas angeht«, nervös spiele ich mit einer blonden Locke, »aber ich habe in den letzten Monaten Gefühle für Dean entwickelt. Und als ich wusste, dass er gehen würde, wollte ich etwas tun, was wir uns die ganze Zeit über verboten haben. Was er uns eigentlich verboten hat.«

»Mr Avens hatte nicht das gleiche Interesse wie Sie?«

Findet er es nicht seltsam, über mein Liebesleben zu reden? Ich nämlich schon.

»Dean denkt, er wäre nicht gut genug für mich. Er denkt, er müsse erst sein Leben in den Griff bekommen, bevor er sich auf mich einlässt.«

»Sie glauben also, er würde sich auf Sie einlassen, wenn sein Leben anders verlaufen würde?«

Ich nicke nur.

»Wissen Sie, was dieser Mann getan hat?«

»Angeblich getan hat.«

»Sie glauben an seine Unschuld?«

»Ich würde meine Hand für ihn ins Feuer legen. Dean hat Hollyn nicht umgebracht und ich bin nicht die Einzige, die das glaubt.«

Der etwas kleinere Officer mit der Glatze schreibt etwas in seine Unterlagen auf, während der Rothaarige sich über seinen Schnurrbart fährt. Wieder beäugt er mich auf diese seltsame Art und Weise. Es kommt mir so vor, als würde er mein Inneres durchleuchten und all meine Geheimnisse herausfinden.

Er beugt sich ein wenig vor und wenn ich mich nicht täusche, lächelt er ein wenig. »Sie sind verliebt in Mr Avens.«

Wie kann es sein, dass mich ein Polizist, der mich gerade einmal seit zehn Minuten kennt, dahinterkommt? Ich werde auf seine Aussage mit Sicherheit nicht eingehen, auch wenn sie verdammt noch mal stimmt.

»Aber Sie sind auch naiv.«

»Ich habe schon an seine Unschuld geglaubt, bevor ich verliebt in ihn war«, betone ich. »Das eine hat nichts mit dem anderen zu tun. Sie werden es selbst sehen, wenn Sie ihn befragen.«

»Das hoffe ich doch«, entgegnet er leise. »Ich würde mit Ihnen gerne noch über die Personen Kolin Queens, Xander Reed, Hunter McRae und Gavin Reyes reden.«

Meine Lieblingsmenschen.

Mir wird schlecht.

»Was wollen Sie wissen?«, bringe ich gerade noch so hervor.

»Fangen wir mit Kolin Queens an. Meinen Informationen nach waren Sie lange Zeit enge Freunde, dann ist daraus mehr entstanden. Kurz vor ihrem Umzug nach New Haven sind Sie getrennte Wege gegangen.«

Woher er diese Informationen wohl hat ...

»Das ist richtig. Es hat zwischen uns wohl einfach nicht so geklappt, wie wir es wollten.«

»Wie ist Ihr Verhältnis jetzt zueinander?«

Ich denke an Kolins ständige Fragen nach einem Date, seine Abneigung Dean gegenüber, seiner bescheuerten Idee eine Möchtegern-Bande zu gründen, die Dean verfolgen soll und seinen allerletzten Worten, die er Dean an den Kopf geworfen hat. »Es könnte besser sein«, antworte ich vage.

Der Officer lächelt. »Ich verstehe, was Sie meinen. Es ist immer schwierig sich nach Trennungen noch gut zu verstehen. Was können Sie zu Xander Reed sagen?«

»Nichts Gutes«, murre ich. »Wir sind uns einmal begegnet ─ und da hat er versucht mich anzufassen.«

»Tatsächlich?«

Ich nicke. »Dean war derjenige, der eingeschritten ist.«

»Interessant«, entgegnet er, während er sich über den Schnurrbart fährt. »Wie stehen Sie zu Hunter McRae?«

»Kenne ich nicht und will ich auch nicht kennen.« Ich kann dem Officer unmöglich davon erzählen, dass Hunter geholfen hat, die Videokamera zu finden und Dean vor heute Nacht gewarnt hat.

»Und Gavin Reyes?«

Was soll ich bloß sagen? »Ich habe ein paar Mal mit ihm geredet. Lassen Sie sich von Dean mehr zu ihm erklären. Ich bin mir sicher, Sie werden Ihre Meinung ihm gegenüber ändern. Dean ist ein guter Mensch. Ich kann es nur wiederholen.«

Der Officer schaltet das Funkgerät vor mir aus und seine müden Augen sehen auf einmal angestrengt und zweifelnd aus. »Hoffen wir mal, dass Sie Recht behalten.«

Dean Walker | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt