KAPITEL 34 | DEAN

6.3K 550 468
                                    

MEINE HÄNDE ZITTERN so stark, dass es mir unmöglich ist, meine Krawatte zu binden. Noch hängt sie wie ein lebloser Stoff an meinem Hemd herunter und kurz bin ich versucht, sie einfach abzureißen und in den Mülleimer zu werfen. Aber der heutige Tag ist wichtig, das hat Candices Mom, Florence Aplin, mir sehr gut eingetrichtert. Heute wird entschieden, was mit mir passieren wird.

Ich bin nervös. So nervös, dass ich am liebsten gar nicht hingehen würde, aber die zwei Polizisten, die direkt am Eingang meiner Zelle stehen, werden es mir unmöglich machen zu fliehen. Außerdem muss ich das heute durchziehen, für sie.

Der Gedanke daran, dass ich Sydney heute sehen werde, hebt meine Laune deutlich. Natürlich werde ich nicht mit ihr sprechen oder in ihrer Nähe sein können, aber allein ihr Anblick wird mir reichen. Nicht nur sie wird kommen. Bronwyn, Peter und Candice sind als Zeugen ebenfalls dabei, genauso wie Hunter, Kolin und Gavin.

Wenigstens ist Xander längst von der Bildfläche verschwunden. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich ihn ziemlich bald wiedersehen werde.

»Bist du dann mal fertig?«

Ich blicke auf und sehe in das Gesicht des einen Polizisten, der genervt auf meine Krawatte schaut, die immer noch nicht richtig zugebunden ist. Wenn meine Mom das hier sehen würde ...

Ich halte inne. Sie wird es ja sehen, weil sie heute ebenfalls in der Gerichtsverhandlung anwesend sein wird.

Scheiße.

Und meine Laune ist wieder im Keller.

Die Polizisten berühren mich nicht, aber wirklich Abstand halten sie auch nicht. Sie haben sich rechts und links von mir positioniert und führen mich so bis zu ihrem Polizeiauto. Die Fahrt zur Gerichtsverhandlung zieht nur so an mir vorbei, weil ich in Gedanken ganz woanders bin. Ich atme tief durch. Denn was auch mit mir passiert, ich werde damit klarkommen. Ich komme immer mit allem klar.

Das Gerichtsgebäude ist verdammt riesig. Ehrfürchtig schaue ich mir die Mauern an, während ich hineingeführt werde und den Drang unterdrücken muss wegzulaufen. Warum will ich eigentlich ständig wegrennen? Ist das mittlerweile eine Sucht, ein Drang oder eine Notwendigkeit geworden?

Der Richter sitzt ganz hinten in der Mitte. Er ist ein älterer Mann mit wachen Augen und einem durchdringenden Blick. Seine ergrauten Haare gehen bis zu seinem Anzug und sind ordentlich nach hinten gekämmt. Neben ihm sitzen zwei Frauen mittleren Alters und zwei Männer, von denen einer so aussieht, als hätte er letzte Nacht nicht genug Schlaf bekommen. Seine Augenringe sind fast schon beängstigend. Ob er sie geschminkt hat, um mich einzuschüchtern? Falls ja, kann ich sagen, dass es definitiv funktioniert und ─

Der Richter unterbricht meine Gedankengänge und zeigt auf den kleinen Stuhl in der Mitte des Saals. »Mr Avens, setzen Sie sich bitte.«

Schluckend komme ich seiner Aufforderung nach und sehe mich weiter um. Es sind ziemlich viele Leute meinetwegen hier, fällt mir auf. Hunter, Gavin und Kolin sitzen nebeneinander rechts von mir, aber sind zum Glück noch weit genug weg. Kolin hat einen fast schon stolzen Gesichtsausdruck, Gavins Miene ist wie sonst auch völlig undurchdringlich und Hunters Gesicht ist unnatürlich blass. Keine Ahnung, was mir das jetzt sagen soll.

Meine Eltern sind die nächsten, die mir ins Auge fallen, weil sie direkt neben Kolin sitzen. Mir wird schlecht, weil es so aussieht, als wären sie seine Familie und nicht meine. Sie würdigen mich keines Blickes, aber wenn ich mich nicht irre, zittern Moms Hände ein wenig. Das tun sie immer, wenn sie Angst hat.

Bronwyn macht den Eindruck, als würde sie gleich den Gerichtssaal vollkotzen, woraufhin Peter ermutigend ihre Hand drückt. Ihre Schultern entspannen sich ein wenig, als sie ihm etwas ins Ohr flüstert, woraufhin er ernst nickt. Und dann sehe ich Sydney, die Tränen in den Augen hat und die Lippen fest aufeinanderpresst. Am liebsten wäre ich über alle Stühle gesprungen, um sie in den Arm zu nehmen. Sie soll nicht traurig sein. Ihre Haare sind hochgesteckt und sie trägt ein graues Kleid, das so aussieht, als hätte Bronwyn es gemacht. Mittlerweile kenne ich Bronwnys Kleiderstil sehr gut.

Dean Walker | ✓Where stories live. Discover now