KAPITEL 33 | SYDNEY

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»WOLLEN SIE ETWAS bestellen oder warten Sie noch auf jemanden?«

Verwundert hebe ich den Kopf und sehe in das freundliche Gesicht der Bedienung, die abwartend einen Stift und einen kleinen Notizblock in den Händen hält. Sie ist wirklich geduldig, wenn man bedenkt, dass ich mindestens zehn Sekunden brauche, bis ich aus meiner Gedankenwelt auftauche und ihr antworten kann. »Ich warte noch auf meinen Bruder und seine Verlobte.«

Sie nickt einverstanden und widmet sich dem nächsten Tisch im Mary's Diner. Bronwyn hat mir dieses kleine Restaurant in der Innenstadt New Havens empfohlen, als ich meinte, dass ich unbedingt meinen Bruder sehen will. Er hat auf meine ziemlich hysterisch wirkende Nachricht, dass ich mit ihm reden muss, sofort zugesagt, ohne Fragen zu stellen. Andererseits weiß Jeremy bestimmt schon sowieso, um was es gehen wird, wenn man bedenkt, dass sich die Nachricht von Deans Festnahme bereits stark verbreitet hat.

Mit klopfendem Herzen starre ich auf die Eingangstür des Restaurants, aber weder mein Bruder noch seine Verlobte sind dort zu sehen. Stattdessen hat ein älteres Ehepaaar die Türschwelle überschritten, woraufhin die Glocke über ihnen leise bimmelt. Ich hoffe wirklich, dass Jeremy unser Treffen nicht vergessen hat, denn mir ist das ziemlich wichtig. Immerhin habe ich nicht nur ihn und Avery eingeladen.

Mein Handy zeigt eine neue Nachricht an, die von Bronwyn ist. Sie schreibt, dass Xander im New Yorker Gefängnis gut aufgehoben ist und damit wenigstens eines unserer Probleme beseitigt wurde. Ich bin mir sicher, Hunter wird sich freuen, das zu hören, weshalb ich ihm einen Screenshot von Bronwyns Nachricht schicke und einen zufriedenen Emoji hinzufüge.

Er antwortet mit einem leicht lächelnden Smiley. Die drei ladenden Punkte werden angezeigt, aber ich komme nicht dazu, auf seine neue Nachricht zu schauen, weil sich mir zwei sehr bekannte Gesichter gegenübersetzen. Ich stehe sofort auf und werfe mich in Jeremys Arme, der meine Umarmung lachend erwidert. »Dachtest du etwa, ich komme nicht, Syd?«

Leicht nickend widme ich mich Avery, die ich freundlich anlächle. Sie macht es mir nach, zögert kurz und schließt mich dann ebenfalls in die Arme. »Geht es dir gut?«

Ich schüttle den Kopf. »Mir geht es hundsmiserabel.«

»Können wir irgendetwas für dich tun?«, fragt sie.

»Das könnt ihr wirklich. Es hat aber nichts mit Dean zu tun.«

Jeremy beugt sich misstrauisch über den Tisch zu mir herüber. »Nicht? Wenn du darüber reden willst, was mit ihm passiert ist, bin ich für dich da.«

Verwundert ziehe ich die Augenbrauen nach oben. Bei unserem letzten Besuch konnte Jeremy ihn nicht leiden. Er hat mich sogar vor ihm gewarnt.

Er bemerkt mein Misstrauen und lächelt. »Ich habe eine kleine Standpauke von der Dame neben mir bekommen ─«

»Die du verdient hattest«, fügt sie hinzu.

»Und ich will wirklich helfen, wo ich kann«, beendet Jeremy seinen Satz. »Du bist auf Deans Seite und ich bin auf deiner, Syd, was bedeutet, dass wir alle an dasselbe glauben.«

»Wie rührselig du heute bist.« Lächelnd schweift mein Blick über die Karte vor mir, wobei ich bemerke, dass ich eigentlich gar keinen Appetit habe. Ich bin jemand, der gerne isst ─ nur ist Essen bei mir in letzter Zeit ziemlich nebensächlich geworden, was völlig untypisch für mich ist.

Ich bestelle eine Portion Nudeln mit Gemüse und Tofu, wobei ich jetzt schon weiß, dass ich es nicht aufessen werde. Jeremy und Avery können sich nur schwer bei der Vorspeise entscheiden, weil Avery überhaupt nicht gerne Blätterteig mag und Jeremy unbedingt die Tomaten-Zucchini-Tartelettes essen will. Am Ende entscheiden sie sich für Frühlingsrollen und dabei sehen sie sich so verliebt an, dass ich einen kleinen Stich in der Brust verspüre.

Dean Walker | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt