KAPITEL V | Aufrüstung

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Niek spürte, wie sich alle Augenpaare im Labor erwartungsvoll auf ihn legten. Leben oder sterben? Worüber musste er da eigentlich noch nachdenken?

Doch dann ließ er seinen Blick über Skalli schweifen. Über die Krallenfinger, das reptilienartige Aussehen und die Hörner auf seinem Kopf. Er dachte zurück an Femkes Verwandlung, als sich ihre Gliedmaßen abnormal verformt hatten und sie zu etwas völlig Anderem wurde. Einem anderen Lebewesen.

Wie wäre es wohl, wenn er für immer sein Bewusstsein verlieren und als Drache durch das Land streifen würde?

Niek räusperte sich einmal, dann zwängte er aus trockenem Hals hervor: „Ich denke, ich will leben."

„Du denkst?", fragte Amalia mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ich bin mir sicher", korrigierte Niek sich blitzschnell. Er war sich sicher, dass er lieber das Risiko einging, ein Ganztagswandler zu werden, als in Menschenform wehrlos zu sein und in naher Zukunft zerfetzt zu werden. „Natürlich will ich leben."

„Das klingt doch schon besser", lächelte Skalli und warf Kadira einen auffordernden Blick zu.

Diese schien augenblicklich zu verstehen und klatschte begeistert in ihre Hände. „Dann werde ich dich gleich für die Reise ausstatten", verkündete sie und kletterte sogleich die Strickleiter empor, in das über ihnen liegende Lager.

Auch Skalli erhob sich nun wieder schwerfällig von seinem Platz. Dabei sah er wieder deutlich älter aus, als er eigentlich sein musste. Niek fragte sich, wie viel Schlaf er in der Nacht erhielt?

„In der Zwischenzeit können wir in die Haupthöhle gehen, die Jagdpatrouille müsste mittlerweile mit Essen zurück sein", sagte er, als er an Niek vorbeiging. „Du bist bestimmt hungrig."

Erst jetzt, wo Skalli ihn daran erinnerte, spürte Niek das Leeregefühl in seinem Magen. Er wusste nicht mehr, wie lange es her war, dass er gegessen hatte. Er wusste nicht einmal, wie lange er im Gefängnis auf seine Todesstrafe gewartet hatte.

Angesichts der Tatsache, dass er an der Oberwelt ausgesetzt worden war, als es bereits hell wurde, musste er die ganze Nacht in seiner Zelle verharrt haben. Ein wenig Essen würde ihm guttun.

Er folgte Skalli also empor ins Lager, wo Kadira noch immer in irgendwelchen Kisten wühlte. Amalias Einladung zum Essen lehnte sie herzlich ab, da sie viel zu vertieft in ihre aktuelle Arbeit war. Danach durchquerten die drei wieder die Soldatenhöhle, die noch immer ausgestorben vor ihnen lag.

Die Meter herab bis zum Boden, überwandte Skalli leichtfüßig mit einigen Sprüngen, bei denen er sich mit seinen Krallen im Gestein verankerte. Amalia tat es ihm gleich, während Niek unsicher die Strickleiter herabklettern musste. Unten angekommen warteten die beiden Oberweltler auf ihn, nur um ihn dann zu der Haupthöhle gleich nebenan zu begleiten.

„Hier halten wir Versammlungen und essen zusammen. Man könnte es als Gemeinschaftsraum bezeichnen", erklärte Skalli ihm, als sie zu dritt durch den großen Höhleneingang traten.

Die Höhle war weit und offen. Ihr Eingangsbereich war mit Efeuranken bewachsen, die von draußen hereinwuchsen. In der Mitte befand sich ein zusammengewerkelter Tisch mit Steinen und Baumstücken drumherum, die man wohl als Stühle bezeichnen konnte.

Auf einigen der Stühle saßen Personen, die gerade lauthals untereinander Essen verteilten – Beeren, Früchte und auch Fleisch. Viele von ihnen hatte ungewöhnliche Haarfarben und trugen Hörner oder hatten andere Drachenmerkmale an sich. Als Skalli und Amalia mit Niek in die Höhle traten, wandten sie ihre Blicke zu ihnen um. Einige musterten Niek länger, andere wandten ziemlich schnell wieder ihre Aufmerksamkeit zum Essen zurück.

Dragontale - Etappe IWhere stories live. Discover now