KAPITEL XXII | Verräter

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Er wusste, wer Cees Lecon war. Seinen Namen hatte er zum ersten Mal auf dem Zeitungsblatt entziffern können, doch bereits vor diesem Tag war er Cees bereits begegnet. Den Zusammenhang hatte er erst im Nachhinein verstanden, doch das erste Mal, dass er Cees begegnet war, war als Niek gestohlen hatte. Damals waren Nieks Eltern noch nicht allzu lange tot gewesen und Niek war noch neu in der kriminellen Szene.

Er hatte sich im Vorbeigehen eine Handvoll Dimen eingesteckt, die ein Marktstand-Besitzer achtlos auf dem Verkaufstisch hatte liegen lassen, während er gerade einen anderen Kunden bediente.

Als Niek die Münzen still und heimlich in seiner Hosentasche verschwinden ließ und prüfend zur Seite blickte, bemerkte er den Blick eines Soldaten auf ihm. Der Mann hatte pechschwarze, ordentlich nach hinten gekämmte Haare und Augen in dem dunkelsten Braun, welches Niek je gesehen hatte.

Der Soldat schaute Niek direkt an. Seine Augen eine alles verschlingende Finsternis.

Er wusste es. Er hatte es gesehen.

In diesem Moment hatte Niek geglaubt, dass er nun sterben müsste. Der Soldat würde ihn verhaften und dem König zum Fraß vorwerfen. Eine harte Bestrafung wäre die Konsequenz. Doch anstatt Niek festzunehmen, machte der Soldat wortlos kehrt und ließ Niek auf dem Marktplatz zurück.

Niek war daraufhin nach Hause gerannt und hatte dort darauf gewartet, dass Soldaten an seiner Tür klopfen würden, um ihn mitzunehmen. Doch niemand kam. Auch nicht nach Tagen.

Erst da verstand Niek, dass der Soldat ihn hatte ziehen lassen. Der Soldat hatte sich seiner Pflicht gegenüber dem König widersetzt. Er wusste nicht, wie er dem Mann jemals dafür danken könnte. Keine Worte dieser Welt wären dafür ausreichend.

Es vergingen Wochen. Der Vorfall war bereits in den Hinterkopf von Niek gerückt und kaum mehr als eine vage Erinnerung. Doch als Niek an diesem Tag durch die Gassen des Bezirks Aries wanderte, erkannte er das Gesicht des Mannes auf Anhieb und die Erinnerung kam wieder in den Vordergrund.

Der Mann kam um eine Straßenecke gelaufen. Niek sah sein Gesicht nur flüchtig, ehe ihm der Rücken zugedreht wurde, da der Soldat in die andere Richtung davonging. An diesem Tag trug er nicht seine Soldatenuniform, doch Niek erkannte den Mann dennoch.

Niek machte einen Schritt nach vorne und dachte darüber nach, ihm hinterherzurennen, um ihn zu danken, doch in diesem Augenblick stolzierte eine blonde Frau um die Hausecke und schloss sich dem namenlosen Mann an.

Die Frau schien wütend und fluchte lautstark, während sie mit dem Mann schritthielt.
Niek blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete die beiden dabei, wie sie zwischen den Gassen des Bezirks verschwanden.

Er hatte seine Chance verpasst. Danach hatte er den Mann nie wieder gesehen und einige Tage später fand er auf dem Boden Zodiacs den zerfetzten Zeitungsartikel über Cees Lecons Tod.

Niek verstand, dass Skalli ihm sein Leben nicht nur einmal an der Oberwelt gerettet hatte. Nein, er stand dem ehemaligen Soldaten bereits zweimal in der Schuld. Er hatte ihm so vieles zu verdanken.

x x x

Niek hatte sich noch nie so sehr darüber gefreut, den freien Himmel über sich zu sehen, als er durch die Öffnung des Schachtes an die Oberwelt krabbelte. Seine Schulter pochte vor Schmerzen im Gleichtakt mit seinem Herzen und sein Körper protestierte mit lahmen Gliedmaßen gegen seine Erschöpfung.

Trotzdem wählten er und Skalli den kürzesten Weg zurück zum Lager und schleppten sich so schnell wie möglich durch den finsteren Wald. Nachtaktive Tiere zirpten im Gras und raschelten im Unterholz. Der Mond hing blutrot über ihnen, der Anblick war beängstigend. Aus den unteren Ebenen von Zodiac hatte Niek nie den Mond beobachten können, auch wenn regelmäßig die Mondfinsternis gefeiert wurde.

Dragontale - Etappe IWhere stories live. Discover now