KAPITEL XIV | Intelligente Jäger

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Niek rieb sich unruhig seine Handgelenke. Es fühlte sich an, als würden Ameisen unter seiner Haut krabbeln und ihn beißen. Als er in der Dunkelheit der Nacht hinab auf seine Hände blickte, erkannte er, dass die Nägel an seinen Händen länger zu sein schien und seine Fingerkuppen schienen sich schwarz zu verfärben – oder waren es nur Schatten?

Entsetzt blinzelte er mehrmals, doch die Erscheinung verschwand nicht. Als er sich nervös auf die Lippe biss, spürte er seine spitzen Zähne – waren sie etwa noch schärfer als zuvor? Das Blut, was er plötzlich schmeckte, lieferte ihm die Antwort: Er würde sich verwandeln.

Nein, nein, nein!, dachte Niek sich in Dauerschleife. Das darf nicht passieren! Er raufte sich die Haare und kniff seine Augen fest zusammen. Er musste sich konzentrieren, auf irgendwas, aber nicht auf den Drang. Nicht auf das Ziehen in seiner Brust oder auf die vielen Geräusche des Waldes, die plötzlich so viel lauter klangen. Es dröhnte in seinen Ohren: Das Rascheln von Beutetieren im Unterholz.

Niek schlug sich selbst mit seinem Handballen gegen den Kopf. „Hör auf", sagte er zu sich selbst und konzentrierte sich auf den erdigen Boden vor sich. In der Dunkelheit wirkte er beinahe schwarz und nichts regte sich dort. Kein noch so kleiner Käfer. Nichts von Interesse.

Und desto mehr er sich auf die Stille in seinem Bau und seinen sich langsam beruhigenden Herzschlag konzentrierte, umso freier konnte er atmen. Er erinnerte sich daran, durch welchen Stress seine Kameraden bei seinen unkontrollierten Verwandlungen gingen – beim ersten Mal hatte er beinahe Gina getötet. Wenn er es nun schaffen würde, sich zurückzuhalten, könnte er morgen stolz davon erzählen. Skalli wäre stolz, nicht wahr?

Der Drang klang nach und nach mit seinem Gedankenschwall ab und bald befand er sich allein in seinem Bau in der Höhle zwischen den Wurzeln. Außer seinem tiefen Ein- und Ausatmen war die Welt still.

Erschöpft fuhr er sich mit seinen Händen durch sein Gesicht und danach durch seine Haare. Dann ertastete er den Boden unter sich, so als würde er sich versichern wollen, dass ihm der Boden nicht unter den Füßen weggezogen wurde und er immer noch anwesend war. Er hatte sich nicht verwandelt. Er war ein Mensch und das würde sich auch nie ändern. Ich habe Kontrolle über das, was ich tue, redete er sich ein. Doch über seinen Schlaf hatte er in dieser Nacht keine Kontrolle mehr.

So ausgelaugt er sich nach dem Vorfall auch fühlte, er konnte nicht mehr schlafen. Daraufhin ging er zurück zum Lager. Dort auf der Lichtung fing Amalia ihn bereits ab, die in dieser Nacht wohl Wache hielt und ihn hatte kommen sehen.

„Ist etwas passiert?", fragte sie ihn besorgt.

Niek schüttelte den Kopf und fuhr sich ein weiteres Mal müde durch das Gesicht. „Ich kann nicht mehr schlafen. Ich hätte mich fast verwandelt, aber ich konnte mich zurückhalten."

„Du konntest es kontrollieren?", hakte Amalia verwundert nach.

Ihr Gegenüber nickte.

„Aber das ist großartig!", rief die Erste Offizierin begeistert. „Dann wird Skalli bestimmt zustimmen, dass du im Lager schlafen kannst."

„Echt?" Das waren wirklich gute Nachrichten. Dann müsste er nicht mehr allein und abseits der anderen seine Nächte verbringen müssen. So ungerne er es auch zugab, aber nachts allein im Wald konnte es durchaus gruselig werden. Auch wenn man seine Höhle vom Wächterposten aus erkennen konnte, fühlte man sich nicht wirklich geschützt.

Die Nacht verbrachte Niek dennoch rastlos. Als die Sonne gerade aufging, wurde Amalia von Bente abgelöst, der für den Tag die Wache übernehmen würde. Danach erwachten auch die anderen langsam zum Leben. Die Jagdpatrouille machte sich schnell auf den Weg. Nur kurz darauf teilte Amalia die Grenzpatrouille ein, die losziehen würde, sobald sie etwas Gegessen hätten.

Dragontale - Etappe IWhere stories live. Discover now