KAPITEL XVI | Jäger oder Gejagter?

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Skalli war daran gewöhnt, dass Neulinge ihn nach seinen Namen fragten – manchmal auch zweimal. Er hatte noch nie darauf geantwortet. Niemand außer Jorik kannte seinen Geburtsnamen und so sollte es auch bleiben – vorerst.

Reynold war eine der direkteren Anfragen gewesen. Manche versuchten ihre Kuriosität etwas besser zu verstecken als die Frau, Taro Mulder zum Beispiel.

Als der ehemalige Heiler sich den Aufständlern angeschlossen hatte, das war noch gar nicht allzu lange her, da war er Skalli neugierig aber auch mit großem Respekt entgegengetreten. „Hast du damals in Zodiac auch schon rebelliert, oder kam das erst, als du verstoßen wurdest?", hatte der Ältere ihn damals gefragt. Aus der Frage war kaum hervorgegangen, dass er sich für seine Identität interessierte, aber Skalli hatte seine Intention dennoch verstanden. Er war Mulder dafür nicht böse, im Gegenteil, er war ihm dankbar für die Vorsicht, mit der er an das Thema heranging. Dennoch erhielt er keine zufriedenstellende Antwort.

Reynold hingegen schien nicht einmal darüber nachzudenken, was er wohl damit zu bezwecken versuchte, wenn er sich lediglich mit einem Spitznamen ansprechen ließ. Er konnte es nicht leiden, wenn Menschen nicht nachdachten, aber er würde es ihr nicht übelnehmen. Vielleicht würde sie nach seiner Abfuhr darüber nachdenken, dass sie alle ihre eigenen Bürden und Geheimnisse mit sich trugen. Sicherlich hatte sie auch ihre.

Skalli wartete schweigend am Fuße seines Baumes und beobachtete Reynold schweigend dabei, wie sie sich auf den Weg zum Heilerbau machte, während Adam sich auf den Weg zum Quarantänebau machte. Dem Neuen ging es nach seiner Erstverwandlung überraschend gut, weshalb er ihn zur Sicherheit jetzt bereits über Nacht von den anderen abkapselte. Es kam nicht oft vor, dass Neuankömmlinge nach ihrer Erstverwandlung nicht krank wurden, aber manchmal kam es vor – Westerbeck war damals so ein Sonderfall, so wie sie es eigentlich immer überall war.

Beide Neulinge hatten relativ harmlose, herbivore Drachenformen, dennoch würden sie die erste Zeit zur Sicherheit außerhalb des Lagers verbringen. Auch Herbivoren konnten Schäden am Lager anrichten.

Erst als Skalli die beiden nicht mehr sehen konnte, kletterte er den breiten, rauen Stamm seines Baumhauses empor und legte sich in seiner Hütte zu schlafen. Morgen würde er die Patrouille anführen, die das Gift für ihre Mission anschaffte und dafür müsste er bei vollen Kräften sein.

Sinornith waren gerissene, kleine Mistviecher, die ihre Beute mit einem giftigen Biss lähmten. Eigentlich wollte Skalli es wirklich vermeiden, solche Risiken einzugehen, aber für die Icarus-Mission müssten sie gut ausgerüstet sein. Nicht nur gut, sondern hervorragend. Er zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass die Mission den Aufwand wert war, als er die Augen schloss und in einen unruhigen Schlaf sackte.

Wie immer wachte er zum Sonnenaufgang auf. Die orangenen Strahlen fielen durch einige Löcher in seiner Höhlendecke aus Stroh und Blättern und sprenkelten den Holzboden mit Flecken aus leuchtendem Gold.

Wie immer hätte er noch fünf Stunden länger schlafen können.

Wie immer stand er dennoch auf.

Er ging in den Wächterbau und teilte dort die beiden zuständigen Personen ein, die die jeweilige Morgenpatrouille absichern würde. Die Wächter kletterten daraufhin in den Soldatenbau nebenan, um dort den Rest ihrer Patrouille zusammenzutrommeln.

Skalli dachte derweil angestrengt darüber nach, wer die Nachtwache am Ausguck ablösen sollte und stellte wie jeden Tag fest, dass sie viel zu wenige Mitglieder hatten. Sie könnten Verstärkung gebrauchen.

Nach dem Frühstück wartete er in der Lagermitte darauf, ob sich ihm jemand für die Giftpatrouille anschließen würde. Im umliegenden Wald konnte er die Insekten zirpen hören und in der Luft schwirrte es nur so vor Fluginsekten. Eigentlich war der Tag viel zu schön, um sich auf die Jagd nach einem gefährlichen Drachen zu begeben.

Dragontale - Etappe IWhere stories live. Discover now