KAPITEL XVIII | Mondfinsternis

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Das ganze Lager hatte sich vor dem Eingang der Gemeinschaftshöhle versammelt. Im Mittelpunkt standen Niek und Skalli, was Niek ganz und gar nicht gefiel, denn es bedeutete, dass heute der entscheidende Tag gekommen war. Die Mondfinsternis. Der Tag, an dem sich entscheiden würde, ob ihre Träume nur Träume bleiben würden.

Noch war es Nachmittag, aber zum Abend hin würden in Zodiac die Feierlichkeiten der Heliosken beginnen und dann müssten die beiden Aufständler sich unter die Leute mischen. Niek trug – ebenso wie Skalli – volle Montur mit so vielen Gelenkschonern wie nur möglich, den Knieschonern ausgeschlossen, und einem vollgepackten Rucksack mit all der Ausrüstung, die sie auf den letzten Patrouillen zusammengesucht hatten.

Vor nur einigen Minuten hatte Niek noch mit den anderen in der Höhle gesessen und ausgiebig gegessen. So satt wie heute war er seit... Nun, seit einer ziemlich langen Zeit nicht mehr gewesen. Es war so lange her, dass er sich gar nicht mehr an den Zeitpunkt erinnern konnte.

Und danach hatten sich alle vor der Höhle versammelt und ihren beiden Kameraden viel Glück gewünscht.

„Passt auf euch auf."

„Zeigt diesen Unterweltlern, was wir vom König halten."

„Kommt sicher zurück."

Danach waren Niek und Skalli in den Wald gelaufen, in die Richtung des Flusses und des Zodiac-Bergs. Desto weiter sie sich vom Lager entfernten, umso schwerer schien die Tasche auf Nieks Schultern zu liegen und ihn zu Boden zu drücken und die plötzliche Stille, die sich über sie legte, wog wie Beton. Nur ihre Schritte, die vom Laubboden gedämmt wurden, und das Zwitschern von Vögeln war zu vernehmen und das machte Niek wahnsinnig.

Eigentlich war der Tag ein schöner – am hellen Himmel hingen nur ein paar flauschige Wolken und die Luft war nicht ganz so schwül und drückend wie an so vielen anderen Tagen. Aber natürlich konnte Niek nicht einfach das Wetter genießen, gerade an diesem schönen Tag musste er die Icarus-Mission ausführen. Er würde zurück in die Schächte und Höhlen müssen, die so viele Jahre lang sein Gefängnis gewesen waren.

„Bist du nervös?", fragte er Skalli nach einer Weile, um der Stille zu entfliehen. Den Fluss hatten sie bereits hinter sich gelassen. Lange würde es demnach nicht mehr dauern, bis der Wald sich lichten und der Berg vor ihnen zum Vorschein kommen würde.

„Natürlich", entgegnete Skalli, so als wäre es selbstverständlich.

„Du wirkst nicht so", stellte Niek fest.

„Wirklich?", kam es vom General, welcher ihm daraufhin ein schwaches Lächeln zuwarf, ehe er sich wieder auf den Weg vor sich konzentrierte und sich mit seinem Schwert einen Weg durch die Farne und Sträucher des Waldes schlug. „Dann schein ich etwas richtig zu machen, ich will dich immerhin nicht auch nervös machen."

Niek schnaubte ungläubig. „Das bin ich doch schon."

„Ist okay", versicherte der General ihn: „Nur vergiss nicht fokussiert zu bleiben."

„Schon klar", murmelte Niek kaum verständlich. Fokussiert bleiben, dachte er sich. Das war leichter gesagt als getan. Er musste an all die Dinge denken, die schief gehen könnten. Ihre Mission könnte schon daran scheitern, dass sie nicht in die Schächte kämen oder weil sie entdeckt werden würden. Und dann würde man sie ins Gefängnis stecken und verurteilen und dieses Mal würde ihre Todesstrafe sicherlich nicht daraus bestehen, dass man sie der Oberwelt auslieferte. Und die Chance, dass etwas schieflief, war groß. Sie waren nur zu zweit und Skalli war verletzt. Was man wohl mit ihnen anstellen würde, wenn man sie fasste?

„Wir sind gleich da", riss Skalli ihn aus seinen fatalen Gedanken.

Niek hatte gar nicht mitbekommen, wie das Unterholz sperriger wurde und die Bäume um sie herum, immer größere Abstände zueinander einnahmen. Hinter der Wand aus Holz und Lianen konnte Niek Gestein erkennen: Der gigantische Zodiac-Berg ragte dort in die Höhe.

Dragontale - Etappe IWhere stories live. Discover now