Kapitel 35 - Tausend kleine Teile

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[GRACE]

Ich bin verrückt. Ich bin verrückt. Ich. Bin. Verrückt!

Die Worte jagten mir ununterbrochen durch den Kopf, während ich meinen Mini an der nächsten Ampel abbremste. Nervös warf ich einen Blick in den Rückspiegel und starrte in mein erhitztes Gesicht.

»Was machst du nur«, murmelte ich meinem Spiegelbild leise zu und zuckte zusammen, als hinter mir jemand hupte. Hastig schaltete ich in den ersten Gang und ließ die grün leuchtende Ampel hinter mir, so, wie es das Navi in meinem Handy verlangte. Das Ziel war die Adresse von Connors Handy. Ich war geradewegs auf dem Weg zu dem Ort, an dem mein Vater sich erhoffte die Dealer und die Guardians zu fassen.

Und wenn du dort bist, was machst du dann?, meldete sich eine leise Stimme in meinem Hinterkopf zu Wort und sorgte dafür, dass mein Herzschlag sich beschleunige. Das war tatsächlich eine berechtigte Frage. Kurz nachdem ich das Telefonat mit Cole beendet hatte, welches mich in vielerlei Hinsicht aufgewühlt hatte, hatte ich den Entschluss gefasst, ebenfalls hinzufahren. Einfach, um dort zu sein, ohne zu wissen, was mein Ziel war. Wollte ich die Polizei daran hindern, dass sie die Guardians schnappten? Die Arbeit meines Vaters stören und womöglich schuld daran sein, dass die Dealer wieder entwischten? Das ganze war eine verdammte Schnappsidee. Und trotzdem drehte ich nicht um.

Das Navi führte mich in die entgegengesetzte Richtung der Stains, an den Rand der Stadt. Ich war noch nie hier gewesen, doch ich wusste, dass die Viertel ärmer waren. Die Dämmerung fiel über die Stadt und tauchte die Häuser langsam in Dunkelheit. Nach und nach ging die Beleuchtung an und erhellten die Straßen, die ich passierte.

Nach einer halbstündigen Fahrt warf ich einen Blick auf die Uhr. Ich war fast da, doch es würde laut der Nachricht noch etwas dauern, bis die Übergabe stattfand. Also lenkte ich mein Auto auf den Parkplatz eines schäbig wirkenden Diners, dessen Reklameschild über dem Eingang unruhig flackerte.

Als ich den Imbiss betrat, schlugen mir warme Luft, Rockmusik und ein fettiger Geruch entgegen. Ich ging an mehreren Truckerfahrern vorbei und ließ mich am Tresen auf einem der abgeranzten Barhockern nieder. Eine schlecht gelaunte Bedienung brachte mir nach mehreren Minuten Wartezeit die bestellte Limo, welche mehr Eiswürfel als Getränk beinhaltete, und knallte mir eine unverschämt hohe Rechnung daneben. Seufzend zog ich mein Handy aus der Tasche und öffnete nach kurzem Zögern die neue Nachricht von Zola.

Zola: Ich koche gerade Chili sin Carne... Wann bist du da? :)

Ich biss mir nervös auf die Unterlippe, während die Bedienung mich ununterbrochen beobachtete. Unauffällig sah ich mich um. An den Wänden hingen alte Nummernschilder, Schallplatten von Rockbands und sogar einige Waffen. Ich passte mit meiner blauen Jeans, dem Top und der schwarzen Kapuzenjacke nicht sonderlich gut hier her. Schnell senkte ich den Blick auf mein Handy.

Grace: Lecker! Ich komme heute leider erst später, du musst nicht auf mich warten.

Grace: Aber guten Appetit! Nächstes Mal bin ich dabei :P

Mit einem schlechten Gewissen ließ ich mein Handy sinken. Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, Zola zu erzählen, was ich vorhatte, doch ich wollte sie nicht unnötig beunruhigen. Und außerdem hatte ich selbst keine Ahnung. Unruhig hob ich die Hand und fasste nach der kleinen Schreibmaschine an der Kette, die um meinen Hals hing. Das Material fühlte sich angenehm kühl zwischen meinen Fingern an, und beruhigte mich. Ich wusste nicht, wieso ich Coles Geschenk mitgenommen hatte, doch jetzt hoffte ich einfach nur, dass es mir Glück brachte.

Ich griff gerade nach meinem Glas, als mein Handydisplay aufleuchtete.

Zola: Danke! Ich stelle dir etwas in den Kühlschrank. Bis später.

Nobody Gotta Know | ✓Where stories live. Discover now