Kapitel 37 - Wahrheit

333 38 40
                                    


[GRACE]

Ich betrat das Präsidium mit gemischten Gefühlen. Obwohl ich auf dem Weg hierher versuchte hatte ruhig zu bleiben, raste mein Herz in diesem Moment. Fast so sehr, wie heute morgen, als ich Dads Nachricht gelesen hatte, in der er mich bat, vorbei zu kommen. Meine Finger umfassten den kühlen Griff der Eingangstür, und Erinnerungen durchströmten mich, als ich die schwere Tür aufdrückte.

Früher, als Kind, war ich oft mit meiner Mutter hierher gekommen, um Dad von der Arbeit abzuholen. Damals war die Tür viel zu schwer gewesen, und jedes Mal hatte ich es nicht geschafft, sie alleine zu öffnen. Während meine Mom versucht hatte, mich zu ermutigen, noch stärker zu drücken, war oft einer der Polizisten vom Empfang gekommen und hatte mir geholfen. Über die Jahre hinweg wurden die Besuche meiner Mutter auf dem Präsidium weniger, und meine mehr. Fast jeden Tag nach der Schule war ich an der naheliegende Bushaltestelle ausgestiegen und in Dads Mittagspause vorbeigekommen. Einfach, um nicht sofort nach Hause und zu dem strengen Blick meiner Mutter zu müssen. Wir hatten in seinem Büro gegessen, mit seinen Kollegen geredet oder waren zu einem Imbiss gefahren. Ich kannte fast alle Kollegen meines Dads beim Namen, und viele von ihnen kannten mich von klein auf. Ich verband so viele Erinnerungen mit diesem Ort, dass ich ihn fast als ein zweites zu Hause bezeichnen könnte.

Als ich jetzt in den kühlen Eingangsbereich trat, war mir mulmig zumute. Ich verband mit der Polizei nur positive Erinnerungen. Cole hingegen hatte etwas erlebt, was ihn einen anderen Blick auf diesen Job werfen ließ. Und ich konnte ihn verstehen. Das, was er mir gestern erzählt hatte, war unbeschreiblich schrecklich und hatte mich zum Nachdenken angeregt. Die meisten Polizisten taten alles, um zu helfen. Doch es gab immer Ausnahmen.

Officer Miller, der hinter dem Empfangstresen stand, sah von seinem Computer auf und lächelte mir zu. »Hey Grace, lange nicht gesehen. Wie geht's?«

Ich erwiderte seine Begrüßung lächelnd. »Alles gut, und selbst?«

Er hob die Schultern. »Ich kann mich nicht beschweren. Ich glaube, deine Eltern warten im Büro auf dich.«

Alarmiert hob ich den Kopf. »Meine Eltern?«

Officer Miller warf mir erneut ein Lächeln zu, dieses Mal mitfühlend. »Viel Glück.«

»Danke«, murmelte ich, während ich mich innerlich bereits für das wappnete, was gleich folgen würde. Ich lief durch den langen Gang, bog nach links ab und blieb vor der ersten Tür auf der rechten Seite stehen. Noch einmal atmete ich tief durch, dann klopfte ich und drückte die Türklinke herunter.

Kühle Luft schlug mir entgegen, und automatisch zog ich mir meine Jacke enger um den Körper. Meine Mom stand neben dem geöffneten Fenster. Die roten lockigen Haare trug sie offen über ihrem braunen Designermantel, und zu ihren Füßen stand eine ebenfalls braune Handtasche. Sie hatte die Hände in die Seiten gestemmt, während sie von dem Durcheinander auf dem Schreibtisch aufblickte und mir entgegensah.

Dad saß auf seinem Schreibtischstuhl und blickte mich ebenfalls an. Ich musste schlucken, als sich unsere Blicke kreuzten. Die Erinnerungen an unser gestriges Gespräch überkamen mich, und ich spürte, wie mir übel wurde. Es tat weh, ihn zu sehen, da ich wusste, wie sauer und enttäuscht er von mir war. Und das zu recht.

»Hallo«, sagte ich lahm und schloss die Tür hinter mir. Ich wollte die anderen Menschen auf dem Gang vor dem kommenden Ausbruch meiner Mutter bewahren.

»Da bist du ja endlich!« Der Vorwurf, welcher in Moms Stimme mitschwang, sorgte bereits dafür, dass sich Trotz in mir breitmachte.

»Tut mir leid, ich war erst wo anders, weil ich dachte, ich werde in einer Zelle befragt«, murmelte ich und biss mir schnell auf die Lippe. Die Worte waren mir nur so herausgerutscht, doch der wütende Blick meine Mutter zeigte mir, dass sie jedes einzelne verstanden hatte.

Nobody Gotta Know | ✓Where stories live. Discover now