16. Kapitel

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16. Kapitel

Manchmal ist es bloß ein Kratzer, ein Jucken in den Fingerspitzen. Manchmal scheint es wie ein Einschlag im eigenen Kopf. Dieses Gefühl was in einem aufsteigt, wenn man unweigerlich weiß, dass es jemandem den man liebt schlecht geht. Es ist schwer zu beschreiben, vielleicht auch gar nicht richtig da, doch es reicht oft um einen aus dem Bett zu treiben, vor die Tür des Anderen oder ans Telefon. Nur eben nicht immer. Denn manchmal, da bleibt man wo man ist und macht sich vor es würde schon werden. Auch ohne einen.

Glücklich lag ich im Bett neben Alex. Er war bereits eingeschlafen, atmete ruhig und stetig, doch ich war noch hellwach. Selbst eine heiße Dusche hatte mich nicht beruhigen können. Also stützte ich mich auf den linken Ellebogen und beobachtete ihn beim Träumen. Er bewegte sich nicht, auch sein Gesicht zeigte im Grunde keine Regung, dennoch wusste ich dass er nicht nur schlief. Denn da war dieses Zucken seines rechten Mundwinkeln, dass sich nur zeigte, wenn er am träumen war. Vielleicht war es seltsam, dass ich das wusste doch irgendwie fand ich es schön. Es fühlte sich gut an, dass ich ihn so gut kannte und ihm nah sein konnte. So gut, dass mir der Gedanke es oder viel mehr ihn verlieren zu können Angst machte. Aber irgendwie war mir schon damals klar, in jenem Moment, dass es meine Schuld sein werden würde. Und das machte mir keine Angst, sondern ließ heiße Wut auf mich selbst in meinem Inneren aufsteigen.

Seufzend ließ ich mich ins Kissen sinken. Meine Gedanken wurden von Minute zu Minute beunruhigender, obwohl ich vor wenigen Momenten noch einfach nur glücklich gewesen war. Offensichtlich stimmte etwas ganz und gar nicht mit mir. Vielleicht sollte ich daran arbeiten, bevor es zu spät war.

Gerade wollte ich mich an Alexander kuscheln, die Augen schließen und über das Geräusch seines pochenden Herzens einschlafen, als mein Handy ein lautes Klingeln von sich gab. Erschrocken und über mich selbst verärgert weil ich es nicht auf stumm geschaltet hatte und es vermutlich Alex wecken würde, fuhr ich hoch und griff nach dem vor sich hindudelndem Ding. Ohne auf dem Namen sondern mehr auf die Uhrzeit achtend, hob ich ab und murmelte leise:

„Wer stört um zwei Uhr in der Nacht?"

Kein Wort kam vom anderen Ende der Leitung, doch was ich stattdessen hörte, machte mir mehr Sorgen als jedes Wort es hätte tun können. Schweres, hektisches Atmen. Es klang wie ein gehetztes Tier oder jemand der einen Albtraum hatte. Aber da weder Tiere noch schlafende Menschen telefonierten, konnte es keins von Beidem sein. Etwas stimmt nicht, wer auch immer mich da anrief hatte etwas.

Besorgt runzelte ich die Stirn und schlug die Decke zurück, damit ich aufstehen konnte. Noch einen Blick in Alexanders Richtung werfend, tapste ich aus dem Zimmer auf den Flur hinaus und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Hallo? Wer ist da?"

Erneut kam keine Antwort. Irritiert schaute ich auf das Display. Die Nummer sagte mir nichts, war auch nicht in meinem Telefonbuch eingespeichert. Wer zum Teufel rief denn bitte um diese Uhrzeit an? Und was sollten diese Töne?

Mit jeder Sekunde die verstrich, klang wer auch immer da am andern Ende war schlechter. Fieberhaft überlegte ich, wer es sein könnte. Doch ich hatte die Nummern von allen wichtigen Menschen in meinem Leben und niemand hatte sich gerade ein neues Handy zugelegt. Moment ... das stimmte nicht ganz.

„Leo?", fragte ich leise.                 

Für einen Augenblick stockte dem Anrufer der Atem. Dann begann er hektischer als zuvor zu Schnaufen. Im Hintergrund meinte ich Schritte zu hören, war mir aber nicht sicher. Ein leiser flehender Ton drang an mein Ohr. Dann sagte er ein Wort. Eins dass mit solch kindlicher Stimme gesprochen wurde und so voller Angst und Panik war, dass es mir beinah das Herz zerrissen hätte:

My Brothers Keeper (TNM-#2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt