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Gebannt starre ich auf die Tür, lasse den Anhänger unter die Decke gleiten. 

Halblange, gewellte nussbraune Haare kommen zum Vorschein. Ein Kribbeln, wie ich es kenne, beginnt sich leicht in meinen Bauch zu schleichen. 

Fay streicht sich die Haare aus ihrem Gesicht, so wie sie es immer tat, nur waren sie damals noch wesentlich länger. Sie lächelt mich an und tritt dann näher. Zögernd, als würde sie überlegen, was klug ist, setzt sie sich dann doch auf den Stuhl, auf dem vorher noch Ben saß. 

»Hey Jul. Geht es dir besser?« 

»Ja, denke schon. Mein Kopf macht manchmal noch Zicken, aber das wird schon. Was ist mit dir?« 

»Was meinst du?« 

»Du scheinst irgendwie abgelenkt oder verunsichert. Ich weiß nicht genau.« 

»Nein, quatsch. Ich wollte nur warten und dich dann auch endlich mal zu Gesicht bekommen.« 

»Ja, Ben war hier und vorher habe ich anscheinend viel geschlafen.« 

»Du hast wirklich viel geschlafen. Ich hab mir schon Gedanken gemacht, ob du noch zu Kräften kommst.« 

»Sah es so übel aus?« 

»Schon 'nen bisschen.« 

»Mir geht es wirklich besser, musst dir keine Gedanken machen, ok?« 

»Mmmh, ja. Kennst mich doch.« 

»Allerdings, obwohl du mir so schienst, dass du durch die USA einiges an Selbstvertrauen aufbauen konntest.« 

»Vielleicht schien es ja auch nur so.« 

»Naa, ich weiß nicht, aber das werde ich ja noch herausfinden, he?!« 

»Wenn, dann du.« 

»Fay, ich sagte doch, es geht mir wirklich besser.« 

»Ja, ich glaube dir auch.« 

»Was ist denn dann noch?« 

»Ich ... Ach ist doch jetzt erst einmal egal. Kann ich dir irgendetwas Gutes bringen?« 

»Du kannst mir erzählen, was dich bedrückt.« 

»Hätte ich ahnen können.« 

»Was?« 

»Dass du nicht aufgibst.« 

»Na du kennst mich doch genauso.« 

»Jul, ich mache mir ...« 

Just in diesem Moment kommen meine Eltern reingeplatzt und ich erfahre nun nicht, was ihr auf dem Herzen liegt. 

Wir essen alle gemeinsam zu Abend im Klinikzimmer, weil ich mich mit der Gehirnerschütterung nicht bewegen soll. Danach verabschieden sich zunächst meine Eltern und warten draußen auf dem Gang auf Fay, weil sie sie mit zu sich nehmen. 

Fay kommt zu mir, ich nehme instinktiv ihre Hand in meine und sie gibt mir einen Kuss auf die Stirn und wünscht mir eine erholsame Nacht. 

Es fühlt sich wunderschön und echt an, wie schon lange nicht mehr. 

Nachdem sie alle gegangen sind, grübele ich noch lange über den abgebrochenen Satz von Fay, finde jedoch keine Antwort und falle irgendwann in den Schlaf. 

-

Nur noch einen Tag, so hoffe ich, dann kann ich endlich nach Hause. Einer meiner ersten Gedanken eben nach dem Aufwachen. Ob meine Eltern mich getrost in meine Wohnung gehen lassen, bin ich mir nicht sicher und um eine Diskussion aufzunehmen, bin ich momentan nicht gewappnet, dazu fehlen mir die Kräfte. Ich warte einfach mal ab, was die sich überlegen. 

Sie werden mich heute auch besuchen kommen und mir sicherlich ihren Plan präsentieren. 

Wie auf Kommando geht die Tür auf und sie trudeln hinein mit Fay. Ihre wunderschönen grünen Augen strahlen mich an und lassen mich direkt freudig erregen. Ich bin so glücklich darüber, dass sie wohlauf ist. 

Die drei haben aus der Cafeteria Kuchen und Kaffee für uns alle mitgebracht, den wir bei einem fröhlichen Gequatsche verzehren. Ich beobachte sie alle zusammen, wie sie lächeln und lachen, fröhlich wirken, locker miteinander plaudern, es ist so schön zu sehen, dass meine Eltern Fay nach der langen Abwesenheitszeit herzlich aufnehmen. Das hat sie auch verdient. Ich wünschte mir für sie immer das Beste, vor allem voran, dass meine Familie sie aufnimmt, weil sie selbst keine mehr hat. Aber da Fay ein herzensguter Mensch ist, war das gar nicht schwer. Meine Eltern waren damals direkt bezaubert von ihr. 

Da ich unter großem Trennungsschmerz litt, als sie sich damals im Auslandssemester dazu entschied, in den USA zu bleiben, auch dort ihr Studium zu beenden und wir uns nie wieder sehen sollten, somit ebenso unsere Beziehung als beendet galt, war ich sehr besorgt, dass meine Eltern ihr das übel nachsehen könnten. Aber meine Sorge war glücklicherweise unberechtigt. 

Seit Langem, auch wenn ich in einem Krankenhausbett liege, fühle ich mich einfach wohl. Wir sind hier in diesem Moment wieder eine Familie. 

»Jules, hast du gehört?« 

»Wie bitte Papa?« 

»Ich sagte doch, dass sie dich nicht wahrgenommen hat.« Meine Mutter grinst meinem Vater zu. 

»Ja ja du hattest recht. Also Jules, wir haben uns überlegt, dass, wenn du morgen entlassen wirst, wir dich gerne erst einmal mit zu uns nehmen würden. Na ja, falls es dir nicht so gut geht, dann ist jemand da. Verstehst du, wie wir meinen?« 

»Ja, habe ich mir schon gedacht.« 

»Na ja und wir wohnen eben auch in der Stadt und du weiter raus, das ist ja auch etwas günstiger, wenn du mal raus willst, hast du kürzere Wege«, schließt sich meine Mutter an. 

»Ja, ich verstehe schon.« 

»Fay kann auch erst einmal noch bei uns bleiben. Sie hat ja noch keine richtige Wohnung gefunden und ihr Zwischenmietvertrag läuft nun aus«, spricht mein Vater wieder. 

»Ich sagte doch, ich verstehe.« Ich glaube, sie sind es nicht gewohnt, dass ich keine Diskussion eingehe. Mittlerweile frage ich mich, ob ich hätte eher diskutieren sollen, ob das weniger Kraft aufwendig gewesen wäre. 

»Also ich würde nur mit zu deinen Eltern kommen, wenn das für dich ok ist, Jul. Ansonsten suche ich mir eine andere Lösung.« 

»Natürlich ist das ok«, mischt meine Mutter sich ein. 

»Ja«, sage ich und lächle sie an. 

Auch wenn ich es nicht gut finde, dass meine Mutter meint, sich einmischen zu müssen, aber warum sollte ich etwas dagegen haben? Wir sind zwar erst in der Annäherungsphase wegen der damaligen Trennung, aber meine Eltern haben genug Räume, sodass wir nicht in einem Zimmer schlafen müssen und wir uns auch aus dem Weg gehen können, falls nötig. Andersherum haben wir ja nun die Chance, bei uns anzuknüpfen, womit wir vor dieser kuriosen Nacht – was auch immer geschehen sein mag, – begannen. 

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