[27]

31 5 9
                                    

»Leyla ...«, wiederhole ich. 

Und ... plötzlich ... wie aus dem Nichts ... kommt das Dunkle zurück ... 

– 

Ich sehe sie ... 

Wie sie hämisch lacht ... Direkt vor mir. Sie ... An diesem verlassenen Ort. 

»Du bist unglaublich dumm«, sagt sie zu mir in einem Ton, den ich noch nie aus ihrem Mund gehört habe. 

Perplex starre ich diese mir fremdgewordene Frau an, derweil sich ihre Worte wie tausende messerscharfe Spitzen in mich bohren. Ich bin zu verwirrt zum Antworten ... 

Wollte sie sich deswegen unbedingt mit mir heute treffen? Um mir das mitzuteilen? Sie, die mich immer bestärkte? Was ist nur mit ihr passiert? Sie ist nicht mehr die Fay, die ich kannte ... Ich wollte es nur nicht wahrhaben. 

»Willst du dich gar nicht dazu äußern?« 

»Was willst du von mir?«, bekomme ich doch aus mir heraus. An meiner Stimme bemerke ich erst, wie ängstlich ich sein muss. Meine Konzentration ruht auf ihr, ihrem Gesicht, ihrem Lachen, ich verstehe es nicht. Mit jeder Sekunde mehr schnürt sich alles enger zusammen. Was hat sie vor? 

»Ich wollte, dass du mit hierherkommst.« 

Vom Hafen hierher schien noch alles wie die vergangenen Monate ... Als würde gerade eine Horde losgelassener Insekten sich meinen Hinterkörper bis hinauf zu meinem Nacken bewegen, wird er von ungestümen Wellen durchzuckt ... 

»Wo...zu? Was ... ist so ... wichtig?« 

»Das wirst du gleich erfahren.« 

»Worum ... geht es hier?«, kratze ich meinen Mut zusammen. 

»Schon um dich, aber eigentlich viel eher um ... Na ja, wie ich sagte, du bist dumm.« 

Warum tut sie mir das an? Was habe ich ihr getan? 

»Um ... wen ... geht es dann?« Die Angst frisst sich durch mich hinweg, wie Termiten durch Holzbalken, die damit ganze Gebäude zum Einsturz bringen. 

»Fay natürlich. Kommst du jetzt mit? Boah ey. Also ich verstehe wirklich nicht, was sie an dir so toll findet.« 

Fay? Hat sie gerade gesagt, dass es um Fay geht? Und ... wer ... ist ... 

»Ich beantworte dir deine Frage gerne, die dir ja ins Gesicht geschrieben steht. Also eine helle Leuchte bist du nicht. Das habe ich die letzten Monate leider schon erleben dürfen. Echt anstrengend. Ich bin froh, dass ich die anderen nicht näher kennenlernen musste. Wer weiß, wie lange oder ob ich das ausgehalten hätte. Aber zurück. Hast du es nicht geschnallt? Tja anscheinend nicht. Einmal ein Lob an mich. Ha! Jedoch genauso ein weiteres Argument für deine Dummheit.« 

Ich beobachte sie, versuche mitzukommen, die Luft wird immer stickiger, die Sicht vernebelter ... 

»Ok, immer noch nicht. Ich bin NICHT Fay. Jetzt kapiert?« 

»Wie heißt du?«, krächze ich, wie ein ausgetrocknetes Etwas. 

»Leyla.« 

Mit jedem gesprochenen Wort werde ich schwächer, was sie noch mehr zum Lachen bringt. Leyla. Aber sie sieht genauso aus wie Fay mit ihren langen gewellten nussbraunen Haaren und diesen grünen Augen. 

»Und was willst du nun?«, ich spüre, wie mich Wut überrollt. 

»Nur noch einen Moment. Es geht schließlich ums Timing.« 

Der Nebel lichtet sich so langsam in meinem Kopf. 'Geh einfach, Jul', fordere ich mich jetzt auf. 

Dann wird mir schlagartig bewusst, dass das nicht so einfach geht. Wie ein scheues Reh hat sie mich in die Falle gelockt. Sie vor mir, hinter mir kein Weg, nur ein tiefer Graben. Was bleibt mir übrig? Jetzt oder nie. Laufen, es muss mir gelingen, einfach an ihr vorbei hechten, irgendwie und so schnell wie möglich Richtung irgendwelcher Menschen kommen. 

Einen Ausfallschritt gesetzt ... und wieder ertönt ihr widerliches gehässiges Lachen. 

»Was denkst du? Dass ICH so dumm bin?« 

Dass ich sie für krank halte, sage ich ihr nicht. Stattdessen schließe ich meine Augen, sammle meine Kräfte innerlich zusammen, um los zu sprinten ... Als ich meine Augen wieder öffne, kann ich gerade so ausweichen. Mit einem Holzstück in der Hand schlägt sie um sich. Wild geworden ist sie. 

»Sie soll es spüren!«, kreischt sie rum. Gefolgt von »Innerlich zerfressen und bluten, nichts anderes hat dieses Miststück verdient!« 

Immer wieder schwingt dieses Teil durch die Luft, ich bin froh, wenn ich es frühzeitig wahrnehme. Durch die Dunkelheit und das Hämmern in mir drin werden zu viele Geräusche übertönt. Ein Schritt nach da, dann hier, ein paar Mal trifft sie mich mit diesem mit Nägeln besetzten Holzteil. Ich spüre etwas Warmes an mir tropfen, schaue an mir herunter, Blut und zerfetzte Kleidung und dann ... der nächste Schlag erwischt mich am Kopf und lässt mich zu Boden niedergehen. Wieder ihr Lachen. Auf dem Boden robbend, dabei versuchend diesen abzutasten, werde ich immer näher an den Abgrund gedrängt. Gleich liege ich in diesem Graben. Gleich ist es vorbei. 

Und gerade als sie zum nächsten Schlag ausholt, ziehe ich ihr mit aller Kraft, die ich noch habe, mit einem dicken Ast vom Boden die Beine weg. Ich höre noch, wie sie fluchend stürzt. In diesen Graben neben mir. 

Völlig fertig lasse ich mich nach hinten fallen. Dicke Tränen laufen mir die Wangen runter. Erleichterung und Trauer. Wut und Verzweiflung. Erschöpfung. Spüre, wie die Dunkelheit auch von innen kommt. Bleibe einfach liegen. Fay ... ist mein letzter Gedanke, bevor mich die Schatten ausfüllen. 

– 

... Bis mich ihre Stimme zurückholt und ich in ihre schimmernden grünen hoffnungsgebenden Augen blicke. 

»Jul, wieder alles ok?« 

Ich nicke ... Dabei lege ich diese schreckliche Erinnerung ab sowie ihren Brief zur Seite. 

»Es tut mir so leid, dass du da mit reingezogen wurdest. Das wollte ich nicht«, sagt sie geknickt. 

»Fay, du kannst auch nichts dafür.« 

Ich nehme sie in den Arm. Am liebsten würde ich ihr sagen, dass ich sie – Fay – nach wie vor unglaublich doll liebe, aber das wäre jetzt einfach unpassend. 

hope_gapWhere stories live. Discover now