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»Es geht ihr gut?!«, schreie ich eher fragwürdig, nicht als Frage gemeint. Darauf brauche ich auch überhaupt keine Antwort. Ben öffnet seinen Mund, aber ... 

»Wie kann es ihr gut gehen? Oder besser gesagt, wie soll ich denn das Gefühl haben oder noch mal anders ausgedrückt, wie soll ich ihr glauben, dass es ihr gut geht?« 

»Jules ...« 

»Nee, Ben. Jetzt mal im Ernst. Kannst du doch auch nicht glauben, oder etwa doch?! Na siehste. Wie und was passt denn da zusammen?! Ja eben. Nichts. Das macht mich irre. Immer noch hab ich keine weiteren Antworten. Keine Klarheit. Sie lässt mich im Ungewissen. Warum tut sie das? He? Warum? Hast du auch keine Antwort drauf. Ja wie auch. Also wenn du mich fragst, stimmt da was ganz gewaltig nicht. Ja und dann ... Wow, da schreibt sie mir, dass etwas passiert ist. Na toll, das weiß ich auch. Diesen Brief hätte sie sich auch sparen können! Bringt mir ja wohl mal gar nichts. Hätte ...« 

»JULES!« 

Ich stoppe in meiner Bewegung und drehe mich zu dem etwas ungehaltenem Ben um. 

»Mal kurz langsam. Welcher Brief? Wovon sprichst du überhaupt?« 

»Ich spreche von Fay, was denkst du denn? Sie macht mich verrückt. Das ist doch einfach Mist. Wie du gesagt hast, habe ich gemacht. Aber ist voll daneben gegangen und dann so. Ey, keine Ahnung, was das alles soll. Und jetzt fühle ich mich noch dümmer als vorher. Warum macht sie das? Warum?« 

»Jules?« 

»Ja, was denn?« 

»Du machst mich gerade auch etwas verrückt.« 

»Wieso denn jetzt ich?« 

»Ich komme hier an, dann brüllst du mir diese Frage direkt entgegen, quatscht weiter und ich habe überhaupt keinen Schimmer, worum es inhaltlich geht.« 

»Sorry Ben. Ich bin echt durcheinander.« 

»Merke ich ja gar nicht.« 

»Pass auf, was du sagst.« 

»Also erst einmal Hallo.« 

»Hey ...« 

»Geht doch. Und ein kleines Lächeln sehe ich auch schon.« 

»Ha ha.« 

»Also. Was ist vorgefallen? Und bitte in Ruhe.« 

Er lässt sich auf die Bank nieder und ich mach es ihm gleich. Ich fische mir eines der Grashalme vor uns, nehme es zwischen die Finger und rolle es hin und her. 

Dann versuche ich ihn so ruhig wie möglich auf den aktuellen Stand zu bringen. 

»Was steht denn im Brief, was dich so wütend macht?« 

»Nichts. Das ist es ja.« 

»Du hast sicherlich kein leeres Blatt bekommen«, witzelt Ben. 

»Nein, natürlich nicht. Aber inhaltlich ist er nichtssagend. Hier.« 

Sein Gesicht nicht aus den Augen lassend, versuche ich seine Gedanken zu lesen, während er die Zeilen von Fay liest. Hm. Keine Ahnung, was er denkt. Was braucht er so lange? Versucht er gerade beschönigende Worte oder eine indirekte Antwort zu finden, so à la zwischen den Zeilen lesen? 

»Vielleicht ist es einfach so, wie sie schreibt.« 

»Was meinst du?« 

»Na so, wie ich es sage.« 

»Du meinst wirklich, dass sie womöglich nicht mehr weiß? Das glaubst du wirklich? Aber wir waren doch, wie du weißt, an dem Abend verabredet. Wir sahen uns vorher. Warum war sie nicht da? Warum fand sie mich erst später?« 

»Das kann ich nicht wissen, das musst du sie fragen. Aber es gibt meistens mehr als die eine Option, auch wenn sie dir nicht gleich einfällt.« 

»Na dann nenn mir eine mögliche Alternative.« 

»Dass ihr Streit hattet und getrennte Wege, zumindest für den Abend gegangen seid, sie dir dann aber doch hinterhergegangen ist. Zum Beispiel.« 

»Hm.« 

»Vielleicht ist es alles nicht so schlimm, wie du denkst. Immer noch Jules, ich verstehe, dass dir das alles zu schaffen macht und ich spüre es, aber manchmal sind die Dinge gar nicht so tragisch.« 

Erschöpft bin ich wirklich. Ganz schön. Jetzt merke ich es noch mehr. Meinen Kopf lasse ich einfach an seine Schulter fallen und er legt seinen Arm um mich. Das tut gut. Ja, das brauche ich gerade. Bei Ben kann ich mich fallen lassen, mich völlig bescheuert aufführen und trotzdem ist er einfach für mich da. Mein großer Bruder eben, auch wenn er nur ein paar Monate älter ist. Als die Luft frischer wird, fragt er mich, ob er mich nach Hause bringen soll oder ob ich für heute mit zu ihm kommen möchte. Letzteres. Eindeutig. Ich brauche Abstand. Wenigstens mal für kurz. 

»Ich schreib nur kurz Rita.« 

»Danke Ben.« 

»Wofür gibt es denn große Brüder?«, erinnert er mich in seinem verstellt süßen Ton. 

»Dafür, dass sich ihre kleinen Schwestern bei ihnen verkriechen können?!«, erwidere ich im selben Ton. 

Lächelnd gehen wir zu seinem Auto. 

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