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Ich erzähle und erzähle, höre mir selbst aber gar nicht richtig zu. Keine Ahnung, ob das jemand nachempfinden kann, aber so ist es gerade. 

Ich weiß, dass ich meine Geschichte, also das, was ich weiß, demnach erst vom Tag nach DIESEM Abend, angefangen von meiner Erinnerung alias Traum oder was auch immer es ist oder war bis eben heute berichte. Aber ich höre mich selbst nicht den Inhalt sagen. Ich vernehme meinen Laut nur dumpf. Seine Geräusche prallen bei mir ebenso ab, aber ich sehe seine überraschten Gesichtsausdrücke, nehme "ah's" und "oh's" über seine Lippenbewegung wahr genauso wie sein Stirnrunzeln oder wenn er kurz wegschaut, aber sich zwingt, wieder zu mir zu gucken. 

Bevor ich anfing zu erzählen, gingen wir jedoch raus. Ich wollte dabei spazieren. Das ist auch gut so. Bewegung macht es einfacher und so sind wir ohne irgendwelche möglichen ungewollten zuhörenden Menschen. 

»Jetzt verstehe ich«, ist das Erste, was ich wieder richtig über die Ohren wahrnehme und dabei merke ich, dass ich fertig bin mit meiner Erzählung. 

»Und an die Nachrichten hast du auch keine Erinnerung mehr?« 

Stimmt, er hat recht. Nicht nur die Nacht ist irgendwie aus meinem Gedächtnis weg, schon der Abend anscheinend. Aber da hatte ich doch womöglich noch keinen Schlag abbekommen. 

»Anscheinend. Aber als ich sie dann vorhin sah, kamen sie mir auf eine komische Art bekannt vor. Kann ich nicht besser sagen.« 

Unsicher. So fühle ich mich. Es ist das erste Mal das ich all das laut ausgesprochen habe. Das alles ist zwar erst ein paar Tage her, aber trotzdem. 

»Jules, ich glaube nicht, dass du etwas Schreckliches getan haben kannst. Falls du so etwas befürchtest. Du bist kein schlechter Mensch.« 

»Aber was wenn doch? Woher kommen diese Gedanken? Ich habe sie gesehen ...« 

Ich muss abbrechen, kann es nicht bewusst sagen, es tut zu sehr weh. Obwohl ich es nicht wollte, so passiert es doch. Ben nimmt mich schnell in den Arm und streichelt mir über den Rücken. Er war schon immer, seitdem wir uns kennen, für mich mein Bruder. Er ist einfach da. 

»Ich kann das einfach nicht glauben, Jules. Du bist ein so fantastischer Mensch. Da muss etwas anderes hinter stecken. Aber ich glaube dir und kann es verstehen, dass es dir angst macht.« 

-

»Ich denke, du solltest mit Fay reden.« 

Nachdem ich mich etwas beruhigte setzten wir uns auf eine Bank hier im Park. Ich beobachte die Gänse auf dem See. Sie geben mir einen Fixpunkt. 

»Jules?« 

»Ja, hab dich gehört.« 

»Aber?« 

Ich traue mich nicht die Wörter auszusprechen, weil ich sie selbst nicht glauben kann. Vielleicht ist es auch noch etwas anderes, ein anderes Gefühl, was sich hineinmischt, was ich noch nicht benennen kann. 

»Und?« 

»Ich glaube auch, dass Fay irgendwie anders ist. Aber ich denke das anders als du ...« 

In meiner Hand der Anhänger, ich umkreise ihn mit meinem Finger. Der Anhänger, der mir so viel gab, doch die letzte Erinnerung daran schmerzt mich sehr. 

»Fay kam aus den USA zurück ... Und ich war zuerst überglücklich ... Doch als die ersten Glücksgefühle verflogen, bemerkte ich irgendwie, dass sie nicht mehr die Gleiche ist ...« 

»Wie meinst ...« 

Nun wo ich den Entschluss gefasst habe, rede ich einfach unbeirrt weiter. 

»Ich kann das alles noch nicht richtig einordnen ... Keine Ahnung, bessere Worte habe ich gerade noch nicht. Aber das war auch ein Grund, warum ich von mir aus nicht gleich so innig mit ihr werden konnte, nicht wollte und alles langsam angehen wollte.« 

Ich muss mir eine kurze Pause nehmen ... Puh ... Für das, was ich jetzt sagen möchte, denn ich weiß gar nicht, ob das sinnig ist. 

»Im Krankenhaus hat es das erste Mal wieder so richtig Bam gemacht. Vielleicht weil sie sich Sorgen um mich gemacht hat und ich das spürte. Ich weiß nicht wieso. Aber da fühlte es sich wieder so echt an.« 

»Warum hast du wieder die ganze Zeit diesen Anhänger bei dir?« 

»Als Erinnerung und Warnung.« 

»Wovor?« 

»Einerseits vor damals, andererseits wegen neulich ...« 

Ich schaue ihn an und wusste bereits vorher in welches Gesicht ich blicken werde. Überrascht und neugierig, anzumerken durch seinen zurückzuckenden Kopf und gleichzeitig seine hochgezogene Braue stets auf der linken Seite. 

»Sie hatte ihn mir ja geschenkt als Zeichen der Zuversicht, Halt und Hoffnung, weil sie dies durch mich wieder erleben durfte. Doch auch sie gab mir so viel von dem zurück und nicht nur in Form dieser Blüte. Als ich mich so freute, dass sie wieder da ist, kramte ich meine Fay-Box hervor und packte den Anhänger an meinen Schlüssel ... Hm ... Bei unserem ersten Wiedersehen haben wir uns ja draußen zum Spazieren getroffen und ich behielt den Schlüssel in der Hand ... Und irgendwann fragte sie mich, was ich für einen hässlichen Anhänger am Schlüssel habe ...« 

hope_gapWhere stories live. Discover now