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Was hat sie da gerade gesagt? Will sie mich jetzt verarschen? Hat sie sie nicht mehr alle? Boah. Nee. 

Ich bemerke, dass unsere Hände noch ineinander verschränkt sind und ziehe meine abrupt daraus. 

»Du freust dich? Darüber? Dass ich diesen Anhänger noch habe? Ach ja? Auf einmal?« 

Sie macht einen verwirrten Gesichtsausdruck, kann sie sich doch aber denken, dass ich deswegen wütend werde. 

Mensch, was soll das alles? Ist das ein Test? Wie viel Scheiße soll ich noch mitmachen? 

Kurz stehen wir uns beide wie versteinert gegenüber, überrascht, wie schnell diese Stimmung kippen konnte. Von ihr kommt keine weitere Antwort. Echt jetzt? 

»Also keine Erklärung? Keine Antwort? Noch nicht mal dein berühmtes „Es tut mir leid"?« 

Ja ich weiß, ich kann fies werden. Aber irgendwie versuche ich gerade mit meinem Inneren zurechtzukommen. Zu viel wird hier gerade aufgewühlt. 

Ich halte das hier nicht mehr aus. Kein Ton kommt von ihr. Sie starrt nur geradeaus, als würde sie schlicht darauf warten, dass ich gehe. Nun gut, dann tue ich ihr den Gefallen. 

Tschau. Tschüssikowski. Goodbye. Toller Versuch! Ich würde sagen, wir sind erfolgreich gescheitert. 

Ich gehe einfach weiter. Mein Schmerz treibt mich voran, meine Wut gibt mir die Kraft. 

Ein Ton, der mich ins 'Hier und Jetzt' zurückholt. Dass ich aber auch immer gedanklich abschweifen muss. 

Mist. Hier wollte ich gar nicht lang. Völlig falsche Richtung. Ohne jegliche Vorwarnung ... Bilder. Sie ploppen hoch, laufen vor meinem inneren Auge ab. Sie beunruhigen mich noch mehr, als ich es eh schon bin. 

Was soll das bedeuten? 

Ich rufe Ben an, ich muss mit jemanden sprechen, es muss und will raus. Der Wählton ... Komm schon. Es klingelt. Nimm ab, Ben. Mach schon. Ich werde gleich irre. JETZT GEH ENDLICH ... 

»Hey Ju...« 

»Ben, wo bist du? Ich brauch dich jetzt.« 

»Zu Hause. Soll ich oder willst du rumkommen?« 

Ich spüre, wie jemand von hinten angelaufen kommt, kenne den Ton, die Schritt- beziehungsweise Laufart. Nur eine klingt dermaßen nach so einer Art Trampeltier. 

»Ben, bleib mal kurz dran.« 

Dann dreh ich mich um und ja, es ist Fay, die nun nur noch etwa zwei Meter von mir entfernt ist. 

»Du hast mir nicht alles erzählt oder?« 

Mit meiner Frage stoppt sie direkt und schaut mich bedröppelt – näher einordnen kann ich es leider nicht – an. Ich warte kurz, blicke sie erwartungsvoll an. Erneut keine Antwort. Ja, alles klar. 

Ich nehme mein Handy wieder ans Ohr. 

»Jul!« 

Nee, sie hat ihre Chance vertan. 

»Ben, ich komme zu dir.« 

»Ist das Fay im Hintergrund?« 

»Kannst du einfach so lange am Handy bleiben? Damit ...« 

»Damit du nicht noch in ein Unfall verwickelt wirst, weil du in irgendeiner anderen Gedankenwelt landest? Ja.« 

»Danke.« 

»Ist das Fay im Hintergrund gewesen?« 

»Ich mach mich jetzt auf dem Weg. Ich müsste dann so in ... Oh mensch. Dieser verkackte Lärm. Also ich denke, ich bin so in 15 Minuten bei dir.« 

»Bist du am Hafen?« 

»Kannst du nicht einfach irgendetwas rumlabern?« 

Ben erzählt irgendeinen Kram und immer mal fragt er, ob ich noch anwesend bin, sodass ich mich genug konzentrieren kann. Sie folgt mir anscheinend nicht mehr. Gut so. Bin ich froh, dass ich auf langsam gemacht habe. Trotzdem tut sie mir irgendwie leid. Aber nein. Sie belügt mich. Warum tut sie das? Und was soll das mit dem Anhänger? Leidet sie jetzt auch schon unter Gedächtnisschwund? Nur zu einer anderen Zeit? Ich begreife das nicht. Schon wieder diese Wut. Besser die als dieser widerliche Schmerz. Obwohl, wenn ich ehrlich bin ... Nein, will ich das sein? Hm. Eigentlich schon, zeitgleich auch nicht. 

»Jules?« 

Ich zucke zusammen. Ffuu...st nicht geschafft. Das es mir sogar jetzt noch so wichtig ist. Bin ich eigentlich bescheuert und habe nichts Besseres zu tun?! Wen interessiert es, hab es ja hinbekommen ... 

»Jules, wieder da?« 

»Ja, bis hierher habe ich es aber super geschafft.« 

Und dann fange ich an zu lachen. Beinahe wäre ich an ihm vorbei gelaufen und er hat mich gerade so durch sein Schreien am Handy aufhalten können. Oh oh ... 

Lachen tut gut, auch wenn mir eigentlich nicht danach zumute ist. 

Dann blicke ich ihn an. 

»Sie hat gelogen, das weiß ich. Das Dröhnen des Dampfers am Hafen hat Bilder hervorgeholt von dem Abend. Wir haben uns doch getroffen!« 

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