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 ◎

Jul, 
Du willst es wissen? 
Wirklich? 
Das glaube ich nicht! 
Du kannst dir überhaupt nicht vorstellen, was ich alles durchmachen musste. 
Ich weiß nicht mal, in was für Worte ich es fassen soll! 
Wie soll ich es dir erklären, wenn ich es selbst nicht richtig kann? 
Bisher verdrängt habe, zumindest versucht ... 
Ich weiß nicht, wie ich es ... wie soll ich es ... ich weiß es nicht ... 
Es gibt ... gab noch SIE ... Ich darf gar nicht daran denken. SIE wollte immer alles. Vor allem mir wegnehmen. Ich habe keine Ahnung, warum. Aber es war immer so. 
SIE ... die aussieht wie ich ... Ich musste damals weg. Um alle zu schützen. 
Ich kann nicht mehr. 
Jetzt ist SIE nicht mehr da. Ist das so? 
Warum sagst du mir denn nichts dazu? Warum verlangst nur du Antworten? 
Also muss ich nicht mehr weg? Es ist alles so durcheinander – nicht nur für dich. 
Ok, von vorne ... 
Ich kannte SIE als Kind nicht. Ich hab niemanden, so dachte ich. 
Wie ich es dir auch sagte. Aber es ist eben nicht die ganze Wahrheit. 
Obwohl ich SIE nicht wirklich zu meiner Familie zähle ... 
Irgendwann tauchte SIE auf. SIE erschreckte mich und nicht nur wegen des Aussehens. 
Ich hoffte zu träumen, aber dem war nicht so. 
Mit 15 Jahren wurde ich damit konfrontiert. Als ich 15 Jahre alt war, hat SIE beschlossen, mein Leben zu beenden. Einerseits wortwörtlich, andererseits auch indirekt. SIE wollte immer meinen Platz einnehmen, dabei hatte SIE doch gar keine Ahnung, wer ich bin. Ich weiß bis heute außer ihren Namen nichts und na ja, dass SIE wohl psychisch nicht ganz stabil war. 
Die Ursache für das 'Warum' kam nie heraus. 
Aber, ich musste von da an auf der Hut sein, SIE meinte es verdammt ernst, ich musste immer mal wieder fliehen, und als ich hier ankam und sogar studieren konnte ... Ich war wirklich glücklich. Und du hast mich gesehen, du hast mir wirklich Hoffnung in meinem so zerrütteten Leben gegeben. 
Es war das Schlimmste für mich zu gehen ... 
Dann sah ich die Bilder. Von ihr und dir. Mein Herz ... Ich hatte Angst um dich. Es musste gehandelt werden. 
An diesem Abend ... hast du SIE getroffen ... SIE hat dir geschrieben ... Wir haben uns erst danach gesehen. Ich habe dich dort gefunden. Das war und ist die Wahrheit ... Das Blut ... es ist nicht meins und auch nicht deins ... 
Ich weiß, es gibt bestimmt noch unzählige Fragen ... 
Ich begreife das alles aber selbst noch nicht so ... 
Bitte gib mir Zeit. 
Fay 


Heftig. 
So in diesem Ausmaß habe ich nicht damit gerechnet. Das ist einfach schrecklich. 
Meine Tränen sowie jegliche andere emotionalen Ausbrüche im Zaum versuchend zuhalten, bemerke ich, wie sie auf eine Reaktion wartet. 

Doch darauf muss ich erst einmal klarkommen. Dass ich darauf reingefallen bin. Auf eine völlig für mich fremde Person. Na ja, das Aussehen eben, aber trotzdem. Das ist doch verrückt. Das kann nicht sein, oder doch? Muss ja, aber wie? Aber auch, dass dieser Abend zwischen mir und dieser SIE existierte. 

Ich spüre Fays verzweifelten Blick auf mir, wie sie versucht in mich hineinzuschauen, Antworten zu erhaschen ... Aber ich ... ich bin gerade so durcheinander, was soll ich dazu sagen?! Wie reagieren?! 

Die Luft wird irgendwie immer stickiger. Oder bilde ich mir das ein? 

'Jetzt sag etwas, Jul', fordere ich mich auf. 

»SIE war es, die mich vor etwa einem halben Jahr kontaktiert hat?«, presse ich irgendwie fragend hervor. 

»Ja genau. Wie sie dich genau und das nach der langen Zeit entdeckt hat, weiß ich nicht.« 

»Hm. Vielleicht weil ich manchmal versucht habe, dich im Internet zu finden?«, gebe ich betreten zu. 

Auch wenn Fay mir mit ihrem Lächeln signalisiert, dass sie es süß findet, wissen wir oder kann ich mir denken, dass es uns schlussendlich hierher geführt hat. 

»Du kannst nichts dafür. Du wusstest es ja nicht einmal.« 

»Warum hast du denn nie etwas gesagt?« 

»Das ist nicht so einfach, Jul ...« 

»Aber warum denn nicht wenigstens die letzte Zeit?« 

Ich muss dringend gleich ein Fenster öffnen, mir wird ganz komisch. 

»Mein Nachname ... ist nicht ... mein richtiger Nachname.« 

»Das heißt, manches darfst du gar nicht erzählen?«, was mich ernsthaft überrascht. 

»Na ja, es ist irgendwie meine Entscheidung, aber einiges wird einem nahegelegt, lieber sein zu lassen, weil es ja nun mal darum geht. Dann hast du deine Standardantworten ... und diese werden zu deiner neuen Realität.« 

»Und das alles wegen dieser Person?« 

Geht es nur mir so, dass mir immer schwindliger wird? 

»Ja. Aber jetzt ist es irgendwie vorbei. Ich bin froh und fühle mich wirklich befreiter, ... aber ... es ist auch komisch, keine Angst mehr haben zu müssen ... Das klingt wahrscheinlich ziemlich krank.« 

»Nein. Wahrscheinlich ist das, vermute ich mal, normal.« 

Es tritt eine unangenehme Stille ein, die meinen Körper nur noch mehr gefangen nehmen will. Meine Gedanken ... überschlagen sich ... 

»Wie hieß sie?«, kommt auf einmal die Frage aus mir heraus, die ich nicht stellen wollte. 

»Leyla.« 

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