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Ich höre sie noch schluchzen, während ich ihr nachsehe und dann sitze ich wieder allein hier an diesem Tisch. Fehlt nur noch, dass das Licht ausgeht. 'Jul, bleib bei der Sache', ermahne ich mich. 

Jul. Sie nennt mich wieder mit ihrer zauberhaften Stimme Jul. Wie ich das vermisst habe, all die Jahre. Oft wollte ich es mir nicht eingestehen, aber ja so war es. Sie ist wieder da. Wir hatten keinen guten Start, eher einen sehr schrecklichen und auch fragwürdigen. Fragen. Ich habe immer noch unbeantwortete Fragen. 

Mut. Eben fand ich ihn noch. Soll ich? Was befürchtet sie? Oder verheimlicht sie mir etwas? Was ist es? Ich sollte ... Mut und Kraft. Beim Anblick der Blüte wird mir ganz komisch. Ich muss lächeln und gleichsam spüre ich die Tränen an meiner Wange hinunter kullern. 

Was dachte ich eben noch?! Jetzt oder nie! Ich umschließe die Blüte fest, als könne sie mir ihre ganze Zuversicht und Hoffnung verleihen, die ich benötige und mache, was ich sollte. 

Ich gehe ihr nach. Jetzt oder nie! 

-

»Jul, lass mich einfach.« 

Fay ist in ihrem Zimmer und hat abgeschlossen. Sie will mich nicht reinlassen. Aber sie weiß, wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, dann bleibe ich erst einmal stur. 

»Fay, bitte.« 

Ich warte und lausche, doch es kommt keine weitere Reaktion. 

»Fay, können wir bitte weiter reden?« 

Keine Antwort. 

»Kannst du denn nicht verstehen, dass ich mir Antworten wünsche?« 

Nichts. 

»Ich weiß nicht mal, wovor du dich so sehr fürchtest oder welches Gefühl dich so blockiert.« 

Es ist absolut nichts zu hören. 

»Ich hatte gehofft, dass du mir ein bisschen auf die Sprünge helfen kannst.« 

Ein Seufzen. 

»Und dann ist das alles so verwirrend. Erst bist du so anders, als du zurückkommst, dann passiert was auch immer passierte, dann bist du auf einmal wieder die Fay, die ich mal kennengelernt habe ...« 

Ich stocke. Ein für mich noch undefinierbares Geräusch ist zu hören. 

»Dann hatte ich Angst, dass dir etwas total Schlimmes passiert ist, aber zum Glück ja nicht, aber in meinem Kopf ergibt das alles keinen Sinn.« 

Dieses Geräusch wird irgendwie schneller. Ich lausche angestrengter hin. Schreibt oder malt sie gerade? Klingt irgendwie nach Papier und Stift, aber meinem Hirn kann ich ja gerade nicht trauen. Angestrengt lasse ich mich an der Tür auf den Boden sacken. 

»Ich hoffte, dass wir wie früher ehrlich und offen miteinander sein können ...« 

Ob sie mein zuletzt Gesagtes wirklich hörte, weiß ich nicht. Ich habe es eher zu mir als zu ihr gesagt. 

Damals fühlte sich alles mit ihr ehrlich und echt an. Unsere Beziehung und sie als Mensch waren ein Geschenk für mich, eine wertvolle Bereicherung für mein Leben. Ich hatte das Gefühl, dass 'Ich' immer 'Ich' sein konnte, ohne vorverurteilt zu werden und ihr ging es wahrscheinlich wie mir. 

Sie hatte familiäre sowie finanzielle Sorgen, wofür sie sich schämte. Was für ein Blödsinn. Was konnte sie denn dafür, dass sie keine Familie hatte und ebenso nicht im Geld schwamm?! 

Sie bezog BAföG, musste zusätzlich einen Kredit aufnehmen für die Studiengebühren der privaten Uni und ging noch nebenbei arbeiten. Ich sah das eher als extreme Herausforderung und wüsste nicht, ob ich das so gepackt hätte wie sie. 

Ein Grund mehr für mich dankbar, meinen Eltern zu sein. Nachdem wir uns näher kennenlernten, beichtete sie mir, – so nannte sie es – eins nach dem anderen, und da sie keine unverschämte oder mitleidige Reaktion von mir bekam, erstrahlte sie mit dem wunderschönsten Lächeln dieser Welt. Dieses Lächeln ... Ich liebe es. 

Es muss ihr einiges schwergefallen sein, dachte ich schon damals. Meinen Eltern war es ebenso egal und sie schlossen Fay genauso schnell ins Herz. Ohne es zu wissen, gab sie mir das Selbstvertrauen, mein Studium durchzuziehen und diesen Beruf wirklich zu ergreifen. Sie verstand mich von Anfang an. Für manche waren meine Konzepte nicht logisch, zu anders und was weiß ich, welche Worte sie noch wählten, doch sie stand zu mir, gab mir Halt und bestärkte mich. Sie versteht mich einfach. 

Plötzlich höre ich sie aufstehen, sich durch den Raum bewegen. 

»Fay? Reden wir jetzt?« 

»Boden.« 

Boden? Boden. 

Ich drehe mich um und sehe, wie etwas unter dem Türschlitz durchgeschoben wird. 

hope_gapWhere stories live. Discover now