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»Was ist los? Was machst du hier?«, kommt es dennoch ziemlich schroff aus mir heraus. 

»Ich hab was ausgelassen. Also ... Nicht erst jetzt ... Damals schon, meine ich.« 

Ich bin verwirrt. Ja, welch ein Wunder. Sie hat was ausgelassen, so weit war ich auch schon, ohne sie. Ich wollte gerade abschalten. Warum ist sie hier? Was heißt damals? 

Ben steht im Flur hinter Fay. Stimmt, wir sind bei ihm. Das ist doch jetzt wirklich skurril. Ich blicke ihn eindringlich an, doch er bedeutet mir, dass es jetzt Zeit wäre. 

Ich erinnere mich, senke meinen Kopf, besinne mich auf seine Worte ... Reden. Nicht grübeln. Fragen, nicht vorher Schlüsse ziehen. Ok. Ich versuche es. 

Ich schaue wieder hoch. Ben ist nicht mehr zu sehen, er lässt uns wohl in Ruhe. Ob ich das wirklich will? Spielt das überhaupt eine Rolle? 

»Ok Fay. Lass uns reden. Komm her. Brauchst du was? Du siehst ganz schön fertig aus.« 

'Jul, reg dich mal ab, sie sieht echt kreidebleich aus', ermahne ich mich nun selbst strafend. 

»Nur was zu trinken, wenn es ok ist«, nuschelt sie kaum hörbar und wahrscheinlich verstehe ich es nur, weil wir uns so gut kennen. 

Kenne ich sie wirklich so gut? Sechs Jahre. Sechs Jahre liegen dazwischen. Aber mein Herz. Sie tut mir gerade doch leid, irgendetwas scheint passiert zu sein. Vorhin war sie doch noch nicht so durch den Wind. Was ist nur geschehen? Ich gehe in die Küche und Ben reicht mir einfach mehrere unterschiedliche Getränke entgegen und wirft mir einen „Das-wird-schon-Blick" zu. Wenn er meint. Ich bin mir da noch nicht so sicher. Zurück im Wohnzimmer, schließe ich die Tür hinter mir und stelle Fay die Getränke hin. Sie rührt sich kaum. Etwas scheint sie wirklich aus der Bahn geworfen zu haben. War ich das etwa? Ich hoffe nicht. Gegen meine aufkommenden Schuldgefühle, warum auch immer, kann ich dennoch nichts tun. 

»Soll ich dir was einschenken?« 

Ich warte die Antwort gar nicht ab und befülle zwei Gläser für sie, eins mit Wasser und eins mit Zitronenlimonade. 

Einfach abwarten oder was wäre nun klug? Es ist fast unerträglich sie so zu sehen, fast bewegungslos, den Kopf starr nach vorne gerichtet und so blass ... 

»Ich dachte, es würde niemals wieder wichtig werden ...« 

»Hm?« 

»Ich dachte, es wäre irgendwann vorbei ... Und dann ... einfach nicht mehr wichtig.« 

»Fay, schon gut.« 

»Es ist nicht wahr, nicht ganz ... Dass ich gar keine Fa...m... Dass ich niemanden mehr hatte ...« 

»Das ist ok.« 

»Eine Person ... Und von der wollte ich immer nur ...« 

»Lass dir Zeit ...« Mehr weiß ich gerade irgendwie nicht zu sagen. 

»Weg...kommen ... wollte ich von ihr. Sie wollte ... mir immer ... nur alles nehmen.« 

»Nehmen?« 

»Ja.« 

»Oh Fay ...« Weiter kann ich nicht sprechen. Was wurde ihr nur alles Schreckliche angetan? Ich möchte sie gerne in den Arm nehmen, aber sie sitzt weiterhin so starr und steif vor mir. 

»Wollte immer nur weg von ihr ...« 

»Deiner Mutter?«, kam ohne nachzudenken laut aus mir raus ... Hm ... 

»Nein.« 

»Ok.« 

»Was anderes wollte ich doch gar nicht.« 

»Alles gut.« 

»Wollte nichts von ihr ... Wollte nicht, dass sie weiß ... Oh ... Sie sollte nichts wissen.« 

»Bist du wegen ihr ins Ausland?« 

»Ja.« 

»All die Jahre ... Bist du deswegen wieder hier?« 

Sie schaut mir auf einmal ins Gesicht, ihre Starre löst sich etwas. 

»Ja und Nein.« 

»Erzähl es mir, was auch immer es ist.« 

»Kann ich nicht.« 

»Warum? Traust du mir nicht?« 

»Das ist es nicht.« 

»Was dann?« 

»Habe noch nie darüber gesprochen.« 

»Aber mir kannst du es doch erzählen.« 

Fay erstarrt wieder, wird blass. Sie fürchtet sich. Ich sehe es ihr an. Ganz deutlich. 
Sie flüstert mehrmals, wie leid es ihr tut und dass sie das nie wollte. 

»Was Fay? Was wolltest du nie?« 

»Das alles.« 

»Was meinst du?« 

»Einfach alles. Es tut mir so leid.« 

»Fay, hör auf damit.« 

»Aber es stimmt.« 

»Ich verstehe es nicht. Bitte Fay, sprich mit mir. Ich bin für dich da. Ich wäre auch all die Jahre für dich da gewesen, wenn ich nur irgendetwas gewusst hätte.« 

Wieder sieht sie mich direkt an und mustert mein Gesicht. Ich sehe ihre Verzweiflung und ihre Trauer. Ich würde ihr so gerne helfen, wenn sie mich lassen würde. 

»Hättest du nicht können. Sie bekam immer alles. Immer.« 

hope_gapWhere stories live. Discover now