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Unsanft. Es wird an mir gerüttelt. Nervig. Na ja, ok, es ist nicht unsanft. Aber definitiv nervig. 

»Jul?« 

Die Stimme, so lieblich und hach ... Ach Mist, bin ich wieder eingeschlafen? 

»Jul, komm schon.« 

»Was denn los?«, murmele ich vor mich hin ins Kissen, so hoffe ich doch, dass es eins ist. 

»Willst du etwa den ganzen Tag im Bett liegen bleiben?« 

»Warum nicht?« Warum denn eigentlich nicht? Was soll denn dagegen sprechen? 

»Wir wollten doch rausgehen?!« 

»Hm ...« 

Und schwups wurde mir die Decke weggezogen. Wie fies ist das denn? Ich hasse es, wenn so etwas gemacht wird und dann diese doofe morgendliche Kälte an einen gelangt. Da kann ich ja gar nicht drauf. Ich wälze mich ein wenig in der Hoffnung, dass ich meine Decke wieder bekomme oder ich eine andere spüre. Aber nein, nichts der beiden geschieht. Mir bleibt nichts anderes übrig. Die gemütliche Atmosphäre ist ohnehin fort. 

»Geht doch«, sagt sie mit einem leichten Grinsen. Und schon kann ich ihr gar nicht mehr böse sein. Ich schnappe mir meinen Pulli und meine Hose, ziehe beides über und setze mich auf die Bettkante. 

»Ok, nun bin ich halbwegs da. Was wollen wir beiden denn heute unternehmen?« 

»Ich dachte wir könnten erst einmal ins Café gehen und dann entscheiden wir spontan, wozu wir Lust haben.« 

»Kaffee brauche ich auf alle Fälle, vor allem nach diesem Überfall«, meine ich leicht überspitzt, natürlich in ihre Richtung. 

»Kaffee brauchst du immer und ganz bestimmt nicht wegen meines liebevollen Weckens.« 

»Du hast ja recht.« Und dann ziehe ich sie an mich heran, möchte wenigstens noch einmal ihre Wärme aufnehmen, bevor wir unseren Tag beginnen. 

Sie verschwindet ins Badezimmer im Flur und ich schlendere in mein Badezimmer. Erst dort drin fällt mir meine gestrige wiedergekehrte Beklommenheit bezüglich dieses Zimmers ein. Na ja, jetzt bin ich hier drin und kann auch duschen gehen. 

Nachdem ich fertig bin mit duschen und allem, gehe ich die Treppe hinunter und sehe Fay mit meinen Eltern dort schon sitzen. 

»Ma...« 

»Fay hat schon erzählt, dass ihr heute nicht mitfrühstücken werdet. Habe ich doch gesagt, dass es besser ist, wenn du erst einmal bei uns bist«, sagt sie und lächelt mir frech belustigt zu. 

»Dann ist ja gut.« 

»Wollen wir, Jul?« 

»Klar. Ich hol nur noch meine Tasche und meinen Kram, dann können wir.« 

Fay geht schon vor zur Tür, derweil hebt mein Vater seinen Kopf. 

»Denkst du noch an unser Gespräch von gestern?«, flüstert er mir fragend zu, als dürfte es sogar Mama nicht erfahren. 

Ich nicke ihm – innerlich fragend – zu und gehe dann zu Fay. 

Was hat er denn auf einmal für Probleme? Ist er plötzlich nicht mehr angetan von Fay, seiner Ziehtochter, die er damals sofort herzlich aufnahm? Was verdammt noch mal hat er mitbekommen? So eine Kacke, dass ich mal wieder keine Ahnung von nichts habe. Nee, keine Ahnung von irgendetwas. 

»Jul? Alles klar?« 

»Ähm. Ja, sorry. Hab gerade nur überlegt. Also, ob ich mir noch 'nen Schal einpacken sollte.« 

»Und?« 

»Hm?« 

»Willst du dir noch einen holen?« 

»Ach nee, keine Lust wieder rein und hoch zu laufen. Lass uns endlich gehen. Ich brauche Kaffee«, sage ich und grinse sie an. 

-

Ich sitze hier an meinem Stammtisch und beobachte sie, wie sie unsere Kaffees bestellt bei Hans, wie ich ja nun mittlerweile weiß. 

Ja, sie ist meine Fay. Oh, wie das klingen würde ... Meine Fay. Sie ist die Fay, die ich mal kennenlernte, wenn auch etwas selbstbewusster, was mich freut. 

Ihre strahlenden grünen – oh wie ich Grün liebe – Augen, ihre nussbraunen Haare und ihre Bewegung, wenn sie sich ihre Strähne aus dem Gesicht streicht, sogar ihre unsichere Art, wenn sie sich andauernd entschuldigt, ist einfach süß. 

Ihr Lächeln ist immer noch so herrlich wie damals, vor allem wenn sich ihre Grübchen dabei so ausformen. 

Hans gibt ihr unsere Kaffees, schaut danach auch in meine Richtung und winkt mir mit seinem breiten Lächeln zu. Stimmt, da gibt es ja noch was zu regeln. Ein anderes Mal. 

Jetzt und hier möchte ich die Zeit mit Fay genießen. 

»Er fragte, ob du Ersatz für Ben gefunden hast«, teilt Fay mir, während sie sich hinsetzt, mit. 

»Ach, ich glaube die beiden brauchen noch einen Schubser.« 

»Meinst du, Ben und er?« 

»Ja na klar. Warum denn nicht? Aber darum kümmere ich mich wann anders.« 

Ich nehme dankend den Kaffee in meine Hand und genehmige mir einen ordentlichen Schluck. Immerhin ist das erst der erste Kaffee heute. 

»Fay, du hast noch gar nicht viel erzählt von den USA.« 

»Möchtest du das denn überhaupt erfahren?« 

»Warum nicht? Immerhin warst du die letzten Jahre dort.« 

»So viel gibt es da eigentlich nicht zu erzählen.« 

»Ach bestimmt. Innerhalb von sechs Jahren wirst du doch hoffentlich etwas erlebt haben.« 

»Eigentlich nur Studium und Arbeit.« 

»Hm, ok. Dann ein andermal.« 

Fängt heute ja richtig gut an. Ich wollte doch nur Interesse an dieser Zeit zeigen, obwohl es für mich mit Schmerz verbunden ist. 

»Und bei dir?« 

»Na ja an der Weltkarriere arbeite ich noch, aber beklagen kann ich mich nicht. Momentan ruhe ich mich ein wenig auf dem bislang errungenen Erfolg aus und gönne mir eine kleine Auszeit.« 

Fay sieht mich total verwirrt an. Wie ich es vermisst habe, dass ich sie so leicht reinlegen oder irritieren kann. Ich kann nicht ernst bleiben und falle in einen Lachflash. 

»Ach Jul.« 

»Tut mir leid. Aber das macht so einen Spaß.« 

Mittlerweile muss auch sie lachen. Ich habe sie wirklich sehr vermisst, es wird mir immer deutlicher, aber ich muss mich erst einmal noch zurückhalten. 

Nach dem ersten Kaffee bestelle ich uns noch jeweils einen zum Mitnehmen. Wir wollen erst einmal spazieren und dann weiterschauen. Es ist schön, so ungezwungen miteinander zu sein. Ich fühle mich einfach wohl. 

Unsere Hände streifen wieder aneinander und dieses Mal verhaken sich unsere Hände ganz automatisch. 

Aber trotzdem fühlt sich etwas komisch an, ein merkwürdiges Gefühl beschleicht mich. Ich versuche diesen Gedanken sowie das dazugehörige Gefühl abzuschütteln und mich auf mein Glück zu fokussieren, worüber ich wirklich sehr dankbar bin. 

Ein Zupfen an meiner Seite holt mich – mal wieder – zurück in die Realität. Ich schaue sie an und sie bemerkt, dass ich mal wieder irgendwo anders war. Typisch ich. 

»Ach Fay, du kennst mich und meine Gedankenausflüge doch.« 

Als Antwort bekomme ich ihr unsagbar schönes Lächeln. Noch mal gerettet. 

»Also?« 

»Ich meinte nur, dass ich mich total darüber freue, dass du den Anhänger immer noch bei dir hast.« 

hope_gapWhere stories live. Discover now