Wattpad's many flaws // triggered

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Ihr Lieben, ich empfehle Tee oder Kaffee, bevor ihr mit dem Lesen loslegt, denn es wird vermutlich etwas länger dauern, bis ich mir von der Seele geredet habe, worum es hier heute gehen soll.

Ihr werdet es wissen, wenn ihr meine Werke verfolgt: Bei mir gibt es keine Triggerwarnungen, bis auf eine oder zwei bei Escape the Friendzone. Ich will euch gern erzählen, warum ich mich regelmäßig dagegen entscheide, explizite Inhalte im Voraus anzukündigen.

Dafür blicken wir mal ganz weit in die Vergangenheit zurück ...

Mit zwölf Jahren bin ich das erste Mal auf Fanfictions gestoßen. Eine Freundin von mir hat mich mit einem Jungen bekannt gemacht, über Facebook, der ebenfalls Bücher mochte und den sie nett fand. Sie war der Meinung, wir würden uns gut verstehen.

Und wir haben uns gut verstanden. Richtig, richtig gut.

Er hat damals an einer Percy-Jackson-Ff gearbeitet und mich gebeten, seine Lektorin zu sein. (Damals wusste ich noch nicht, was eine Lektorin ist.) Ich habe ihm also Hinweise zu seiner Story gegeben, er hat mir einen Charakter gewidmet und ich habe erste eigene Schreibversuche gewagt.

Außerdem wollte ich mehr Ffs lesen. So bin ich im Internet gelandet, auf einer Seite (nicht Wattpad), wo die Leute zu allen möglichen Fandoms Sachen hochgeladen haben. Unter anderem auch zu real existierenden Personen. Damals hab ich irre viel Zeit auf YouTube verbracht und ich habe angefangen, YouTuber-Ffs zu lesen.

Vorhang auf für meinen ersten Kontakt mit explizit sexuellem Content im Internet. In der Story, die ich damals las, erschien plötzlich, mit einem Absatz abgetrennt vom Rest das magische Wort ...

~ Lemon ~

Ich hatte keine Ahnung, was das sollte, warum da Zitrone auf Englisch stand, hab einfach weitergelesen und irgendwann gecheckt: „Scheiße, ich lese da gerade was, was nicht für mein Alter bestimmt ist.“ Ich wusste was Sex war und ich war auch nicht wirklich schockiert, ich war nur – perplex. Aber es hat mir nichts ausgemacht, das weiß ich noch ziemlich genau. Vielleicht, weil ich mir damals schon gedacht habe, dass Sex etwas Natürliches ist. Unter Erwachsenen. Ich hatte selber auch keinen Wunsch nach sexuellem Kontakt, soweit war ich da noch nicht. Aber ich fand es beileibe nicht schlimm und der Lemon, den ich damals gelesen habe, das war auch kein Hardcore-Porn oder so. Es klang angenehm, und halt ein bisschen verboten, weil ich wusste, ich bin zu jung dafür.

Danach fand ich raus, dass „Lemon“ die allgemeine Bezeichnung im Internet für sexuellen Content in Geschichten ist, wie sie hier auf Wattpad oder anderen Plattformen veröffentlicht werden. Ich habe weiter viele Ffs gelesen, manche Lemons fand ich schön, andere klangen nicht so angenehm, die mochte ich nicht.

Aber ich hab sie nie übersprungen. Weil sie für mich immer ganz klar ein Teil der Geschichte waren. Was dastand, gehörte auch rein. Es gehörte mit dazu. Und ähnlich hab ich das auch gehandhabt, als ich selbst meinen ersten Lemon geschrieben habe, anstatt es bei Andeutungen zu belassen. Ich hab das Feeling der Geschichte ausgelotet und es in eine intime Szene reingepackt. Und im Großen und Ganzen bin ich bis heute zufrieden damit, wie sich meine ersten Lemons aus Blau wie wir so lesen.

Warum rolle ich dieses Thema so ausführlich auf?

Weil ich will, dass ihr wisst, wie ich damit in Kontakt kam – zufällig. Und wie sich das auf mich ausgewirkt hat – bereichernd.

Wäre ich heutzutage aufgewachsen, wäre es mir kaum mehr möglich, dieselbe Erfahrung zu machen. Vor meinem ersten Lemon stand nichts weiter, als dass es sich beim Folgenden um einen handelt. Aber da ich nicht wusste, was das ist, hab ich weitergelesen. Das war keine Warnung und es gab damals zwar schon die Möglichkeit, Erwachseneninhalt anzugeben, das war auch der Fall bei dieser Story. Aber ich hab damals auch schon jede Menge Bücher mit erwachseneren Jnhalten gelesen, hab ich mir gedacht. Von daher hat mich das nicht gestört.

Ich glaube, und das ist nur meine Meinung, dass wir in einer Zeit leben, wo Triggerwarnungen ausgesprochen werden, die uns die Aufgabe abnehmen, selbst zu filtern, was wir lesen möchten und was nicht.

„Hä, Saskia, aber diese Warnungen stehen doch da, damit wir besser filtern können?“

Ja, stimmt. Aber ich kann euch sagen, dass ich den Lemon damals nicht gelesen hätte, wenn ich gewusst hätte, worum es sich dabei handelt. Und dann wäre mir eindeutig etwas entgangen. Und wahrscheinlich hätte ich dann auch ein bisschen Angst gehabt vor meinem ersten Mal. Hatte ich aber nie. Weil ich gelesen hatte, dass Geschlechtsverkehr wunderschön sein kann. Und ich hätte damals auch nicht auf sowas wie Hardcore-Porn stoßen können, denn das ist eher ein Phänomen aus der heutigen Zeit, das schleichend auf die Online-Plattformen rübergewandert ist.

Als ich in Lemons reingeschnuppert habe, war fast alles davon schnuffelig. Insofern denke ich nicht, dass man Warnungen heutzutage abschaffen sollte. Nein, nicht alle können das so handhaben. Denn der Content im Netz hat sich stark verändert.

Aber ihr könnt es euch denken: Meine Meinung ist der Grund dafür, dass ich in meinen Geschichten keine Warnungen rausgebe. Auch Sex und Drogen und psychische Einschränkungen gehören zur Geschichte, auch dabei charakterisiere ich, fange die Stimmung auf und vor allem zeige ich verschiedene Arten, angenehme oder weniger angenehme Erfahrungen im Leben in all diesen Bereichen zu machen. Ich maße mir nicht an, darüber zu entscheiden, ob ich jemanden triggere oder nicht. Aber ich sage ganz klar für mich: Was ich schreibe, fungiert für die Mehrheit nicht als Trigger.

Und ich bin immer überzeugter davon, je mehr ich auf Wattpad lese. Ja, ich lese hier viel und ich gehe auch liebend gern in die Auseinandersetzung mit den Sachen, die ich lese. In den letzten Jahren hat es immer mehr zugenommen, dass Inhalte anders ausfgearbeitet werden. Näher, eindringlicher – bishin zu dem Punkt, wo ich sage, bei manchen Geschichten, die ihr hier findet, seid wirklich vorsichtig: Sie triggern nicht nur, sie können selbst Second-Hand-Traumata bei euch auslösen.

Es liegt ein schmaler Grat zwischen einer Beschreibung von Gefühlen, die das Ganze nachvollziehbar macht und dem Leser* aber noch genügend Freiraum lässt auf der einen Seite und einer Beschreibung von Gefühlen, die Horror gleicht in der Art, wie sie die Psyche des Lesers* angreift auf der anderen.

Da ist ein Unterschied in der Darstellung.

Mein Hot Take ist, dass dadurch, dass wir mehr über Traumata sprechen als früher, etwas passiert ist, dass schon oft in der Vergangenheit passiert ist: Menschen versuchen ihren Schmerz abzugeben. Sie speichern ihn in Medien und drücken auf Veröffentlichung. Davor steht eine Triggerwarnung und wer es nicht lesen will, der muss ja nicht, so der Konsens.

Ich war schon immer ein großer Fan von Eskapismus. Ich nutze das Schreiben, um zu verarbeiten, aber ich nutze meine Texte auch als den Ort, wo ich meine Gefühle weit besser zum Ausdruck bringen kann als im alltäglichen Leben. Als Autoren* tragen wir die Verantwortung dafür, was wir unseren Lesern* kredenzen und ich weiß, dass man manchmal Trost darin findet, dass irgendwer anders was ähnlich Schreckliches durchmacht, wie man selbst.

Dennoch hoffe ich, dass wir wieder vor einer Zeitenwende stehen. Dass wir wieder mehr Hoffnung pflanzen und das Leben beleuchten, wie es ist, denn weder ist es immer tiefschwarz noch andauernd gleißend hell. Die schwankenden Darstellungen himmelhochjauchzenden Glücksgefühlen und dem tiefen Fall ins schwarze bodenlose Nichts, entsprechen immer mehr unserer Realität, unserer Wahrnehmung von unseren Gefühlen.

Aber möchten wir diese Welt auch für uns? Diese Theatralik?

Es gibt ein Zitat, mit dem ich diesen Eintrag beenden möchte, denn es fasst zusammen, warum ich mich nicht über andere stelle, indem ich meine Meinung hier präsentiere: „Ich will nicht hoch hinaus; ich will darüber hinweg.“

Schreibt mir gern, wie ihr zu Triggerwarnungen steht? Sowohl aus der Leser*-Perspektive als auch aus eurer Sicht als Autor* – Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, diesen Post bis zum Ende zu lesen.

Und danke, Nataliamoeller07 ❤️ Du hast mich mit dem Kapitel in deinem Schreibratgeber auf die Idee gebracht, mal einen ausführlichen Kommentar abzugeben.

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