love // longing

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Ich hatte heute keinen guten Tag. Kommt vor. Morgen wird besser, hoffentlich ... Wahrscheinlich. Manchmal bin ich überfordert. Heute war ich unfreiwillig draußen. Ich dachte nämlich erst, ich wäre freiwillig rausgegangen, aber dann habe ich im Café gemerkt, dass ich eine Social-Anxiety-Anwandlung hatte, nur weil die Kellnerin nicht freundlich war und mit diesen kalten Augen gelächelt hat. Ich hoffe, ihr wisst, was ich damit meine. Eigentlich bringt mich das an normalen Tagen nicht aus dem Konzept. Mit "normal" meine ich die Tage, an denen ich mich einigermaßen ausgeglichen fühle. Jedenfalls war heute keiner davon. Ich habe mich nicht getraut, ein zweites Mal nach dem Wlan-Passwort zu fragen, bzw. hatte keinen Bock, dieser ohnehin schon übel gelaunten Bedienung auf die Nerven zu fallen. Also habe ich keine Mails an meine Dozent*innen verschickt mit Themenvorschlägen für eventuelle Hausarbeiten. Könnte ich jetzt noch tun, ich hatte aber schon im Café eigentlich gar keine Lust dazu. Ich habe mir nur vorgemacht, ich würde das erledigen wollen. Weil ich eine schlechte Schauspielerin bin, nicht nur vor anderen, auch vor mir selbst, bin ich meinem Unterbewusstsein dann bald auf die Schliche gekommen. Ich wollte nichts für die Uni tun, ich hätte höchstens gesollt.

Wenn es ein Problem in meinem Leben gibt, auf das ich immer wieder stoße, dann ist es vermutlich die Frage danach, was ich will. Ich bin jahrelang gut damit gefahren, einfach davon auszugehen, dass der Spaß anderer wohl auch mein Spaß sein wird. Inzwischen weiß ich, dass ich eigene Bedürfnisse habe und dass ich viel glücklicher bin, wenn ich diese Bedürfnisse statt immer nur die meiner Freunde erfülle. Aber(!) - Ich brauche so scheiße lange, um zu kapieren, was mein Wunsch ist, was ich gern tun möchte. Mir fehlt ein direkter Zugang zu meiner Intuition, die mir mitteilt: Hey, du würdest jetzt am liebsten das machen.
Mich dem zu anzunähern ist gar nicht so leicht. Ich denke viel schneller als ich fühle. Und weil ich mir oft nicht die Zeit nehme, in mich hineinzuhorchen, bevor ich mich auf Aktivitäten mit meinen Freunden einlasse, rächt sich das irgendwann mittendrin, wenn ich den größten Schaden mit meiner passiv-aggressiven Laune anrichten kann. Geil, oder? -.-

Denkt bitte nicht, dass ich zu hart mit mir selbst ins Gericht gehe. Dem ist überhaupt nicht so. Ich mache mir bloß Gedanken über meine Art, Mitmenschen zu behandeln. Da habe ich noch einiges zu lernen. Beispielsweise muss ich unbedingt besser darin werden, meinen emotionalen Status einzuschätzen. Grob über den Daumen gepeilt, bin ich verantwortlich für neunzig Prozent meiner negativen Gefühle. Dann bin ich unerklärlich wütend, traurig oder trotzig. Unerklärlich. Was heißt schon unerklärlich? Ich bin mir nicht mal sicher, ob ich Dinge fühlen kann, die ich nicht auch in Worte fassen könnte. Ich arrogante Schriftstellerin ... Andererseits passt mein Gefühlsreichtum auch auf einen Teelöffel, wirklich viele Erfahrung von emotionaler Intensität habe ich in meinem Leben zumindest noch nicht gemacht. Das kommt noch, denke ich, da bin ich zuversichtlich. Oder ich versuche es zu sein.

Bei meiner pessimistischen Vorprägung kommt es selten vor, dass ich optimistisch bin. Dabei kommt am Ende alles, wie es kommen musste. Da ist es egal, ob's nun gut oder schlecht war. Das Schicksal liegt jenseits jeden Urteils. (Ja, ich glaube ans Schicksal, diese Metaphilosophie tröstet mich als Perfektionistin über meine Fehler hinweg.) Wir können uns quälen, indem wir uns gegen unsere innersten Gefühle stemmen. "Wir" - ich.  Bringt aber nichts. Macht die ganze Sache bloß noch anstrengender. Komisch, dass es uns derartige Anstrengung kostet, freundlich zu uns selbst zu sein, oder? Bei anderen - kein Ding. Aber ist man dann allein mit sich, ist man in schlechter Gesellschaft, wie Tarek es in "Kaputt wie ich" formuliert hat, s.o. ...

Keine Ahnung. Diese komplizierte Beziehung zu meinen eigenen Tiefen - nicht Abgründen - ist etwas, womit ich nach wie vor recht einsam bin. Irgendwo ist noch so viel mehr in mir. Ich will es erforschen, aber mir fehlt die passende Ausrüstung. Wer weiß, vielleicht habe ich auch Angst, vielleicht will ich kein Risiko eingehen. Und vielleicht ist das okay, aber vielleicht entgeht mir dadurch etwas. Ich glaube, ich brauche Zeit. Ich bin ungeduldig mit mir selbst. Wenn man früh erwachsen wird, verliert man außer Augen, welche Schritte der Introspektion man aufgrunddessen übersprungen hat. "Man" oder wieder ich. Ich, ich, ich. Ich bin süchtig nach mir selbst, sehnsüchtig. Und Sehnsucht ist nur perfekt, solange sie ist ... bleibt ... Unerfüllt.

Ich hatte an dieser Stelle erst das Lied von den zwei Königskindern eingefügt, ein deutsches Volkslied, das mir in meiner Kindheit vorgesungen wurde und das ich geliebt habe, obwohl es mitunter eins der traurigsten Kinderlieder allerzeiten ist. Darin geht es um zwei Königkinder, die an unterschiedlichen Ufern eines reißenden Flusses stehen und sich anschmachten. Sie lieben sich, aber sie können nicht zusammen sein und im Versuch die Kluft, zwischen ihnen zu überwinden sterben sie nacheinander - Und ich fand, das war mit Abstand das romantischste Lied, das ich kannte. Es handelt von der Unerreichbarkeit, die für mich zu meiner vergifteten Vorstellung wahrer Liebe mitdazugehört. Das ist aber nicht gesund. Darum bemühe ich mich, anders zu fühlen. Sehnsucht, oder besser noch Saudade, ist nicht Liebe. Ich weiß nicht, was sie ist, aber ich muss das, was ich an ihre Stelle habe treten lassen, loswerden. Um es mit Maeckes' Worten zu auszudrücken:

Manchmal stellt man Dinge auf ein Podest,
Und man kommt nie wieder ran
Und die Dinge fangen Staub
Und man sitzt einfach darunter und betet sie an - jahrelang
Doch irgendwann muss man niesen
Wegen dem ganzen Staub - Und hatschi!
Niest die Dinge vom Podest
Und wenn die Trauer vergeht, ist Platz für Neues
Das Leben ist okay
Es meint es gut mit dir

Ich frage mich, wie viel Staub meine Vorstellung von Liebe noch fangen muss, bevor ich niese und wo derjenige mit der Feder ist, der mich an der Nase kitzeln kann. Aber wichtig ist nicht, wer kitzelt. Wichtig ist nur, dass ich niese. Damit etwas Neues entstehen kann; damit ich begreife, dass das Leben okay ist, und es gut mit mir meint.



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