Kapitel 3

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An Schlaf ist allerdings nicht zu denken. Lea ist dermaßen aufgeregt, dass sie ständig herumzappelt und pausenlos vor sich hinplappert. Während ich noch überlege, ob ich wirklich ins Land der magischen Wesen fliegen soll und dann möglicherweise auch noch die Macht im Reich meiner Vorfahren wieder zu übernehmen versuche, befasst sich Lea nur noch mit der Frage, wie und wann wir aufbrechen. Für sie ist die Entscheidung schon längst gefallen.

Ich bin beinahe neidisch auf ihre unbekümmerte Art. Sie hat es aber auch leichter als ich. Sie hat nicht die ersten beiden Geschichten miterlebt, als sei sie ein Teil davon. Ich habe ihr natürlich auch von den Kämpfen und den Schwierigkeiten erzählt, aber das hat sie nicht sonderlich beeindruckt. Lea hat nicht Angst um ihr Leben verspürt und gefürchtet, getötet zu werden. Es zu spüren, als wäre man dabei, oder es nur erzählt zu bekommen, sind eben zwei völlig unterschiedliche Dinge. Deshalb bin ich meiner Mutter unendlich dankbar, diesen Weg gewählt zu haben, um mir die Situation klarzumachen.

Ich nehme an, meine Mutter hat genau aus diesem Grund die Bücher so gestaltet, damit ich besser entscheiden kann, was ich will, weil ich es schon kenne, weil ich weiß, was auf mich zukommt und auf was ich mich einlasse. Doch mit Lea an der Seite hilft mir das auch nicht viel. Sie will das Abenteuer erleben.


„Wir brechen gleich morgen früh auf", meint sie entschlossen.

„Aber da kann man uns sehen."

„Wir brauchen nur im Morgengrauen zu fliegen, dann sieht uns keiner", bestimmt sie.

„Willst du das wirklich? Das könnte gefährlich werden."

„Ach was, wir fliegen zu dieser Tante und dann sehen wir weiter. Was soll daran gefährlich sein?"

Für sie ist es damit beschlossene Sache. Sie stellt noch schnell den Wecker auf ihrem Handy und dreht sich dann einfach zur Seite. Wenig später höre ich ihre regelmäßigen Atemzüge. Sie lässt mir keine andere Wahl. Dabei bin ich sehr unsicher und schlafe diese Nacht auch nicht besonders gut.

Als mich der Wecker aus dem Schlaf reißt, bin ich noch hundemüde und würde mich am liebsten umdrehen und weiterschlafen. Aber da habe ich wohl die Rechnung ohne meine Freundin gemacht.

„He, aufstehen, du Schlafmütze", weckt sie mich. Dabei rüttelt sie kräftig an meiner Schulter.

„Hast du eine Ahnung, wie spät es ist? Es ist draußen noch stockdunkel."

„Wir können nicht trödeln, sonst wird es hell und dann wird's schwierig."

Ich habe praktisch keine andere Wahl, als mich aus dem Bett zu quälen. Das Frühstück fällt auch eher spärlich aus, da Lea mich die ganze Zeit antreibt. Sie hat Angst, wir könnten die Zeit verpassen.

„Sollen wir etwas mitnehmen?", frage ich.

„Ach was, das ist doch nicht nötig."

„Ein paar Wechselsachen."

„Notfalls fliegst du zurück und holst etwas", wehrt Lea ab. Sie hat es eilig.

Ich gebe mich geschlagen und wir machen uns auf den Weg zu unserem Platz. In einer zivilisierten Welt, oder was man halt so landläufig als solche bezeichnet, einen geeigneten Start- und Landeplatz für einen Drachen zu finden, ist nicht ganz einfach. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn uns jemand beim Losfliegen beobachten würde.

„Du hast gesagt, über dem Kapitol in Washington ist ein Portal zur anderen Welt?", erkundigt sich Lea.

„Ja, das zumindest hat meine Mutter gesagt."

„Dann lass uns über den großen Teich fliegen", meint sie gut gelaunt.

Wir haben inzwischen unseren Platz erreicht, ich habe mich versichert, dass wir, soweit ich sehen und spüren kann, allein sind, und fordere Lea auf, sich an mir festzuhalten. Diesmal schreit sie nicht mehr, als es mit ihr steil nach oben geht. Sie freut sich auf den Flug und sitzt nach einer kurzen Korrektur der Position perfekt in meinem Nacken.

Legenda Major - Aurorae MundiWhere stories live. Discover now