22

4.7K 182 2
                                    

«Es ist schön Sie wiederzusehen, Fräulein Sheila», meinte ich höflich, wie wir es geübt hatten.

«Fräulein Andrea, die Freude liegt ganz auf meiner Seite. Bitte gesellen Sie zu mir und trinken mit mir eine schön warme Tasse Tee», forderte mich die Schwarzhaarige auf und ich liess mich anmutig in dem sesselartigen Stuhl gegenüber von ihr nieder.

Zufrieden nickte sie, «Darf ich Ihnen eine Tasse einschenken, Fräulein Andrea?», fragte sie und führte das Schauspiel fort.

Ich neigte dankend den Kopf, «Sehr gerne, bitte schenken sie mir eine Tasse ein und wenn es nicht zu viel verlangt ist, dann hätte ich gerne noch einen Zuckerwürfel drin», bat ich und meine neu gewonnene Kameradin schenkte mir eine Tasse ein, liess einen Zuckerwürfel hineingleiten und schob dann die Tasse samt Untertasse zu mir.

«Vielen herzlichen Dank, Fräulein Sheila», bedankte ich mich und beide nahmen wir einen Schluck von unserem Tee.

Ein Räuspern hinter mir erklang, ich hatte ihn komplett vergessen, oder eher ausgeblendet.

«Meine Damen, so sehr ich diese kleine Teezeremonie auch schätze und so amüsant es auch zum Zusehen ist, Fräulein Andrea muss zum Schwertkampfunterricht», er sprach das Wort Fräulein in einem lächerlichen Ton aus.

Sheila brach in schallendes Gelächter aus und wedelte mit ihrer Hand wegschickend, «Geht nur ihr beiden, viel Spass beim Schwertkampf Andrea.»

Bei ihren Worten fragte ich mich augenblicklich, was sie denn die ganze Zeit trieb, während ich Unterricht hatte und Kyran mit Arbeit beschäftigt war.
Gerade wollte ich noch fragen, als mich Azrael aus dem Zimmer und Schloss schob, hin zum Trainingsplatz. Kyran war diesmal nicht da, stattdessen stand der oberste Kommandant vor mir und gab mir ein Schwert. Ich würde heute also gehen ihn kämpfen, meine Bewegungen mit dem Schwert waren noch nicht so präzise wie die seinen und somit war ich ihm als Gegner unterlegen.

«Los!», schrie er und ich rannte auf ihn zu, er blockte ab, doch genau das brachte meinen Adrenalinpegel zum Steigen.

❥︎ ❥︎ ❥︎

«Andrea», hielt mich Erik zurück, als ich nach dem Training gerade die Treppe hinaufhechten wollte und ich drehte mich freundlich lächelnd zu Kyrans Grossvater um.

«In letzter Zeit sehe ich dich kaum, das liegt wohl an deinem Unterricht. Du lernst fleissig, habe ich gehört», meinte er und ich nickte nur, da ich nicht genau wusste, was ich antworten sollte.

«Kyran soll mehr Zeit mit dir verbringen, aber von dem was ich mitbekommen habe, ist das nicht der Fall», sein Tonfall hatte eine enttäuschte Note, «Ich sollte mal mit ihm reden.»

«Sie können ruhig mit ihm reden, jedoch müssen Sie das nicht. Ich bin nicht von seiner Aufmerksamkeit abhängig, er macht sowieso, was er will», versuche ich die Konversation in eine andere Richtung zu leiten.

«Warum haben Sie nach mir gesucht?», fragte ich und überrascht sah er mich an.

«Ich wollte mich bloss mit dir unterhalten. Ich hab gesehen, dass du geradezu jeden Tag Kämpfen übst und ziemlich gut bist. Hast du vor in die royale Garde zu kommen oder was?», scherzte er und ich schmunzelte amüsiert.

«Du lernst sicher nicht umsonst Kämpfen, wenn du willst, dann bringe ich dir die Kriegsstrategie vom Saphirna bei. Davor aber habe ich eine Frage», er sah sich vorsichtig um, dann flüsterte er, «Bist du ein Lykaner?», ich sah ihn verwirrt an.

«Ich sag's auch niemandem, Ehrenwort. Der Mondgott ist mein Zeuge», er hielt seinen Zeigefinger, seinen Mittelfinger und seinen Ringfinger als Einheit hoch, um mir die Ernsthaftigkeit seiner Worte klarzumachen.

Kurz wog ich meine Chancen ab, dann nickte ich zögerlich. Sein Gesicht erhellte sich und er breitete die Arme feierlich aus.

«Nicht dass du nicht schon vorher Teil der Familie warst, aber: Willkommen in der Famile Stormcastle», ich lächelte scheu, unsicher, was ich mit mir anstellen sollte.

«Keine Umarmung? Auch gut», er liess die Arme sinken, doch seine gute Laune blieb.

«Wie hast du das überhaupt rausgefunden?», jetzt wo er mich offiziell in der Familie hatte willkommen geheissen hatte, traute ich mich ihn auch zu duzen.

Er zuckte mit den Schultern, «Hatte so eine Vermutung, wie du nie nachgefragt hast, was wir sagen, obwohl wir unsere Münder bewegten», das war es also.

Um darauf zu kommen musste er mich genau beobachtet haben, er war einem Herrscher würdig.
Alexej musste auch nicht eine gute Nase haben, wie lange würde es wohl dauern, bis auch er mein Geheimnis herausfand?
Ihnen die ganze Wahrheit sagen kann ich dennoch nicht...

«Es wird bald noch sehr viel kälter als jetzt. Der Winter naht», meinte Erik und bot mir freundschaftlich den Arm an, also hakte ich mich bei ihm unter und er führte uns in den königlichen Schlossgarten.

Inzwischen waren mehr als zwei Wochen vergangen und alle Blätter lagen auf dem Boden, bereit für den ersten Schneefall. Da ich glücklicherweise mein Cape noch trug, fröstelte ich keineswegs als wir hinaustraten. In Ruhe konnte ich in den Himmel hinaufsehen und die dicken, schweren und weissen Schneewolken betrachten.
Ich frage mich, wie lange es noch dauert bis zum ersten Schneefall.

«Sheila und du, wie versteht ihr euch?», fragte er und ich zuckte leicht mit den Schultern.

«Da wir nebeneinander wohnen laufen wir einander viel über den Weg. Ich würde sagen, wir verstehen uns ganz gut. Mit Minna und Königin Calandra, auch mit König Alexej, verstehe ich mich wirklich gut», in normalen Worten  ich fühlte mich wohl.
Bald würde die Weihnachtszeit beginnen. Nur noch eine Woche.

«Also solltest du mal Hilfe brauchen, ich bin da, kannst mich gerne fragen», er nickte mir lächelnd zu und entfernte sich danach von mir und damit auch von der Unterhaltung.
Hä? Das war alles? Was war das denn bitte?

Ein willkommener Geruch stieg mir in die Nase. Blitzartig drehte ich mich um und Kyran am anderen Ende des kleinen Beets zuckte zusammen.
Über das Beet laufen kann ich nicht, also der Weg. Aber vielleicht läuft er weg. Naja egal, dann renne ich eben hinterher, er kann sich nicht ewig vor mir drücken.
Doch er verfolgte nur jeden meiner Schritte, bis ich schliesslich vor ihm stand.

«Hallo, Kronprinz Kyran», er knurrte leise.

«Hi», sagte er zurück, «Und nur Kyran reicht», meinte er gepresst.

«Aber so nennen dich doch alle anderen auch», meinte ich, «Wenn du es jedoch so willst», ich zuckte mit den Schultern.

«Dreh mit mir eine Runde», forderte er mich auf und verdutzt blickte ich in sein Gesicht. Das war sein Ernst.

Reagan -Little Ruler-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt