23

4.1K 175 6
                                    

«Eine Runde?», fragte ich, nicht ganz sicher was er meinte.

«Eine Runde», wiederholte er und hielt mir galant den Arm hin, welchen ich jedoch ignorierte und statt ihn zu ergreifen einen Schritt nach vorne machte.

Er seufzte, «Also gut», schloss er zu mir auf und lief neben mir her, sich meinem Tempo anpassend.

«Ich will dich besser kennenlernen», meinte er in einem sanften Ton und schielte geradezu nervös zu mir rüber.

«Ach? Auf ein Mal?», flüsterte ich leise, doch dann sah ich ihn ebenfalls an, «Na gut. Du willst mich kennenlernen. Was willst du wissen?», ein erleichtertes Leuchten trat in seine Augen.

«Wir tun so, als würden wir uns nicht kennen», legte er fest, jedoch war in seinem Tonfall eine fragende Note und ich nickte auf die unausgesprochene Frage hin.

«Ich bin Kyran und 20 Jahre alt. Was ist mit dir?», fragte er mich gleich.

«Andrea und 18. Was sind deine Hobbies so?», führte ich die Konversation so gut es ging fort.

«Hm, mal überlegen. Was mache ich in meiner Freizeit? Ah, ich weiss, ich Schwertkampf. Es ist aber auch der Sport, den ich schon seit Jahren übe, da ich ein Prinz bin.»

«Du bist ein Prinz?», meinte ich gespielt überrascht und er hob verdattert die Augenbrauen. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich so tief in die Rolle der Unwissenden eintauchen würde.

«Ja, vom Königreich Saphirna, das Land der blauen Edelsteine», erklärte er und ich nickte.

«Natürlich haben wir auch andere Edelsteine, also nur grüne, blaue und violette, eben alles was auf dem Grünen-Spektrum der Farben liegt», meinte er und sah hinauf in die Wolken, bald würde es zu schneien anfangen.

«Warum keine Rottöne? Rot, Orange, Gelb und Pink, je nachdem ob man das dazu zählt, sind doch schöne Farben! Was ist mit denen?», fragte ich mit unschuldiger Miene.

«Sehr schöne Farben, nun ja, aber sie gehören zu unserem Feindesland», gespielt erschrocken zuckte ich zusammen, «Feindesland?», fragte ich.

«Wie wir eine Insel und voll von hochnäsigen Biestern, seit Jahrhunderten führen wir Kriege. Momentan bereiten wir uns auf ihren nächsten Angriff vor», abwesend nickte ich.

«Ach übrigens, wegen dem versprochenen Date», fing er an, doch ich hielt ihm den Mund zu, «Na na, Fische können nicht fliegen, dabei bleibe ich und bis du es mir beweisen kannst, gibt es kein Date», damit rannte ich in die Richtung aus der wir gekommen waren und ins Schloss.

«Andrea, ist alles in Ordnung?», fragte Erik mich und ich nickte nur, «Deine Wache hat dich übrigens kurz aus den Augen verloren und Sheila ist verletzt», meinte er ruhig und die Bedeutung seiner Worte sickerten nur langsam zu mir durch.

«Was? Wann?», erschrocken sah ich Kyrans Grossvater an, «Heute morgen während du Kämpfen geübt hast, sie war auf einem kleinem Abenteuer und ist in einen Sumpf mit giftigen Insekten gefallen und–», noch ehe der ehemalige Herrscher seinen Satz beenden konnte, rannte ich die Treppen hinauf zu Sheila.

Ich schlug die Tür auf, «Sheila!», besorgt war ich sofort an ihre Seite, «Was ist passiert?»
Obwohl Erik mir schon seine Version erzählt hat, kann man nie sicher sein.

«Bin in einen Sumpf gefallen auf einem Ausflug und äh ja, da waren giftige Insekten drin. Jetzt spüre ich meine Beine nicht mehr und bin quasi querschnittsgelähmt», sie zuckte mit den Schultern, als sei es nichts.

«Ich werde schon wieder gesund.»

«Was?!», ich hatte Kyran im Türrahmen nicht bemerkt, natürlich war er auch hier.

«Keine Sorge Sheila, wir werden uns alle um dich kümmern», versprach er.

❥︎ ❥︎ ❥︎

Der Tag des ersten Schnees. Ich hatte ihn mir schöner vorgestellt, ohne dass Sheila sich verletzt hätte. Doch nun war es nun einmal so und ich konnte sie zum ersten Schnee nur in ihrem Rollstuhl hinaus auf ihren kleinen Balkon schieben.
Die Weihnachtszeit wird bald beginnen, vielleicht hat sie das für manche schon.
So viel wie möglich beschäftigte ich mich die kommenden Tage mit Sheila, ich fuhr sie durch den schneebedeckten Garten, sah mit ihr Fern und trank mit ihr heissen Punsch.

«Andrea, was du die letzten Tage für Sheila getan hast war wirklich nett, aber du solltest dich auch wieder deinem Training widmen», schob mich Kyran aus dem Zimmer und schloss hinter mir die Tür.
Es war klar, was er wollte. Sheila. Ich war immer die zweite Wahl. Warum sollte ich auch die erste Wahl sein, wenn ich seines Wissens nach nicht von königlicher Abstammung war?

«Azrael, wir gehen raus in den Schnee», meinte ich kühl, schloss meine Gefühle ein und setzte eine ungerührte Maske auf.

«Prinzessin, bei allem Respekt», er räusperte sich kurz, «Es ist arschkalt da draussen!», er zeigte aus dem Fenster.

«Du gegen mich», meinte ich nur und zog mich kurz in mein Zimmer zurück, um mir Hosen anzuziehen.

Wenig später stapften wir, beide in Mäntel gehüllt, durch den dicken Schnee, der uns sicherlich bis zum Schienbein reichte.

«Muss das sein?», maulte meine Leibwache vor sich hin und ich konnte bei seiner Quengelei nur seufzen.

«Ja, es muss sein. Komm jetzt wir sind ja gleich da», bei meinen Worten sah er sich hoffnungsvoll um und schnappte sich meine Hand.

«Na dann nichts wie hin!», so schnell, wie er bereit stand, konnte ich gar nicht gucken.

Lächelnd schüttelte ich meinen Kopf, zog meine Mütze richtig an und stellte mich zu meiner Leibwache auf die glatte Fläche.
Im Handumdrehen sauste er an mir vorbei, zog Runde um Runde auf der Eisbahn, während ich wackelig im Schneckentempo vorankam.
Das hier war keine gute Idee, aber egal, ändern kann ich es jetzt sowieso nicht mehr.
Azrael drehte eine Pirouette, sauste an mir vorbei und bot sogar an, mich in die Höhe zu heben und zu tragen, damit ich
die Wunder-des-Schnellen-Fahrens erleben konnte, wie er es genannt hatte.

«Nein ganz sicher nicht!»

«Aber warum denn nicht, Prinzessin?»

«Wenn du mich fallen lässt, dann–», er schnitt mir den Satz ab.

«Als ob ich dich fallen lassen würde, komm schon, vertrau mir», er hielt mir seine Hand ausgestreckt hin, doch ich schüttelte den Kopf.

«Nö!»

Und so kam es, dass ich friedlich Schlittschuh fuhr und mitten in meinem Rhythmus von einem gewissen Schwarzhaarigen mit blauen Augen hochgehoben wurde.

«Azrael!», schimpfte ich empört, doch er lachte nur.

Reagan -Little Ruler-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt