Kapitel 12 -Reden

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Gegen Mitternacht sitze ich dann schließlich mit Sam in meinem Auto. Die anderen waren nach einander gegangen, bis nur noch wir beide da waren.

"Und jetzt?" Ich sehe ihn fragend an, in der Hoffnung eine gute Idee von ihm zu bekommen. Fehlanzeige. Er zuckt mit den Schultern.

"Meiner Meinung nach können wir einfach hier stehen bleiben und reden." Ich glaube nicht richtig gehört zu haben. Reden? Dieses Word habe ich glaub ich noch nie aus dem Mund eines Typen gehört. Und wenn dann hundertprozentig nicht in diesem Zusammenhang. Ich glaube das letzte Mal war, als Paul sich von mir trenne wollte. Nein, falscher Gedanke. Ich merke schon wie meine Stimmung schlechter wird. "Nicht reden?" Sam sieht plötzlich besorgt aus.

"Nein! Alles gut!", sage ich schnell und setzte ein tapferes Lächeln auf.  "Reden hört sich gut an." Er grinst, scheint aber noch nicht ganz überzeugt. Doch zum einem Glück geht er nicht weiter drauf ein.

"Was hat es mit dieser The- Voice- Sache auf sich?" Plötzlich hört sich Reden gar nicht mehr so gut an. Ich verziehe das Gesicht.

"Nicht viel", grummel ich und versuche das Bisschen, dass noch von meiner guten Stimmung geblieben ist irgendwie in mir zusammenzukratzen. Mein Gesichtsausdruck erklärt ihm wohl, dass das eindeutig das falsche Thema ist.

"Was ist deine Lieblingsfarbe?" Ein breites Grinsen erscheint auf seinem Gesicht, dass mir verrät, was das hier für ein Spielchen wird.

"Bordeaux- rot", sage ich und freue mich irgendwie über den wenn auch sehr krassen Themawechsel. Ich drehe mich auf dem Fahrersitz zu ihm und zerre meine Beine zum Schneidersitz auf das schwarze Polster.

"Lieblingsessen?"

"Pizza!" Er lacht.

"Geschwister?"

"Eine kleine Schwester, ein großer Bruder?"

"Bester Film, den du je gesehen hast?" Ich überlege.

"'Forrest Gump' oder 'Der seltsame Fall des Benjamin Button'." Er nickt zustimmend.

"Lieblingssänger?"

"Deutsch oder egal?"

"Egal."

"Macklemore."

"Dein Ernst?!" Er verzieht angewidert das Gesicht.

"Ja!", rufe ich begeistert.

"Warum?" Ich zucke mit den Schultern.

"Keine Ahnung. Ist einfach so. Ich find seine Musik einfach geil." Er schüttelt einfach nur lachend den Kopf.

"Na dann. Weiter." Er überlegt einen Augenblick. "Ist das dein Auto?" Ich nicke. "Was hat dieses Bild auf sich?" Er zeit auf das Bild der halbnackten Tusse am Rückspiegel. Erschrocken reiße ich es herunter und lasse es in meiner Hosentasche verschwinden.

"Das ist von Drue." Ich spüre die Röte in mein Gesicht steigen.

"Bist du dir sicher?", fragt Sam lachend. Er scheint zu merken, dass mir das echt peinlich ist. "Ich kann mir da an eine Szene im Restaurant erinnern..." Bevor er weiter reden kann schlage ich ihm gegen den Arm- nicht besonders hart, nur damit er nicht weiter redet.

"Hör auf!", rufe ich und versuche ernst zu wirken, kann das Lachen aber nicht zurückhalten.

"Also heißt das...?" Er scheint das echt ernst zu meinen.

"Alter nein! Ich steh nicht auf Mädchen!" Ich schüttle energisch den Kopf. Fast glaube ich ein erleichtertes Seufzen von ihm zu hören. Was soll das denn werden?

"Na dann will ich dir mal glauben." Er will eindeutig die Erleichterung aus seinem Gesicht verbannen, aber es gelingt ihm nicht.

"Gut, jetzt bin ich dran", erkläre ich schnell, bevor er weiter fragen kann. "Lieblingsfach in der Schule?"

"Sport!"

"Dumme Frage. Mama oder Papa?" Er schein etwas verwundert über die Frage, beantwortet sie aber dann doch- wie mir scheint sogar ernst.

"Papa!"

"Geschwister?"

"Eine ältere, eine jüngere Schwester und ein älterer Bruder."

"Lieblingsurlaubsziel?" Glaubt jetzt nicht mir würden diese ganzen Fragen ganz plötzlich einfallen. Ich habe mir irgendwann mal in einer langweiligen Schulstunde- eine meiner ersten in London- eine Liste mit Fragen erstellt, die man stellen könnte, wenn man jemand neuen trifft. Diese Liste hat sich in mein Gehirn gebrannt und ist hier echt hilfreich, auch wen die Fragen  manchmal echt absurd klingen.

"Italien."

"Wie originell." Ich lache. "Erster Kuss?"

"Oh Gott. Was sind das für Fragen?" Sam schüttel überfordert den Kopf. Ich zucke mit den Schultern und sehe ihn erwartungsvoll an. Er beginnt zu grübeln.

"Der allererste mit nem Mädchen war im Kindergarten, aber ich glaub das zählt wohl nicht." Er sieht mich nachdenklich an, als stünde die Antwort in meinem Gesicht geschrieben. "Dreizehn?"

"Erste große Liebe?" Diese Fragen stehen auf unter dem Abteil 'Wenn du ihn/sie relativ gut kennst. Ja, die schlaue Liv hat die Fragen auch noch kategorisiert. Langeweile lebt, oder nicht?

"Sechszehn." Das kommt bestimmter als ich gedacht hatte.

"Größte Stärke?"

"Jetzt bin ich wieder dran!", protestiert er. Ich seufze lachend und warte gebannt auf die Frage.

Wir verlieren total das Zeitgefühl, reden über dies und das und springen von einem Thema zum anderen. Ich erfahre viel mehr über ihn, als ich gedacht hatte und stelle fest, wie viel wir doch gemeinsam haben. Zwischenzeitlich ersticke ich fast an meiner eigenen Lache, allein wegen seinem Gesichtsausdruck, was er nur mit einem amüsierten Kopfschütteln kommentiert. Ein anderes Mal kann man ihm fast das Entsetzten aus dem Gesicht kratzen oder das Erstaunen von der Haut ziehen.

Eigentlich hätte wir mit der Zeit müde werden müssen, doch die Zeit dafür hätten wir gar nicht gehabt. Im Nachhinein kann ich mich an keine einzige Schweigeminute erinnern.

Als die ersten Sonnenstrahlen über den Häusern Kölns streifen registriere ich erst wie spät es ist.

"Oh", gibt Sam von sich, während er in das helle Licht sieht.

"Hat wohl doch etwas länger gedauert, unser Reden", stelle ich grinsend fest. Er sieht mich an und setzt ein schiefes Lächeln auf, das mich für einen Augenblick fesselt. Ich  glaube ich habe in meinem Leben noch keinen wie ihn getroffen. Er ist viel zu nett, offen und freundlich um wirklich zu existieren. Und dazu sieht er nicht mal schlecht aus. Schieße, Liv. Der Typ ist fast ein Star. Kein Wunder. Er muss doch so sein, oder?

"Soll ich dich nach Hause fahren?", biete ich an und er sieht mich nachdenklich an.

"Willst du das wirklich?" Sein Gesichtsausdruck bringt mich  zum Lachen und ich werfe den Motor an.

"Ja das will ich", sage ich bestimmt und fahre los. Auf der Fahrt zu ihm nach Hause kommentiert er die vorbeiziehenden Menschen, macht sich über ihre Gangarten lustig oder wie sie verschlafen durch die Gegend torkeln, während ich krampfhaft versuche nicht vor Lachen in irgendeinen Baum zu rasen.

Two confused heartsМесто, где живут истории. Откройте их для себя