Kapitel 47- Just the way you are

1.7K 96 6
                                    

Ich stehe in einem großen Zimmer und starre aus dem Fenster vor mir. Der Ausblick ist gigantisch- oder ich stelle ihn mir gigantisch vor, denn es ist stockdunkel draußen. Ich sehe mich um. Das Zimmer ist schlicht. Ein großes Bett steht in der Mitte, an der einen Wand steht ein großer Schrank, an der andere ein einfacher Schreibtisch. Doch was meine Aufmerksamkeit erregt ist das Klavier an der gegenüberliegenden Seite der Fenster. Ich fahre zu Sam herum, der hinter mir steht und mich beobachtet.

"Du spielst Klavier?", frage ich erstaunt. Er nickt beschämt und ich stürme zu dem schwarzen Instrument hin um den Deckel vorsichtig zu öffnen und über die weißen Tasten zu fahren. Meine Finger greifen ein paar und spielen eine einfache, vorsichtiges Melodie. Es sind nur ein paar Töne, aber ich merke, wie meine Finger das vermisst haben. Sam sieht mich überrascht an.

"Du kannst auch Klavier spielen?" Ich lache und lasse mich auf den Hocker fallen. Vor eineinhalb Jahren hatte ich mein Kavier verkauft, um den Austausch zu finanzieren. Damals war es eigentlich nur noch ein Staubfänger gewesen, aber ich irgendwie habe ich es doch vermisst. Meine linke Hand sucht ein paar Töne, bis sie die richtigen gefunden hatte und meine rechte automatisch die beginnt die Melodie zu spielen. Ich grinse Sam an, während meine Finger über die Tastatur fliegen. Irgendwie ist es ein befreiendes Gefühl so zu spielen. Das Stück ist einfach, irgendeine Etüde, die ich immer zu einspielen gespielt hatte, aber ich dafür, dass ich fast zwei Jahre kein Klavier gespielt habe, ist es doch schon was. Sam grinst und lässt sich neben mich fallen. Ohne Vorwarnung schiebt er meine Hände zur Seite und lässt seine Finger über die Tastatur fliegen. Ich kenne die Melodie, kann sie aber nicht genau zuordnen. Er ist gut, deutlich besser als ich. Es wirkt so leicht, wie seine Hände hin und her wandern und seine immer die richtigen Töne finden. Ich beobachte ihn, wie er konzentriert auf seine Hände sieht. Seine Stirn legt sich leicht in falten und seine Mundwinkel sind angestrengt nach unten gezogen. Er scheint mich vollkommen vergessen zu haben, während die Töne durch den Raum wandern und er immer wieder neue hinterherjagt. Plötzlich fühlt sich alles richtig an. Neben ihm hier zu sitzen, ihm zuzuhören und einfach den Moment zu genießen. Vorsichtig lege ich den Kopf auf seine Schultern und schließe die Augen. Dieser Augenblick soll niemals enden.

Meine Gedanken wandern weiter. Was wird wohl morgen sein? Nächste Woche? Nächstes Jahr? Werde ich dann immer noch neben ihm sitzen und ihn lieben, so wie ich es jetzt tue? Möchte ich das überhaupt? In etwa einem halben Jahr werde ich mein Abi haben und dann studieren gehen. Schon vor ein paar Monaten habe ich die Bewerbungen abgeschickt. Den Plan habe ich schon seit ich aus England wieder da bin: Weg sobald ich kann. So weit weg wie möglich. Australien oder USA. Aber bloß nicht im langweilige, spießigen Deutschland bleiben. Sam kennt meine Pläne. Er ist nicht gerade begeistert davon, aber er kann mich verstehen- das sagt er zumindest. Und ich habe auch nicht vor wegen ihm alles hinzuschmeißen. Ja, ich liebe ihn, aber meine Zukunft liegt noch vor mir. Mir ist alles offen und ich möchte nichts missen müssen.

Doch jetzt, in diesem Moment könnte ich auch ewig hier bleiben. Seine hochnäsige Familie ist mir egal, die ganzen Fans, die ständig hoffen, dass er mich endlich fallen lässt und Luke, der vom Erdboden verschollen ist. Niemand kann mir das nehmen, was ich jetzt hier mit ihm habe.

Viel zu schnell ist das Stück vorbei. Er sieht mich lächelnd an. Doch ich kann diese Stille nicht haben. Also spielen ich ein paar Töne. Sie kommen mir einfach so in den Sinn und als ich genau hinhöre, erkenne ich die Melodie, die meine Finger finden. Ich grinse und lege die zweite Hand hinzu. Sie ergreift die Akkorde und augenblicklich durchströmt die Erinnerung mich. Ich spüre die Blicke auf mir, die zitternden Knie und die Aufregung, die mein Herz höher schlagen lässt. Ich versuche in der Melodie aufzugehen und den Klängen der Musik zu folgen. Es fällt mir deutlich leichter als damals. Ich stelle mir vor, wie das Schlagzeug einsetzt und suche den richtigen Moment. Und dann öffnet sich mein Mund wie von selbst. Es ist viel zu lange her, dass ich gesungen habe. Ab und zu mal mit zu summen ist nicht das selbe, wie allein der Träger dieser Melodie zu sein. Anfangs fallen mir die Wort schwer. Die ersten Zeilen sind leise und vorsichtig.

"The lights go out and I can't be saved

Tides that I tried to swim against

You've put me down upon my knees

Oh, I beg, I beg and plead, singing."

Sam sieht mich überrascht an. Er hat das Video gesehen, hundertmal. Aber was er gesehen hatte war Jahre her gewesen. Außerdem war es nur eine Aufnahme. Ich weiß selber, wie anders meine Stimme in Wirklichkeit ist. Und auch, wie sehr sie sich verändert hat.

Mit etwas mehr Selbstbewusstsein singe ich die nächsten Zeilen, die mir deutlich leichter fallen.

"Come out of things unsaid

Shoot an apple off my head, and a

Trouble that can't be named

A tiger's waiting to be tamed, singing."

Gerade beginnt es Spaß zu machen, da drück Sam meine Hände von der Tastatur weg. Geschockt sehe ich ihn an. Was soll das denn jetzt werden? Ich weiß, dass ich nicht die perfekte Stimme habe, dass haben sie mir damals ziemlich deutlich klar gemacht, aber von ihm hätte ich das nicht erwartet. Doch sieht mich nicht einmal an, sonder setzt stattdessen die Finger wieder an. Er spielt Akkorde, einfach auf und ab, doch es kommt mir bekannt vor. Und dann beginnt er zu singen.

"Oh, her eyes, her eyes make the stars look like they're not shinin'

Her hair, her hair falls perfectly without her tryin'

She's so beautiful

And I tell her every day."

Einfach so. Ton für Ton. Als wäre es das normalste der Welt. Als hätte er schon immer gesungen. Als wäre es nichts besonderes, dass er mir gerade etwas offenbart, von dem ich nie geahnt hatte. Mit offenem Mund lausch ich ihm.

"Yeah, I know, I know when I compliment her, she won't believe me

And it's so, it's so sad to think that she don't see what I see

But every time she asks me, "Do I look okay?"

I say"

Am liebsten würde ich ihn anschreien. Warum hatte er mich nie erzählt, dass er Klavier spielt und singen kann. Und ich sage nicht das er einfach nur 'singen kann'. Er singt verdammt gut! Aber ich kann ihn nicht unterbrechen. Er lächelt bei den Worten, die klar und wunderschön aus einem Mund kommen und mein Herz höher schlagen lassen. Den auch wenn es nicht das was er singt, meint er vollkommen ernst.

"When I see your face

There's not a thing that I would change

'Cause you're amazing just the way you are

And when you smile

The whole world stops and stares for awhile

'Cause girl, you're amazing just the way you are"

Ich leugne nicht, dass mir jetzt Tränen in die Augen steigen. Ich kann sie einfach nicht zurückhalten. Langsam und fast schüchtern laufen sie meine Wangen hinunter und lassen meine Sicht verschwimmen. Er sieht mich kurz an und hört sofort auf zu spielen. Die Töne verklingen und ich vermisse sie jetzt schon.

"Alles ok?", fragt er besorgt und lässt die Hände sinken.

"Du bist ein Idiot, weißt du das?", hauche ich und wische mir schluchzend die Tränen weg. Er sieht mich geschockt. Ich lächle schwach und füge hinzu: "Und darum liebe ich dich." Ich küsse ihn. Mein Idiot.

Two confused heartsWhere stories live. Discover now