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POV: Abby (Abigail)

Ich wunderte mich nicht wirklich, dass Ray einfach gegangen war. So waren wir doch alle am Anfang drauf, oder? Snow hatte sich hingelegt, sie war erschöpft von ihrer Therapie. Die Vergangenheit musste ihr noch immer sehr zusetzen. Ich saß an dem kleinen Tisch und zeichnete. Es entspannte mich, all diese schwarzen Gedanken in Bildern auf ein Blatt zu bringen. Graues Blei auf weißem Papier. Zeichnen war schon immer meine Leidenschaft gewesen. Nur war damals nicht das Papier, sondern mein Körper, die Leinwand und Klingen waren meine Pinsel.

Ich war seit einem Jahr hier, aber ging es mir wirklich besser? Diese Frage spuckte mir eine ganze Weile im Kopf herum. Da hörte ich einen dumpfen Schlag. Ich sah von meinem Blatt auf. Was war das? Ich hörte es erneut und trat verwundert auf den Flur hinaus. Dann ging alles ganz schnell. Pfleger schrien durcheinander und stürmten über den Flur. Dann wurde ein Mädchen auf den Flur getragen. Ray! Was war mit ihr? War sie bewusstlos? Oder... Tot? Nein, niemand hatte es je geschafft, sich in einer Psychiatrie umzubringen! Ich wollte den Pflegern folgen, wurde aber zurückgehalten.

,,Geh in dein Zimmer! Sofort!" schrien mir entgegen. ,,Warum? Was ist pa-. " Ohne ein Wort wurde ich zurück in mein Zimmer geschoben und die Tür schloss sich vor meiner Nase. Panik machte sich in mir breit und ich begann unruhig durch das Zimmer zu laufen. Ich kannte dieses Mädchen kaum, aber irgendwie mochte ich sie, sie erinnerte mich an mich selbst und sie war mir aus irgendeinem Grund wichtig. Dieser Grund wollte sich mir zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht erschließen.

Bilder ihres blutverschmierten Gesichts kamen mir in den Sinn. Mir wurde schlecht. So viel Blut hatte ich lange nicht gesehen, Erinnerungen meines früheren Lebens kamen wieder hoch, Erinnerungen, die ich verzweifelt versuchte zu verdrängen. Ich ließ mich an der Tür herunter gleiten und schloss die Augen. Oh Ray, was hast du nur getan?

POV: Ray (Rachel)

Ich blinzelte gegen das weiße Licht an, dass meine Sinne vernebelte. Ich erwachte von heftigen Schmerzen in meinem Kopf und öffnete schmerzverzerrt die Augen. Langsam, ganz langsam drangen Stimmen in mein Bewusstsein, aber was diese sagten, ergab für mich keinen Sinn. Ich versuchte einen klaren Gedanken zu fassen, aber mein Kopf war ein einziges Chaos. Mir war schwindelig. Wieder blinzelte ich, aber alles, was ich sah, war das weiße Licht. Der Nebelschleier in meinem Kopf lichtete sich ein wenig. War ich tot? War dies das Licht am Ende des Tunnels, wovon immer alle Sprachen? Aber konnte man denken, wenn man starb?

,,Rachel! Hörst du uns? Bist du wach?" Drang langsam eine Stimme in mein Bewusstsein. Ich kniff meine Augen fest zusammen und öffnete sie dann. Meine Sicht wurde klarer. Vorsichtig sah ich mich um. Ich lag in einem riesigen Raum, angeschlossen an Apparaturen, die einen schrillen Piepton von sich gaben. Verschwommen konnte ich Herrn Rot erkennen. Dann traf mich die Erkenntnis. Ich hatte versagt...

Zum dritten Mal...

Du verdienst es nicht zu leben! Du bist ja sogar zu dumm zu sterben! Drei Mal! Drei Mal! Versagerin! Erbärmlich! All diese Stimmen schrien auf mich ein und kannten kein erbarmen. Eine Träne rollte über meine Wange. Willst du jetzt heulen? Vor den ganzen Leuten? Ihnen zeigen, wie schwach du bist?!

,,Rachel? Wie geht es dir? Kannst du dich bewegen?" Ich sah in das Gesicht der Pflegerin, die mir mein Zimmer gezeigt hatte. Sofort fiel mir das weiße Bett auf und ich stöhnte. Ich war auf der Krankenstation. Ich sollte sie nicht mehr sehen können! Ich sollte nicht mehr denken können! Ich sollte zu absolut gar nichts mehr fähig sein und jetzt lag ich hier. Wollte mich vom Leben trennen. Der Tod ist die einzige lösung von den Qualen dieses Lebens.

Ich spürte einen stechenden Schmerz in meinem Kopf. ,,w-wo bin ich?" Es war schwer, diese Worte über meine Lippen zu bekommen. ,,Am Anfang von Station 2, in einem Krankenzimmer. Was ist passiert?" fragte mich Herr Rot. Ich versuchte meinen Kopf in seine Richtung zu drehen, es schmerzte und ich hatte nicht genug Kraft dazu, also blieb ich liegen. Ich hatte erneut versagt, das ist passiert. Ich lebte noch. Ich musste mir was einfallen lassen, ich konnte ja schlecht sagen, dass ich versucht hatte, mich umzubringen. Aber mein Kopf konnte immer noch keinen richtigen Gedanken fassen. Es tat alles so scheiße weh! Mental wie auch körperlich. ,,Ich...weiß...nicht" es tat weh zu sprechen, es tat weh zu denken und es tat weh das ich immer noch lebte. ,,Erinnerst du dich an gar nichts?" Ich schüttelte langsam den Kopf, selbst das tat weh. Ich hob eine Hand und befüllte vorsichtig den Verband an meinem Kopf. Herr Rot sah mich skeptisch an. Lass dir was einfallen! Dann hatte ich eine schwache Idee. ,,Ich... Ich glaube, ich bin in mein Zimmer gegangen...wollte dann schlafen und... bin gestolpert... bin gefallen..." Das war das einzige, was mir jetzt einfiel. Warum tat das sprechen so scheiße weh? ,,Du sagst, du bist gestolpert?" Ich nickte vorsichtig. Tolle Ausrede. Hast du mal ja wieder ganz toll gemacht. Herr Rot musterte mich. ,,Wie erklärst du dir dann das?" Er deutete auf meine verbundenen Handgelenke. Wie erklärte ich das? ,,Ich wollte... mich auffangen..." Mein Blick ging von meinen Handgelenken höher. Wanderte meinen Arm hoch. Ich hatte keinen Pulli an. Ein unruhiges Gefühl machte sich in mir breit und ich wurde nervös.

Herr Rot hatte ein Klemmbrett herausgeholt. Er notierte sich etwas und seufzte. ,,Wie auch immer, du bleibst erstmal hier. Wie lange kann ich dir nicht sagen. Ich werde in ein paar Stunden nach dir gucken, ich schlage vor, dass du etwas schläfst. Es war wirklich knapp, du hast viel Blut verloren und kannst froh sein, dass du anscheinend keine bleibenden Schäden hast.'' Er musterte mich und fügte dann hinzu: ,,Von deinem Unfall. " Dabei betonte er das Wort Unfall besonders. Er glaubte mir offensichtlich nicht. Es war knapp gewesen? Hieß das, dass ich fast gestorben wäre? Mir war klar, dass er mir nicht glaubte. Wie kam ich aus der Sache wieder raus?

Schwindel und Schmerzen vermischten sich mit Müdigkeit und ich hatte Mühe wach zu bleiben. Kämpfte dagegen an, aber schließlich siegte die Müdigkeit und ich dämmerte weg.

SuizidWhere stories live. Discover now