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POV: Ray (Rachel)

Ich ließ mich auf mein Bett fallen. Ich wusste nicht, was mich so wütend gemacht hatte. Dieses Gefühl war plötzlich da. Ich schloss meine Augen, ich wollte nichts mehr von dieser verdammten Welt sehen. Warum musste ich immer Versagen? Warum schaffte ich es nicht einmal, zu sterben? Eine Sache, die unausweichlich ins Leben trat, bei den einen früher, bei den anderen später. Die meisten verspürten Angst oder Abneigung gegen den Tod. Ich tat dies nicht, ich wollte sterben aber diesen gefallen tat mir das Leben dann doch nicht. Es tat so weh.

Das Klopfen riss mich aus meinen Gedanken, ich öffnete die Augen und stand auf. Kurz wurde mir schwarz vor Augen und ich dachte, dass ich gleich umfallen würde, aber das Gefühl kannte ich schon. Ich taumelte zur Tür und lehnte mich kurz dagegen. Einatmen, ausatmen. Der Schwindel ließ nach. Ich öffnete nun die Tür, davor stand Abby. Ihr sonst so fröhliches Lächeln war komplett verschwunden und sie sah mir ernst in die Augen.

,,Wir reden, jetzt!" Ihre Stimme klang trocken. Ich schüttelte den Kopf und zog meine Kapuze tiefer ins Gesicht. Ich hatte keine Kraft und Lust zu reden. Im selben Moment schloss sich die Tür und ich blickte zu Abby, die mich weiterhin ansah. ,,Wieso bist du hier?" Fragte sie einfach weiter. Ich schwieg sie ging einen Schritt auf mich zu und ich wich zurück. ,,Wieso bist du hier?" Wiederholte sie mit ruhiger Stimme. ,,Wieso interessiert dich das?" fragte ich statt einer Antwort und sah sie nun direkt an. Ihre hellbraunen Haare, ihre Sommersprossen, ihre tief Grünen Augen... Einen kurzen Moment blieb ich an diesen hängen. Wie konnten ein paar Augen nur so schön sein? Ich schüttelte den Gedanken ab. Was wird das? Kommt jetzt wieder diese Homosexuelle Missgeburt in dir raus? Das hatten wir doch schon oder? Das ist nur eine Phase! Ich sah reflexartig zur Seite. ,,Ray, ich will dich verstehen, ich finde wir sollten reden, aber das willst du anscheinend nicht!" bluffte sie. ,,Warum auch?" Ich ging noch einen Schritt zurück. ,,Ich... Keine Ahnung" gestand sie. ,,Dann lass mich jetzt endlich allein!" Ich funkelte sie wütend an. Abby umfasste mein Hand Gelenk. ,,Warum bist du hier!?" Fragte sie nun lauter. ,,Weil ich versucht hab mich umzubringen! Bist du jetzt zufrieden?!" Gab ich schließlich genauso laut und gereizt von mir. Stille.

,,Ich auch" sagte sie gleichgültig. Seltsamerweise tat es ziemlich weh, das zu hören. Ich schaute ihr nun wieder direkt in die Augen, während ich versuchte zu verstehen, was sie gesagt hatte. ,,Was?" stammelte ich. Es war das einzige, das mir darauf einfiel. Abby setzte sich nun auf das Bett hinter mir und schwieg, während ich sie fassungslos anstarrte. Sie war mir all die Tage wie ein fröhlicher, gut gelaunter und aufgeweckter Mensch und nicht suizidal vorgekommen. ,,Ich habe drei Versuche hinter mir und war vier Monate auf der geschlossenen bis ich hierher kam. " Sie schaute in eine andere Richtung. Ich starrte sie immer noch fassungslos an, während ich nachdachte. Sie hatte sogar schon drei Versuche hinter sich, war auf der geschlossenen gewesen und schon seit über einem Jahr hier. Ich war gerade mal ein paar Wochen hier. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Sie wandte sich wieder mir zu und deutete neben sich auf das Bett. Zögernd setzte ich mich neben sie.

,,Die erste Zeit ist schlimm das weiß ich, glaube mir, aber man gewöhnt sich daran. So blöd das auch klingt" sagte sie verständnisvoll und seufzte. Ich will mich aber nicht daran gewöhnen müssen! Ohne Vorwarnung zog Abby mir meine Kapuze vom Kopf und strich mir durch meine Orange gefärbten Haare. Erschrocken zuckte ich zusammen. ,,Ich mag die" Abby Strich weiterhin durch meine Haare und lächelte. Ich hatte den Drang, ihre Hände wegzuschlagen, aber irgendwie tat diese Berührung gut. ,,Du brauchst nicht zu lügen" gab ich zurück. Es war gelogen das wusste ich, niemand mochte irgendwas an mir. Aber warum sollte sie lügen? Du lügst doch auch dauerhaft. ,,Tue ich nicht ich meine das ernst" Abby lächelte mich an und dieses Mal sah ich das ihr lächeln echt war. Sie nahm ihre Hand weg und etwas tief in mir drin wünschte sich, dass sie das nicht tat. Abbys Blick lag auf mir, als sie plötzlich mein Handgelenk griff und mit einem ,,Darf ich?" Meinen Ärmel hoch zog. Ich erstarrte. Nein das sollte sie nicht sehen. Ich versuchte mein Hand Gelenk wegzuziehen aber sie hielt es eisern fest. Abby betrachtete mit einem ausdruckslosen Gesichtsausdruck meinen Arm. Ich hatte das Gefühl als würde ihr Blick auf meinen Narben brennen. Senkrechte, waagerechte, tiefe, weniger tiefe Kreuz und quer über meinen Arm verteilt. Ich schaute zur Seite, ich hasste diesen Anblick. Abby drehte meinen Arm ein wenig und seufzte hörbar. ,,Auch ein Tiger, habe ich mir schon gedacht." Sie lächelte, aber es war eher ein trauriges Lächeln. ,,Die sind nicht so schlimm." Ich schaute nervös zur Seite. Diese ganze Situation gefiel mir nicht. ,,Narben sind immer schlimm" entgegnete Abby.

Ich schwieg. Abby krempelte ihre Ärmel hoch und ich hatte ein freies Blickfeld auf ihre ebenfalls vernarbten Arme, einige Narben wirkten erstaunlich frisch, andere sahen aus wie kleine Nadel Stiche. ,,Selber Tiger" war meine Reaktion. Abby besah sich ihre Arme. ,,Wie hast du's probiert?" Fragte sie mich plötzlich. ,,Auto, Tabletten und der dritte ist die bekannt, du?" gab ich knapp zurück. ,,3 mal...Und da bist du nicht nach dem ersten schon auf die geschlossene gekommen?" Sie schaute mich erschrocken an. Ich zuckte nur mit den Schultern. ,,Den ersten habe ich als Unfall hingestellt, nach dem zweiten kam ich hierher und beim dritten haben sie mir hier anscheinend auch geglaubt, dass es ein Unfall war", sagte ich wenig beeindruckt. ,,Mhh... Ich hab's erst mit Tabletten und dann mit Pulsadern probiert, aber wenn man nur eine Packung Tabletten hat wird's schwierig." Sie grinste und lachte trocken. Sie versucht nur zu überspielen, wie weh es tut, dass es nicht geklappt hat. Ich kannte dieses Gefühl. Ich schwieg und senkte den Kopf. Alles an diesem Gespräch war komisch und traurig, aber es fühlte sich auf irgendeine Art richtig an, Abby das erzählt zu haben. Da stand Abby plötzlich auf. Sie hielt mir ihre Hand hin.

,,Abby, Abigail Brown. Depressionen, suizidgefährdet, Drogenprobleme und Verdacht auf Borderline" sie lächelte und ich verstand, schüttelte ihre Hand und stellte mich ebenfalls vor. ,,Ray, Rachel Linsney. Depression, suizidgefährdet, Verdacht auf Borderline und Verdacht auf Essstörung. Eine genaue Diagnose liegt noch nicht vor." ,,Freut mich deine Bekanntschaft zu machen Ray. Willkommen in der Hölle aka Station 3", sie grinste. Ich nickte und war sogar irgendwie an einem Lächeln versucht.

Da wurde die Tür erneut geöffnet und Snow stand vor uns. Sie wirkte überrascht ,,Oh noch ein Tiger", sie krempelte ihre Ärmel ebenfalls hoch. Ihre Narben waren blass und sahen älter aus, außerdem waren es nicht so viele wie bei mir und Abby. ,,Das ist Snow, Lilith Carol. Depressionen, posttraumatische Belastung Störung und Zahlreiche schwierige Phobien." Stellte Abby Snow scherzend vor. ,,Niemand ist freiwillig hier und es ist scheiße aber mit Freunden kann man es hier irgendwie aushalten" sagte Snow. ,,Ihr wirkt immer so glücklich" sagte ich vorsichtig. Ohne ihre Narben würde man sie für zwei ganz normale Jugendliche halten. ,,Man lernt zu verstecken und zu lügen. Aber du gehörst jetzt zu uns Ray." Sie lächelte mich an und schwang einen Arm um mich. Etwas, ein Teil tief in mir drin, wollte das, wollte diese Freundschaft, wollte ihnen vertrauen, aber ein anderer, viel stärkerer Teil wollte all das nicht. Ich werde sterben. Ich will euch nicht verletzen, aber sobald ich die Gelegenheit habe, werde ich gehen. Die beiden waren sehr nett und die einzigen, bei denen ich mich halbwegs normal und verstanden fühlte. Weil sie so fühlten und dachten, wie ich vermutlich... 

Wir können Freunde sein aber seit euch sicher ich werde euch so früh wie möglich verlassen. Wir können Freunde sein... Freunde auf Zeit. ,,Kommt es gibt gleich Essen.", unterbrach Abby die Stille. ,,Tigerstreifen verstecken" lachte Snow, dann zogen sie und Abby ihre Ärmel wieder runter. Ich tat es ihnen gleich.

Freunde auf Zeit...

SuizidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt