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,,Nun...Rachel..." Sein Grinsen war wie weggewischt, er wirkte todernst. Nervös fummelte ich an den Ärmeln meines Pullis herum und wartete darauf, dass er wieder anfing zu sprechen. ,,Wir haben uns entschieden." Herr Rot lehnte sich in seinen Stuhl zurück und musterte mich. Ich rollte genervt mit den Augen. ,,Und das heißt?", fragte ich wartend. ,,Natürlich würden wir vorher gerne noch ein paar Tests machen. Nur um sicher zu gehen, aber ich denke, dass was ich mitbekommen habe und was mir erzählt wurde, sprechen für sich. Wir sind verpflichtet, dir zu helfen, schließlich bist du deswegen hier. " Sprach der Psychologe weiter, ohne auf meine Frage einzugehen. Ich seufzte. Es war so sinnlos. Sie konnten mir nicht helfen. Niemand konnte das.

Ich räusperte mich, sagte aber nichts. ,,Bevor wir anfangen, hätte ich noch ein paar fragen an dich." Sagte Herr Rot und sah mich abwartend an. Ich nickt nur abwesend. ,,Wie kommst du damit klar, dass du ein Einzelzimmer hast? fühlst du dich damit wohl oder eher einsam? Würdest du es besser finden, wenn du einen Zimmernachbarn bekommst?" fragte er jetzt und ich stutze.

,,Ich komme gut damit klar und habe kein Problem allein zu sein." Log ich und versuchte ein Lächeln aufzusetzen. Vermutlich sah der Psychologe, dass es falsch war, aber ein Versuch war es wert. Wenn das alles war, was in dieser Notfall-Sitzung besprochen wurde, dann würde es ja hoffentlich bald vorbei sein.

,,Nenn mir doch bitte eine Sache im Leben, die dich wirklich glücklich gemacht hat." Der Psychologe sah mich neugierig an. ,,Wieso?" Entgegnete ich patzig. ,,Ich möchte etwas mehr über dich erfahren. Du bist sehr still und redest nicht wirklich viel." Jetzt lächelte er wieder. Ich überlegte. ,,Sonnenuntergänge." Antwortete ich schlicht. ,,Was genau hat dich daran glücklich gemacht?" Fragte er weiter und ich überlegte erneut. ,,Ich mag es wie die letzten Strahlen der Sonne den Himmel Orange/Rot färben. Es hat etwas Friedliches und ich habe dann manchmal das Gefühl, dass alles okay ist. Ich fühle mich für einen kurzen Moment... Naja... glücklich?" Die letzten Worte flüsterte ich nur noch und mir war klar, das ich ihm eine Menge anvertraut hatte.

Herr Rot nickte nachdenklich und kramte dann in einer Schublade herum. Schließlich zog er eine Akte heraus und begann darin zu Blättern. Er zog eine Zettel daraus hervor ,,Es freut mich, dass du heute so gesprächig warst, ich schätze, wir machen Fortschritte. Deine Blutwerte sind relativ normal, aber dein BMI ist unter dem normalen Wert." Ich zuckte nur mit den Schultern und er sah mich prüfend an.

,,Interessiert dich das denn gar nicht? Rachel, Hör mir mal bitte gut zu." Herr Rot lehnte sich nun nach vorne und stützte sich mit den Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab. Jetzt konnte er mir direkt in die Augen sehen. Es war unangenehm, mit ihm Blickkontakt halten zu müssen und ich drehte automatisch meinen Kopf gen Boden. Hässlich grau, mit einem ebenfalls grauen, ausgewaschenen Teppich. ,,Würdest du mich bitte ansehen, wenn ich mit dir rede?" Fragte der Psychologe nun und ich wandte ihm meinen Kopf zu. Was würde er mir schon groß erzählen? Ich heute andauernd nur Sachen wie: Du bist zu dünn! Weißt du eigentlich, dass du untergewichtig bist? Iss doch mal was! Ich kann ja schon deine Rippen sehen.

Warum interessierte die mein Körper? Und was gab ihnen das Recht, über mein Essverhalten zu bestimmen! Wut stieg in mir hoch und ich wäre am liebsten aufgestanden und gegangen.

,,Du bist wirklich stark untergewichtig und wir müssen uns dringend kümmern und weil du nicht von allein Essen kannst werden wie die also helfen müssen." Herr Rot machte eine kurze Pause und ich sah ihn jetzt erschrocken an. Wenn du nichts isst, dann werden sie dich dazu zwingen und glaub mir das ist echt unschön. Hallten mir Abbys Worte durch den Kopf.

Nein. Das konnten die nicht tun. Außerdem wussten die ja nicht mal, ob ich überhaupt eine Essstörung hatte. Ich war nicht essgestört!

,,W-wie meinen sie das?'', fragte ich mit brüchiger Stimme. Ich hatte Angst. Angst davor, was sie tun würden.

,,Wir haben eine Diagnose. Rachel, ich schätze, das wird dir jetzt nicht gefallen. Du wirst eine Therapie bekommen, die gegen deine Essstörung helfen soll. Schon in ein paar Stunden wirst du dein Mittagessen gesondert mit einer Therapeutin einnehmen." Sagte Herr Rot nun vollkommen ernst und schloss meine Akte.

Wütend sprang ich auf. ,,DAS KANN NICHT IHR ERNST SEIN! ICH BIN NICHT MAGERSÜCHTIG UND ICH BRAUCHE KEINE BESCHISSENE THERAPIE!" Schrie ich und warf dabei den Stuhl um.

Und das war der Moment, in dem etwas in mir zusammen zu brechen schien. Alles drehte sich und ich starrte ihn einfach nur geschockt an, unfähig mich zu bewegen.

Die Welt wollte mich fertig machen, wollte mich zertrümmern und testen, wie lange ich durchhalten würde, ohne endgültig zu brechen. Mit jedem Tag hier brach ich mehr.

Tja nun war ich schon lange an dem Punkt angekommen, an dem ich gebrochen war. Ich war kaputt, zerstört und so zerbrochen, dass man mich nicht mehr reparieren konnte. Mein Wunsch war es schon immer gewesen, frei zu sein, aber da draußen gab es keine Freiheit. Es gab Momente oder Situationen in denen man glaubte frei zu sein, aber es ging doch immer wieder bergab. Das Leben kannte keine Freiheit, denn Freiheit gab nur der Tod.

Suizid ist Freiheit.

SuizidWo Geschichten leben. Entdecke jetzt