~30~

217 21 9
                                    

Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug, während Abby und ich unsere Beziehung aufbauten. Es war eine Mischung aus Aufregung und Angst, da ich immer noch nicht wusste, wie ich mit meinen eigenen Gefühlen umgehen sollte. Doch Abby gab mir Sicherheit. Sie war geduldig, verständnisvoll und unterstützend.

Wir verbrachten viel Zeit miteinander, lernten uns immer besser kennen und teilten unsere Geschichten. Abby erzählte mir von ihrem Leben und ihren Träumen, und ich öffnete mich ihr ebenfalls langsam. Es fühlte sich gut an, jemandem wirklich nahe sein zu dürfen, ohne mich verstellen zu müssen.

Eines Abends saßen wir gemeinsam in Abbys Zimmer und unterhielten uns. Plötzlich hielt sie inne und schaute mich nachdenklich an. ,,Was möchtest du später werden?" fragte sie und ich blinzelte überrascht. Darüber hatte ich nie nachgedacht, schließlich hatte ich nie vorgehabt überhaupt noch zu weiter zu leben. Ich zuckte also mit den Schultern und lehnte meinen Kopf wieder gegen ihre Schulter. ,,Was ist dein Ziel fürs Leben?" fragte sie weiter und ich war erneut überfordert.

Am Anfang wollte ich nur hier rauskommen, mittlerweile war ich mir nicht mehr sicher, ob ich es je schaffen würde. Zu viele Gedanken, zu wenige Fortschritte. Ich sah zur Decke. Weiß. Leer. Trostlos. Um mich abzulenken sah ich wieder aus dem Fenster und betrachtete die grauen Wolken, die Regen ankündigten. Ich mochte den Regen er gab mir ruhe und schien die Welten für einen kurzen Moment weg zu wischen. Er erinnerte mich aber ebenfalls an die Nächte, in denen ich allein durch die Straßen lief, weil ich mich wieder mal ausgeschlichen hatte. Er erinnerte mich warum ich hier war. Weil ich Probleme hatte, die ich alleine nicht in den Griff bekam. Weil ich zu schwach war um selber damit umzugehen. Manchmal vermisste ich das Leben außerhalb sehr, aber die meiste Zeit war ich doch froh hier zu sein. Dort wo ich keine Außenseiterin war und einfach ich sein konnte. Ohne eine undurchdringliche Fassade. Ohne Lügen und falsche Versprechungen.

Würde es eines Tages besser werden? Würde ich eines Tages normal sein? Würde ich hier eines Tages rauskommen? Würde ich es eines Tages schaffen? Diese Fragen waren die einzigen, die ich nicht beantworten würde können. Niemand wusste die Antworten. Sie waren unerreichbar in einer Truhe verschlossen. Der Schlüssel war unsichtbar und lag in den kalten Händen der Zukunft. Ja, sie war kalt und ungewiss, die Zukunft. Und doch konnte es ja nur besser werden, oder? Denn sonst würde nur noch Suizid zur Auswahl stehen... Allerdings wusste ich genauso wenig, ob ich es eines Tages überhaupt schaffen würde. Niemand wusste das. Nur die Zukunft, welche für mich unerreichbar schien...

,,Ich weiß es nicht." antwortete ich also nur knapp. ,,Ich weiß nicht einmal ob ich es schaffe zu leben..." Abby sah mich verzweifelt an. ,,Ich kann aber nicht ohne dich..." flüsterte sie und hielt mich ganz fest. ,,Bitte...versuche zu leben. Für mich!" Tränen schimmerten in ihren Bernsteinfarbenen Augen und ich nickte. ,,Für dich." 

Dieses versprechen war zum scheitern verurteilt. Denn ein Engel ohne Flügel kann nun mal nicht Fliegen und ein Mensch ohne Lebenswille kann auch nicht Leben.

SuizidWhere stories live. Discover now