Kapitel 9: Sommerabend

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Zu meiner Verwunderung hatte sie meine Verspätung anscheinend nicht einmal bemerkt oder ihr machte es nichts aus.
Sie stellte mich dem Prinzen Sargu von Ristorak vor, der für ein paar Wochen im Schloss bleiben würde. Er kam aus der Hauptstadt Samaku, die am Fuße der Berge des Sirus lag. Er hatte einen großen Haufen an Handelsware bei sich und hoffte seine Mineralien und Gesteine gegen Salz und Fisch eintauschen zu können. Dies waren die typischen Rohstoffe, die es in Ristorak und Alayron zu Hauf gab. Es kam oft vor, dass sich die Königshäuser aus allen verschiedenen Himmelsrichtungen trafen und ihren Überfluss gegen nützlicherere Ware eintauschten.

Ich kannte den Prinzen aus den Geschichten meines Vaters. Er war schon über 60 Jahre alt, aber noch immer lebte sein Vater und gab den Thron nicht frei. Man witzelte darüber dass der König noch seinen Sohn überleben würde. Ganz zum Leiden von Sargu, dem nichts anderes übrig, als die Befehle seines altersschwachen Vaters auszuführen.

Er wusste wer ich war und lud mich deshalb zu seinem Abschiedsball in zwei Wochen ein, der für veranstaltet werden würde. Ich vergewisserte ihm mein Kommen und widmete mich anschließend der Aufgabe, die Skylar mir auftrug.
Ich sollte in die Ställe gehen und mich über das Wohl ihrer liebsten Stute Alaika erkundigen. Es war zwar eine sehr leichte und niedrige Aufgabe, aber ich freute mich darüber, da ich seit dem Tod von Adoris nicht mehr in der unmittelbaren Nähe eines Pferdes gewesen war.

Als ich an meinen geliebten Hengst denken musste wurde mein Herz schwer. Es fühlte sich an wie gestern, als ich mit ihm über Felder galoppierte und kein Weg für uns beide zu weit war. Mir kamen all die wundervollen Tage in Erinnerung, die ich mit meiner Familie verbrachte. Tränen stiegen mir in die Augen, die ich hektisch beiseitewischte. Keiner sollte meine schwache Seite erkennen. Wenn ich so recht darüber nachdachte, wollte ich sie auch vor mir selbst verbergen. Ich wollte mir meine eigenen Schwächen nicht eingestehen. Meine Gedanken war auch so schon schwer genug, von all den Sorgen um die Zukunft der Welt unter meinem Bruder.

Bevor ich aber hinunter in die Ställe ging, begab ich mich in meine Gemächer und zog die Rüstung aus, die ich heute nicht mehr brauchen würde. Ich kleidete mich stattdessen mit einer hellgrauen ledernen Jacke und einer dazu angefertigten Hose, die die üblichen Kleidungsstücke der Leibgarde neben der silbernen Rüstung waren.

So fühlte ich mich gleich viel wohler und machte mich mit einem Apfel auf den Weg hinab.
Ich versuchte jeder Person aus dem Weg zu gehen, da ich endlich etwas Zeit für mich brauchte. Die Konfrontation mit Dako hatte mir heute gereicht. Ich war es nicht mehr gewöhnt ständig förmlich sprechen zu müssen und gut gekleidet zu sein.
Alleine im Wald zu wohnen hatte auch seine Vorteile gehabt.

Nach fünf Minuten schob ich die schwere Holztür zu den Ställen auf und trat in die lange Stallgasse. Pferdegewieher schwappte mir entgegen und sofort fühlte ich mich nach langer Zeit wieder richtig wohl.
Die abendliche Sonne schien durch kleine Fenster zu meiner Rechten und tauchte die Pferdeboxen in ein wunderschönes orangefarbenes Licht. Das Holz in Stall war komplett in Hellblau und Weiß gestrichen und strahlte so eine schöne helle Atmosphäre aus.
Ich suchte die Box von der Schimmelstute und trat zu ihr ein.
Erschöpft von der Arbeit ließ ich mich ins Stroh sinken und beobachtete Alaika beim Heufressen.
Nach einiger Zeit holte ich den Apfel aus meiner Jackentasche und biss kräftig ein paar Mal hinein, bevor ich der Stute schließlich den Rest davon gab.
"Was sucht denn eine Prinzessin alleine in einer Pferdebox?!", erklang plötzlich eine Stimme hinter mir, die mich erschrocken zusammenfahren ließ.
Es war Pyero, der Seite Unterarme auf den Rand der Boxentür gelegt hatte und zu mir grinsend herunterblickte.
Eilig richtete ich mich auf, klopfte das Stroh von meiner Kleidung und räusperte mich.
"Ich sollte mich nach dem Zustand von Alaika erkundigen."
"Und wie ist das wehrte Befinden?", fragte er schmunzelnd.
Verwirrt blickte ich in seine meerblauen Augen. Für einen Moment verlor ich mich in ihnen.
"Ähm... Salira ist alles in Ordnung mit euch?". Pyeros Augen blickten mir plötzlich fragend entgegen und ich konnte mich von ihnen endlich lösen.
Ich spürte wie mir das Blut in den Kopf stieg, jetzt wo mir bewusst wurde, wie dumm es ausgesehen haben musste ihn einfach nur anzustarren.
"Ja, ja alles bestens. War nur ein anstrengender Tag", versuchte ich zu erklären und trat hinaus auf die Stallgasse.
In Pyeros Blick konnte ich sehen, dass er mir das nicht ganz abnahm, aber er beließ es dabei wofür ich ihm unendlich dankbar war.
Ich wollte schon gehen, als er anscheinend nichts mehr zu erwidern hatte, doch dann stellte er mir eine Frage, die den verkorksten Tag retten sollte:"Habt ihr Lust einen kleinen Abendausritt zu machen? Zur Entspannung und um auf andere Gedanken zu kommen."
Ich nickte nur und konnte dabei ein dümmliches Grinsen nicht vermeiden.
'Der Prinz wollte mit mir ausreiten gehen.' Ich wusste selbst wie daneben meine Gedanken waren, denn ich war schließlich selbst eine Prinzessin und es war völlig normal, dass Menschen eines ähnlichen Standes zusammen etwas unternahmen.
Aber nicht nur sein Stand war das besondere an ihm. In der letzten Zeit hatten wir viele Stunden miteinander verbracht. Hauptsächlich beim Schwerttraining, aber auch bei einigen Abendessen hatten wir nebeneinander gesessen und uns lange unterhalten. Und ich musste mir eingestehen, dass ich ihn sehr charmant, gutaussehend und witzig fand. Ich hatte das Gefühl in seiner Gegenwart alles zu vergessen, was ich über gute Manieren und Anstand gelernt hatte.

Pyero führte mich zu den vorderen Boxen und wies den Stallknecht - der dort gerade an ausmisten war - an, uns zwei Pferde zu satteln.
Während der Junge eilig einen Rappen und einen Fuchs für den Ausritt vorbereitete geleitete mich der Prinz durch ein großes Stalltor hinaus auf einen runden Innenhof. An der Seite standen Heukarren, die voll beladen waren. Es gab mehrere Türen zu beiden Seiten, die, wie er erklärte die Hintereingänge zu der Küche, der Vorratskammer und dem Waschraum waren. Der Hof war so etwas wie der Empfangsbereich für eintreffende Ware.
Schließlich war der Knecht fertig und wir ritten durch einen großen steinernen Torbogen hinaus in die Stadt. Erst ging es ein paar schmale Straßen hinab, in denen wir auf keinen Menschen trafen.
Kurz bevor wir aber einen Marktplatz erreichten hielt er an und reichte mir seinen dunkelbraunen Umhang. Es war derselbe, den er auch in den Verließen getragen hatte, als er sich um mich gekümmert hatte.
"Hier, nehmt den. Es ist besser, wenn man eure Leibgardenkleidung nicht erkennt. Die Menschen sind momentan nicht sehr gut aus die Schlossbewohner zu sprechen, da Nevary sie sehr unterdrückt und ständig die Steuern erhöht."
Ich nickte und warf mir den Umhang über.
Ich wusste zwar, dass es Probleme im Volk gab, aber dass die Menschen so erzürnt waren, dass man sich als Adeliger nicht mehr hinaus wagen konnte, war neu für mich. Es war ja schließlich nur mein Bruder, der sie tyrannisierte und nicht Skylar.

Pyero wartete bis ich meine Kleidung zurecht gezogen hatte, dass ritten wir hinein in das abendliche Getümmel der Stadt.

Time to ReignWhere stories live. Discover now