Kapitel 15: Die weiße Hexe

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Ohne weitere Umwege eilte ich hinunter in die Ställe. Ich musste jede Minute, die Skylar mich nicht benötigte ausnutzen.
Ich suchte mir das schnellste Pferd der Leibgarde aus und ließ es von einem der Stallknechte satteln. Die Minuten, die ich nun hatte nutzte ich um in eine Karte der Stadt und der Umgebung zu blicken. Da ich nicht von hier war, kannte ich nur die Wege, die ich mit Pyero oder Skylar geritten war. Der Rest war völliges Neuland für mich.
So studierte ich mir die Route ein, die im Zickzack durch die Stadt lief und dann im Westen am Stadttor endete. Ab dort brauchte ich keinen Wegweiser mehr, denn ich musste nur auf den kleinen Wald zureiten, der nicht weit von der Stadt aus anfing.
Es war die einzige Stelle im Inneren des Landes Alayron, welches von Wald bedeckt war. Normalerweise konnte man den Waldbeginn als Grenze zu Nuvyenne sehen. Nur eben an dieser Stelle nicht.
Als der dunkelbraune Hengst mit der cremefarbenen Mähne, der den prachtvollen Namen Sturmwind trug, bereit im Innenhof stand, bedankte ich mich bei den jungen Diener, schwang mich auf den weichen Ledersattel und galoppierte durch den Torbogen hinaus. Ich hatte mir wieder meine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, um nicht womöglich noch erkannt zu werden. Das erste Stück des Weges war derselbe, den Pyero und ich in der einen Nacht hinter uns gebracht hatten.
Bei dem Gedanken an den Prinzen schnürrte sich mein Hals zu und ich musste die Tränen, die sich bereits in meinen Augen bildeten mit voller Willenskraft verbannen. Für solche Gefühle hatte ich nun keine Zeit mehr. Ich hatte mich schon viel zu lange von solchen unwichtigen Dingen aufhalten lassen. Klar liebte ich Pyero, was mich immer wieder verwunderte, da wir uns ja erst seit nicht allzu langer Zeit kannten, aber ich war eine Adelige und für uns stand die Liebe niemals an erster Stelle oder besser gesagt sie durfte es einfach nicht.
Mittlerweile hatte ich den Marktplatz mit der Bühne erreicht, auf dem ein Bote stand und wichtige Neuigkeiten verkündete.
Doch ich konnte mir nicht die Zeit nehmen ihm zuzuhören. Eilig lenkte ich Sturmwind durch die Menschenmasse, die sich um den Mann gebildet hatte und ritt vom Platz hinunter in eine enge Gasse.
Vor mir befand sich nun eine Brücke. Und ich wusste sofort. Dies war der Ort, an dem Skylar bald sterben sollte.
Ich speicherte mir das genaue aussehen des Weges ein, denn ich wollte, wenn es zu dem Angriff kam möglichst gut vorbereitet sein.
Ich hatte beschlossen Dako zuzusagen. Aber es war nur eine Vortäuschung. Wenn ich meine Kräfte erweckt hatte, würde ich Nevary aufhalten und Skylar würde alleine weiter über Alayron herrschen können. Es war nur Zeitschindung. Ich konnte nicht riskieren gefangen genommen zu werden vor diesem Tag. Denn dann wäre ich machtlos.

Der Hengst Schritt über die Brücke, unter der klares Wasser in einem weißen Flusslauf aus Stein floss.
Die Stadt wirkte so friedlich und ruhig. Doch ich wusste, dass es in den Menschen brodelte. Sie hassten das Leben unter der Führung von Nevary. So sehr sie es verabscheuten, so stark war auch ihre Angst vor dem König und seiner Kraft, dass sich keiner traute auch nur ein falsches Wort zu sagen. Es war bedauerlich mit anzusehen, wie das Volk litt und hungerte, während Nevary sein Leben in vollen Zügen genoss und sehr verschwenderisch lebte. Er war abscheulich.

Am Stadttor zeigte ich meine Marke, die jeder Ritter von Skylar bekam und konnte so ungehindert passieren. Nach wenigen Metern verließ ich die geschotterte Straße und trieb Sturmwind auf dem weichen Gras an. Er fegte dahin und machte seinem Namen wirklich alle Ehre.
Es waren nur wenige Augenblicke vergangen, bis ich zwischen die ersten Bäume ritt und mir einen Weg durch das Unterholz bahnte.
Immer wieder sprang ich mit dem braunen Pferd über Baumstämme und dicke Äste, bis sich schließlich der Wald lichtete und ein wunderschönes helles Haus in mein Blickfeld trat.
Es war ganz im Stil des Schlosses errichtet worden. Säulen umgaben das Haus, wie eine Stadtmauer. Zwischen den einzelnen Bauteilen standen Büsche und Bäume, welche saftige Früchte trugen.
Tiere nisteten im Astwerk und die Luft war erfüllt von den Stimmen des Waldes.
Ich saß ab und schritt erführchtig durch einen Torbogen. Hier im Vorgarten des Anwesens ließ ich Sturmwind grasen und ging um das Haus herum.
Unter riesigen uralten Eichen stand einen Laube, welche mit weißen Rosen umrankt war.
In ihr saß auf einer verschnörkelten Bank eine schlanke Frau mit hüftlangen dunkelbraunen Haaren mit dem Rücken zu mir. Sie trug ein enges schwarzes Kleid mit Spitzenärmeln. Es war eigentlich Kleidung, die man in Nuvyenne zu traurigen Anlässen trug, aber Alashanee, meine Tante hatte sie immer an seit dem Tag, an dem unsere Familie ermordet worden war.
Sie hielt im Streicheln eines Rabens inne, als sie mich kommen hörte.
"Ich habe euch doch schon einmal gesagt, dass ich nicht weiß wo Salira sich befindet. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Lasst mich einfach in Frieden". Ihre Stimme klang gebrochen und kraftlos.
Traurig beobachtete ich meine Tante, die Schwester meines Vaters, wie sie so vollkommen antriebslos in die Ferne starrte.
Ich war so froh zu hören, dass sie stark genug geblieben war, um mich nicht zu verraten. Denn sie hatte gewusst, dass mein Ziel Valam war.
Als ich mich nicht bewegte. Fuhr Alashanee herum und blickte verärgert in meine Richtung. Sie wollte gerade etwas sagen, als sie erkannte, wer vor ihr stand. Sie stieß einen Schluchzer aus und hielt sich die Hände fassungslos vor den Mund. "Salira", hauchte sie sichtlich überwältigt. "Ja ich bin es... ", flüsterte ich den Tränen nahe. Wir starrten uns an, dann plötzlich brach der Bann und wir fielen uns in die Arme. Tränen der Freude flossen bei uns beiden. "Den Göttern sei Dank, du lebst", nuschelte sie in meine Haare und drückte mich noch fester an sich. Nach einer gefühlten Unendlichkeit lösten wir uns voneinander.
Sie gab mir etwas zu trinken und wir setzten uns in die Laube um zum Reden. Der Rabe, den sie gekrault hatte beäugte mich aus seinen schwarzen Knopfaugen. Skeptisch beobachtete ich jede noch so kleine Bewegung. Seitdem Nevary Raben als Spione benutzte konnte ich diesen Tieren einfach kein Vertrauen mehr schenken. Alashanee bemerkte offenbar meine Angst und erklärte mir:" Das ist Tarûk. Er lebt seit seiner Geburt hier. Er ist an Menschen gewöhnt und wird dir ganz sicher nichts tun." Ich nickte und überwand mich schließlich sogar dazu ihn zu berühren.
Seine Federn waren warm und geschmeidig.
Nach einer Weile, in der meine Tante mich einfach nur stumm betrachtet hatte, brach sie das Schweigen: "Also Salira, dann erzähle mir doch mal warum du hier bist." Und ich begann zu berichten...


Time to ReignWhere stories live. Discover now