Kapitel 19: Der Abend zuvor

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Der Sturm wütete um uns herum. Der Wind peitschte die Äste und heulte durch die Baumwipfel. Unaufhaltsam goss der Regengott Surûk Wasser auf uns herab, als wolle er uns alle ertränken und durchnässte uns bis auf die Knochen. Die Hitze des Nachmittages hatte sich verzogen und unangenehme Kälte machte sich in dem dichten Wald breit.

Doch all dies konnte meine Laune nicht verderben. Pyero und ich preschten Seite an Seite durch das Unterholz, sprangen über alte vermoste Äste und ritten Slalom um dicke Bäume. Der Prinz, nein ich wollte nun sagen mein Prinz lachte mir immer wieder zu. Noch nie war ich so ausgelassen gewesen wie in diesem Moment. Ich wusste, dass Pyero mich liebte, ich hatte meine Kraft erweckt und war nebenbei angemerkt nicht gestorben und ich würde meinen Bruder endlich aufhalten. Ich musste lange sechs Jahre in denen ich mich versteckt hatte wieder gutmachen und ich wusste, mit meinem Freund an meiner Seite würde ich es auf jeden Fall schaffen.

Wir erreichten das offene Feld und das riesige Schloss erschien in unserem Blickfeld. Der Regen hatte nachgelassen und die Sonne hatte sich mit ihren Strahlen einen Weg durch die dichten Wolken gebahnt. Während der Himmel hinter der Stadt noch in einem düsteren Dunkelblau war, beleuchtete die Sonne den Palast und hob ihn so hervor.

"Schau mal ein Regenbogen", hauchte Pyero ehrfürchtig. Er deutete auf das Meer und tatsächlich. Über der Stadt bildete sich gerade ein doppelter Regenbogen. Wir kamen zum Stehen und betrachteten das seltene Naturschauspiel. Unsere Hände fanden sich wie von selbst. Des Prinzen warme, von Regen noch nasse Hand umhüllte die meine und sorgte, wie immer eigentlich, wenn er mich berührte, für ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch. Lange saßen wir so auf unseren erschöpften Pferden und bewunderten die Landschaft. Alayron war so unglaublich schön. Das unendliche Meer, die Klippen und die Stadt, die komplett von der hellen Stadtmauer umgeben war, aus dem hellen Sandstein waren von einer unbeschreiblichen Schönheit. Ich freute mich für Pyero, dass er so ein wundervolles Zuhause hatte. Doch tief in meinem Innern löste es auch eine schmerzende Sehnsucht nach meiner eigenen Heimat aus, auch wenn ich wusste, dass mein Land nicht mehr das war, was ich damals verlassen hatte. Ich versprach mir selbst, dass wenn das alles hier vorbei wäre, ich mein Reich besuchen würde. Ich würde es wieder aufbauen und allen Menschen Ordnung und Frieden bringen. Ich würde alle Spuren vernichten, die Nevary hinterlassen hatte.

Als wir im Innenhof ankamen war die Sonne bereits untergegangen. Dämmerlicht erfüllte den Hof. Wir beide stiegen von unseren Pferden ab und übergaben sie an einen jungen leicht dicklichen Stallburschen, der erstaunt war, dass wir erst so spät kamen. Doch aufgrund unserer Stellung verkniff er sich neugierige Fragen und wünschte uns nur einen schönen Abend.

Lachend verschwanden wir in den Gängen des Schlosses. Da meine Gemächer näher lagen, meine waren im dritten Stock, seine im vierten, dem höchsten Geschoss, begaben wir uns in meine Zimmer, um uns zu trocknen. Er wollte nicht nass durch das ganze Schloss laufen, denn seine Schwester befand sich in demselben Geschoss, wo auch sein Bereich lag und um diese Zeit war die Gefahr groß sie zu treffen.

Mit bester Laune kamen wir bei mir an und streiften unsere Kleider bis auf die Unterwäsche ab. Es war normalerweise ein Unding, wenn eine Frau relativ nackt vor einem Mann stand, wenn sie nicht verheiratet waren, aber bei Pyero waren mir alle Regeln völlig egal. Ich gab ihm eine weite Hose von mir, die ihm sehr gut passte, da er recht schlank war. Nun stand er vor mir. Mit seinem muskulösem nacktem Oberkörper und den starken Armen. Seine hellblonden Haare, die meinen weißen nun sehr ähnelten, waren verwuschelt und immer noch leicht feucht. Er bemerkte, dass ich ihn anstarrte und schnappte sich kurzerhand ein Kissen von meinem Bett und warf mich damit ab. Reflexartig hoch ich abwehrend beide Hände vor meinen Kopf und wartete auf dem Aufprall des Kissens. Doch er blieb aus. Verdutzt öffnete ich die Augen, denn ich wusste, dass Pyero ganz sicher nicht vorbeigeworfen hatte.
Und ich hatte recht. Er hätte mich getroffen, wenn es nicht direkt in der Luft vor mir zum Stehen gekommen wäre.
Völlig verwundert blickten der Prinz und ich uns an. Das schwebende Kissen immer noch an der selben Stelle. Ich ließ meine Arme sinken und es bewegte sich in der selben Geschwindigkeit ebenfalls hinab.
"Wow", brachte Pyero sichtlich sprachlos hervor.
Ich musste grinsen. Wenn ich solche Kräfte hatte, dann würden diese mir morgen sehe gut helfen. Ich konnte Barrieren aufbauen, mich so schützen und vielleicht sogar selber jemanden durch die Luft wirbeln wie Nevary es bei mir getan hatte.
"Mit dir lege ich mich nicht mehr an", witzelte Pyero und ging spielerisch ängstlich ein paar Schritte zurück. Ich begann zu lachen und rannte auf ihn zu.
"Dann wird das ja ein Kinderspiel werden", rief ich ihm hinterher, während er versuchte vor mir reißaus zu nehmen.
Einige Minuten jagten wir uns quer durch das Zimmer, bis wir schließlich völlig außer Atem auf meinem Bett zum liegen kamen.
Er war über mir und stützte sich rechts und links von mir ab. Unsere Blicke trafen sich. Er fesselte mich alleine mit seinen wunderschönen Augen, in denen ich jedes Mal versank und die Welt um mich herum vollkommen vergaß. Und so auch jetzt. Ich konnte nicht mehr an Skylar denken und dass sie wollte, dass wir uns nicht zu nahe kamen und auch nicht daran, was das letzte Mal passiert war, als wir und alleine in einem Zimmer befanden. Ich wollte einfach nur seine Lippen schmecken und ihm nahe sein. Und das wollte er ganz offensichtlich auch. Langsam kam er näher und ich hob meinen Kopf leicht an, um die Distanz zwischen und schneller zu verkleinern.
Doch genau in dem Moment, als nur noch wenige Millimeter meine Lippen von den seinigen trennten, kam er wieder zu verstand und richtete sich räuspernd auf.
"Wir sollten nicht...". In seiner Stimme lag so viel Bedauern, aber seine Vernunft war stärker, als sein Verlangen.
"Ja du hast recht", ich wich nun seinem Blick aus, um ihm nicht zu zeigen, wie traurig mich dies machte. "Wir sollten jetzt alle schlafen gehen. Morgen wird ein anstrengender Tag."

Pyero nickte und als ich ihn noch zu meiner Zimmertür begleitete gab er mir einen Kuss auf die Stirn. "Schlaf gut meine Prinzessin. Wir sehen uns morgen bei der Parade."
Ich verabschiedete mich ebenfalls und ließ mich völlig erschöpft auf mein Bett sinken.

Am nächsten Morgen stand ich früh auf um mich zu richten. Die Sonne schien durch meine großen Fenster und es versprach ein schöner Tag zu werden. Ich musste verbittert Grinsen. Das Wetter passte natürlich gar nicht zu dem Vergehen, welches Nevary vorhatte zu begehen und auch nicht zu meiner mittlerweile schlechten Stimmung.
Alle Euphorie des Vorabends war verflogen. Schwere Bedenken darüber, dass ich es tatsächlich schaffen konnte, machten sich in mir breit. Er war einfach zu unrealistisch, dass ich meinen Bruder und Dako besiegen könnte. Ich hatte meine Kräfte doch erst wenige Stunden und der König war ein Meister der Zauberkunst und wusste auch, wie man die Drachenseele am besten nutzen konnte.

Wie in Trance zog ich meine festliche Rüstung an, die speziell für diesen Anlass gemacht wurde. Sie bestand aus weniger vielen Metallteilen und sollte so eher schick, nicht kriegerisch wirken. Schließlich war der Umzug durch die Stadt eine positive Veranstaltungen.
So waren nur meine Schultern und Unterarme mit mattem Metall besetzt, der Rest war Leder und Samt. Natürlich waren die Stoffe Grau und Hellblau. Das Wappen der Königin prangte groß auf meiner Brust.
Sorgfältig schloss ich jedes Riemchen und jeden Knopf. Zum Schluss hängte ich mir mein Schwert um die Taille und setzte meinen Helm auf die straff nach oben geflochtenen Haare.
Normalerweise waren dies alles Aufgaben der Zofen, aber ich hatte sie vor Tagen weggeschickt. Ich konnte nicht zulassen, dass etwas nach außen drang von dem, was ich hier tat.

Auf einmal klopfte es an meiner Tür und ich zuckte erschreckt zusammen. Ich merkte schon jetzt wie nervös ich war und jede noch so kleine Veränderung in meiner Umgebung, wie ein Vogel, der auf dem Rand des Balkones landete mich ängstigte.
Tief durchatmend ging ich zur schweren dunklen Holztür und öffnete diese.
Ein schick herausbeputzter Pyero blickte mir leicht besorgt entgegen.
Seine Haare waren nun wie immer locker nach hinten gekämmt. So, dass sie nicht vollkommen am Kopf anlagen, aber dennoch ordentlich aussahen.
Er trug eine enge schwarze Hose mit passenden dunklen Stiefeln. Sein Oberkörper wurde von einem hellblauen Hemd bedeckt. Darüber trug er eine eng geschnittene detaillierte Jacke mit schwarzen und hellblauen Ornamenten. Sie war vorne hüftlang und lief nach hinter länger zu.
"Bereit?!", war das einzige, was ich von Pyero an diesem Morgen zu hören bekam. Ich blieb stumm, so angespannt war ich nun und nickte nur, während ich versuchte einen dicken Klos in meinem Hals herunrerzuschlucken.
Er drückte meine Hand, als wolle er damit sagen, dass alles gut werden würde, aber ich war mir da nicht so sicher.
Zusammen machten wir uns auf den Weg hinunter zu den Ställen.

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