Kapitel 12: Fest der Vortäuschungen

85 11 0
                                    

Ich brauchte fast eine halbe Stunde bis ich in meinen Gemächern angekommen war. Ich hatte mich von Wand zu Wand geschleppt und immer wieder eine Pause einlegen müssen, da ich leicht unter Schock stand.
Nevary hatte sich so verändert seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.
Mir wurde schmerzlich bewusst, dass ich nicht den Hauch einer Chance gegen meinen kleinen Bruder hatte. Er hatte seine Fähigkeiten als Magier ausgebaut und so brauchte er noch nicht mal die Kraft des Drachen, um einen Menschen mit einem Wink durch die Luft zu schleudern.
Das Volk hatte recht. Sie konnten ihre Hoffnungen nicht in mich legen. Ich war ein jämmerliches Nichts. Mit Kräften, die ich mich nicht traute zu nutzen.
Insgeheim wusste ich bereits seit Tagen, dass meine Drachenseele das einzige war, was Nevary besiegen könnte. Doch ich fühlte mich nicht bereit. Für gar nichts.

Ich öffnete die Tür zu meinen Zimmern und schickte die verdutzten Dienerinnen weg und ließ mich auf den Boden sinken.
Meine Lungen waren zwar wieder frei und ich bekam genug Luft, aber dafür schmerzte mein Bauch höllisch. Die klaffende Wunde wollte einfach nicht aufhören zu brennen.
Zähne zusammenbeißend zog ich mich am Waschtisch nach oben und blickte in dem runden Spiegel.
Meine Wange war vom Aufprall gegen die Wand dick und rot und schmerzte, wenn ich meine Mimik änderte.
Ansonsten war es nur die Bauchwunde, die für Aufsehen sorgen könnte.
Ich schälte mich aus der ramponierten Kleidung und wischte das Blut von meinem Bauch.
Da der Ball in wenigen Minuten beginnen würde, verband ich das Ganze provisorisch und puderte mein Gesicht dick ein um die Rötung zu vertuschen.
Anschließend schlüpfte ich ein tannengrünes weites Ballkleid, welches am Saum und am hochgestellten Kragen eine hellgrüne Borte hatte. Zum Glück fand ich ein passendes grünes großes Tuch welches ich mir von hinten über die Arme legte, sodass die Enden nach vorne über den Bauch fielen.
Wenn die Wunde weiter bluten würde, vielleicht sogar mein Kleid rot färben würde, so konnte ich sie mit dem Tuch verdecken.
Abschließend steckte ich meine dunkelbraunen Haare mit einer Brosche nach oben. Ich war froh, dass ich heute als adeliger Gast auf dem Ball sein würde und nicht als Leibwache. Denn dann hätte ich die Rüstung tragen müssen, welche immer leicht auf die Wunde drückte.

Mit schweren Schritten und etwas wackelig auf den Beinen kam ich bei der runden doppelflügeligen Tür an, die zum Ballsaal führte. Zwei Diener verneigten sich und schwangen die Türhälften gleichzeitig nach innen auf.
Musik und Tanz schwappte mir entgegen.
Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge, die sich angeregt unterhielt und strebte auf die großen Fenster zu.
Ich schritt an Damen und Herren in kunstvollen Roben vorbei, die nach ihrem Aussehen zu urteilen weder aus Alayron noch Nuvyenne stammen konnten. Noch nie war ich auf einem Fest mit so vielen Kulturen gewesen.
Im hinteren Bereich erkannte ich Sargu von Ristorak und Pyero, die sich angeregt unterhielten. Als der Prinz von Alayron mich entdeckte winkte er mich heran, aber ich lief weiter zu den Fenstern, denn hier konnte ich besser Atmen und hatte einen fantastischen Blick über Lumres und das angrenzende Meer.
Wie gerne würde ich mich auf ein Schiff begeben und dem Horizont entgegen segeln ohne Gedanken an die Vergangenheit, die Zukunft oder die Gegenwart.
Einfach ohne Regeln, wie so viele Freibeuter.

Ein lautes Räuspern erklang und die Gäste verstummten.
Es war der Dirigent des Orchesters, welches sich von mir aus gesehen rechts in einem Eck befand.
Der Mann klopfte mit einem Stab dreimal hart auf die Fliesen und erhob das Wort.
"Meine edlen Damen und Herren aus Alayron, Ristorak, Laenda und Nuvyenne. Ich heiße sie herzlich Willkommen auf dem Abschiedsball von Prinz Sargu von Ristorak.
Wenn ich Ihnen nun die Hausherren präsentieren darf?!" - die Flügeltüren öffneten sich - "eure Majestäten Königin Skylar von Alayron und König Nevary von Nuvyenne."
Einige Menschen verneigten sich, andere nickten nur anerkennend. Je nach Stand in dem jeweiligen Heimatland.
Nevary begrüßte alle und erzählte noch etwas, aber ich schaltete komplett ab ud starrte ihn nur teilnahmslos an.
Er war so perfekt. Ließ sich nichts von dem Kampf anmerken. Selbst als sein Blick meinen streifte lächelte er. Doch ich sah den Hass in seinen Augen. Mir würde er nichts vormachen können.
Doch als ich mich umblickte sah ich auch einige Gesichter, die keine Nettigkeiten zeigten.
Es war nur Schein. Diese ganze Welt war zum kotzen. Jeder war nur auf seinen eigenen Vorteil aus und nutzte die anderen Königshäuser schamlos aus.
Nevary eröffnete die Tanzfläche und das Orchester begann zu spielen. Bauschige Röcke drehten sich, Haare flogen. Es war ein Bild, was nicht recht passen wollte.
Ich hatte keine Lust zu tanzen, eine Show abzuspielen. So zu tun als wäre alles wunderbar. Abgesehen davon betäupte meine Wunde meine Sinne. Sie schmerzte so sehr, dass alle anderen Wahrnehmungen, wie durch einen Schleier bei mir ankamen.

Zu allem Überfluss kam Nevary auch noch auf mich zu und legte seinen Arm um meine Schultern, wodurch er merkwürdige Blicke erntete.
Ich war mir nicht sicher wie viele der Anwesenden wussten wer ich war.
Schließlich war ich sechs Jahre untergetaucht gewesen und hatte mich stark verändert.
Angewidert drehte ich mich aus seiner Umarmung und trat etwas zurück.
"Schwesterchen was hast du denn?!", fragte er besorgt. Den ironischen Unterton konnte ich aber deutlich vernehmen.
"Die Welt hasst dich", fauchte ich. "Merkst du das denn nicht? Alle um dich herum würden dich am liebsten töten!"
Nevary brach ich schallendes Gelächter aus.
"Du tust ja so, als wäre das ein großes Geheimnis, welches du mir nun verraten hast... Salira meinst du ich weiß das nicht? Und weißt du was: ich liebe es. Ich bekomme was ich will und der Rest interessiert mich herzlich wenig. Sie haben Angst und wissen, dass sie eh keine Chance haben. Ich bin der stärkste Magier in ganz Agäa.
Du meine Liebe wärst die einzige ansatzweise ebenbürtige Gegnerin. Wenn du nur dein Schicksal akzeptieren würdest...
Aber nun gut. Ich feiere dann mal weiter. Meine Gäste warten auf mich."
Nevary schritt davon und ließ mich sprachlos stehen.
Wie konnte er nur so dreißt, brutal, egoistisch und herausfordernd sein? Aus seinem Mund klang es fast so, als würde er sich gerne mit mir messen. Vielleicht weil er die Herausforderung liebte, oder weil er meine Macht doch noch irgendwie erlangen wollte.
Ich durfte mich nicht provozieren lassen. Er war ein Trickser. Jedes Wort hatte einen tieferen Sinn.
"Hey alles in Ordnung bei dir?", riss Pyero mich aus meinen Gedanken.
Er legte einen Arm auf meine Schulter und ließ mich so zusammenzucken, wodurch er nur noch verwirrter dreinblickte.
Ich nickte zögerlich. Wusste keine passende Antwort.
"Komm ich bringe dich auf andere Gedanken. Lass uns tanzen." Er wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern zog mich zwischen alle anderen und legte einen Arm auf meine Schulter und die andere an meine Hüfte.
Ich ging ebenfalls in Tanzstellung.
Langsam drehten wir uns im Kreis.

Lied um Lied strich an uns vorbei. Ich fühlte mich sicher bei ihm. Wie in einer wohlig warmen Trance, die mich in eine andere, nevaryfreie Welt zog.
Seine Hände lagen warm und behüten auf mir. Er war vorsichtig, hatte wohl Angst etwas falsch zu machen. Ich legte meinen Kopf auf seine Schulter und schloss die Augen und genoss die Nähe eines Menschen. Schon zu lange war ich für mich alleine gewesen. Erst jetzt merkte ich, wie sehr ich das alles vermisst hatte. Die Tänze, die Musik und andere Menschen, die man mochte, wenn nicht sogar mehr als dies... Über all das vergaß ich meine Schmerzen und die Zeit.

Es war bereits dunkel und Kerzen wurden überall im Raum aufgestellt und angezündet, als Pyero plötzlich wieder besorgt dreinblickte und mich eilig in eine ruhige Ecke zog.
"Was ist wirklich passiert heute Nachmittag Salira?" Ich verstand die unerwartete Frage nicht und wollte mich eigentlich auch gar nicht damit beschäftigen. Deswegen blockte ich ab und antwortete schlicht:" Nichts, alles in bester Ordnung".
Pyero runzelte die Stirn. "Das sieht für mich aber bei weitem nicht nach Nichts aus." Dabei deutete er auf meine Bauch.
Ich senkte meinen Blick und schob das Tuch beseite. Geschockt musste ich sehen, dass mein Kleid dunkelrot gefärbt war. Beim Drehen im Tanz musste er es gesehen haben.
Er merkte wie unangenehm mir das war und führte mich aus dem Ballsaal.
"Komm mit. Ich werde dir helfen und wenn du dann Lust hast, kannst du mir alles erzählen."
Ich nickte und zusammen, Hand in Hand liefen wir den düsteren Gang entlang zu seinen Gemächern.

Time to ReignWhere stories live. Discover now