Kapitel 23: Eines Tages muss jeder bezahlen

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Die Sonne schien in langen Strahlen durch die großen Fenster des Thronsaales. Mit der Nacht war auch die Unwirklichkeit der Geschehnisse verschwunden. Ich saß auf der untersten Stufe der Treppe und stützte meinen Kopf auf die gefalteten Hände. Ich starrte teilnahmslos auf die Leiche Dakos, die unberührt in der Lache seines eigenen Blutes lag.

Jetzt im Licht des Morgens glänzte das Blut in seiner natürlichen Farbe. Die Decke der Halle spiegelte sich in dem großen roten Fleck wider.

Ohne auch nur die geringste Bewegung hatte ich verweilt. Meine Gedanken waren leer gewesen, mein Herz schwer durch die Tat, die ich begangen hatte. Meine Wunden und schmerzenden Glieder waren wieder geheilt. Körperlich war ich bereit, aber meine Seele hing fest an diesen Geschehnissen.

Nun, da die Sonnenstrahlen Dako erreicht hatten, löste ich mich aus meiner Starre und lief zielstrebig auf dem leblosen Körper zu. Ein in der Sonne funkelnder Gegenstand hatte mein Interesse geweckt.

Ich kniete mich langsam neben ihn und nahm den Magieschlucker in meine rechte Hand. Dako hatte den Stein um den Hals getragen. Nun, da der Kopf von seinem restlichen Körper getrennt war, konnte ich die Kette ganz leicht an mich nehmen.

Ich hatte mich schon gefragt wohin das Amulett verschwunden war und hatte gehofft, dass Dako seine schmierigen Hände nicht von ihm hätte lassen können. Und er hatte mich nicht enttäuscht. Wie genau er nach der Schlacht auf der Brücke daran gelangt war, war mir egal. Nun hatte ich das wieder, was ich brauchte, um meinen Bruder zu besiegen ohne dass seine Macht für immer verloren gehen würde.

Gerade wollte ich aufstehen, als ich Schritte im Gang vor der offen stehenden Tür des Thronsaales vernahm. Ich blickte auf und sah direkt in die verdutzten Augen eines Ritters aus Nevarys Leibgarde. Er war abrupt stehen geblieben und wusste anscheinend nicht so recht, was er machen sollte. Dann plötzlich machte er auf dem Absatz kehrt und rannte den Flur entlang. Ganz sicher würde er Nevary warnen. Wieso hatte ich auch so lange gewartet?

Eilig kam ich auf die Füße, schnappte mir mein Schwert und den Magieschlucker und hastete dem Schergen hinterher. Ich rutschte fast auf den glatten Fliesen aus, so schnell sprintete ich auf den Gang hinaus und den Weg entlang, den der Ritter vor mir hinter sich gebracht hatte. Weit entfernt sah ich den Mann um eine Ecke biegen und ich wusste wohin er wollte. Sein Ziel waren die Stallungen.

Mit einem Satz sprang ich die Stufen hinab in die Stallgasse und rannte zwischen den Boxen hindurch hinaus in den Hof. Direkt am Ausgang machte ich Halt und starrte auf den panisch wirkenden Ritter, der Nevary eilig etwas zusprach. Dieser schickte den Mann mit einer genervten Handbewegung fort und wendete seinen Kopf ganz langsam. Sein Blick so düster wie die dunkelste Nacht und voller unbändigem Hass traf in meine eisblauen Augen.

Keine Gesichtsregung verriet seine Gedanken in diesem Moment. Mein Körper bebte vor Anspannung, Angst und Anstregung. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Zielstrebig umfasste ich den Griff meines Schwertes und zog es mit einem sirrenden Geräusch aus der Scheide. Das Metall reflektierte das Licht der Sonne und ließ es funkeln. Doch meine Konzentration galt ganz meinem Bruder.

„Dann ist es nun also soweit", erhob er das Wort. Seine Stimme war monoton und völlig entspannt kam er auf mich zu. Ich fühlte mich total lächerlich, so aufgebracht und panisch wie ich war.

Er ließ seinen Mantel von seinen Schultern gleiten. Er fiel auf den staubigen Boden hinter ihm. Geschmeidig zog auch er sein Schwert welches ebenfalls mit Raben am Griff verziert war. Nevary ließ es locker nach unten hängen, die Spitze streifte den Boden und verursachte ein kreischendes Geräusch.

Noch immer trennten uns viele Meter von einander, denn er hatte genau auf der gegenüberliegenden Seite des runden Innenhofes gestanden.

„Ich hoffe, dass der Kampf mit meinem ersten Ritter dir nicht zu viele Kräfte abverlangt hat. Ich danke dir übrigens, dass du mir diese kleine lästige Fliege vom Hals geschafft hast. Er war auch zu Nichts fähig. Dako konnte ja nicht mal ein kleines Attentat richtig durchführen, geschweige denn dafür sorgen, dass du mir aus den Augen geschafft wirst, jetzt wo du dein Kräfte erweckt hast."

Ich war fassungslos wie gleichgültig ihm der Tod von Dako war. Der Ritter hatte für seinen Herrn wirklich alles getan. Am Ende hatte er sogar für Nevarys Sache sein Leben gelassen. Doch das interessierte meinen Bruder nicht im Geringsten.

Ich ignorierte seine letzten Worte und kam zurück zu dem ersten Satz, mit dem er mich begrüßt hatte. „Ja Nevary, es ist nun soweit", meine Stimme klang erstaunlich fest und zielstebig. „Ich werde dich hier und jetzt aufhalten. Deinem grausigen Treiben ein Ende setzen und der Welt den lang verdienten Frieden bringen. Zu lange schon habe ich mich davor gedrückt. Glaube mir liebster Bruder: ich bin bereit, das zu tun, was nötig ist, um dich aufzuhalten."

Nevarys abscheuliche Lache dröhnte in meinen Ohren. Er gab sich stark und unantastbar, aber sah ich da in seinen Augen so etwas wie Furcht aufblitzen? Sicherlich wusste mein Bruder, dass ich nicht so schwach war, wie die letzte Zeit. Zwar hatte er zwei starke Fähigkeiten: die Drachenseele und seine Magierkräfte, aber ich hatte die reine Macht des Drachen und er nur die düsteren Fetzen, die seine eigene Seele einhüllten und ihn zu dem Monster machten, welches er seit dem Erwecken seiner Macht geworden war.

„Dann lasst uns doch beginnen und das Unvermeidbare nicht noch weiter herauszögern." Er hatte Recht. Noch immer stand ich am Eingang zum Stall, während er die Hälfte des Weges zu mir schon hinter sich gebracht hatte.

Doch würde mir sicher nicht anmerken lassen, dass ich zögerte. Denn das wäre Schwäche und Nevary wartete doch nur auf so etwas wie Angst.

„Ja worauf wartest du dann?", gab ich deswegen frech zurück. Als Antwort hob Nevary seinen rechte Hand an und mit ihr begann ein großer Heuwagen zu schweben, der hinter ihm an der Steinwand gestanden hatte.

„Fang", schrie er mir grinsend zu, bevor er den Wagen samt geladenen Inhalt auf mich zuschleuderte. Ich machte eine Rolle über den Boden zur Seite und konnte dem schweren Geschütz gerade von entgehen. Während ich mich aufrappte, hob ich einen Heuballen in die Luft und warf diesen zu ihm zurück. Ich hatte gehofft, dass meine Reaktion schnell genug gwesen wäre, um meinen Bruder zu treffen, aber dieser machte nur einen Wink zur Seite und das Heu landete einige Meter entfernt am Boden.

„Das kannst du doch wohl auch besser oder?", forderte Nevary mich heraus. Mit zusammengebissenen Zähnen umfasste ich mein Schwert fester und stürmte auf meinen Bruder zu. Schnell war ich bei ihm angelangt und schwang meine Waffe. Er duckte sich geschickt unter dem Schlag weg und griff mich an. Gerade so konnte ich seinen Schlag, der mit so viel Wucht kam, abfangen. So standen wir uns gegenüber. Schwert an Schwert. Keiner wollte zuerst nachgeben. Schweiß ran meine Stirn hinab, während ich mich mit aller Kraft gegen das Gewicht seiner Waffe lehnte. Er war unglaublich stark und mit viel Durchhaltevermögen versehen. Es schien ihn nicht Mal ansatzweise Anzustrengen.

„Wie konntest du unserer Familie das nur antun?", brachte ich keuchend zwischen den Zähnen hervor. Ich wollte ihn konfrontieren, mit allem, was er je Grausames getan hatte und ihn so eventuell für eine Sekunde ablenken.

„Du hast unsere Heimat zerstört, Unschuldige ihrer Angehörigen beraubt und unsere Eltern ermordet. Seit dieser einen Nacht leben Tausende in Angst. Kummer und Armut regiert die Welt. Wieso hast du das nur getan? Wie kann man nur so hasszerfressen und gnadenlos sein? Es waren auch deine Eltern! Hörst du: du hast deine eigene Familie ermordet." Die letzten Worte schrie ich nur noch heraus. Tränen rannen über mein Gesicht. Es waren aber keine Tränen der Trauer mehr. Nein zu lange hatte ich schon das bedauert, was in jener Nacht passiert war. Nun spürte ich nur noch puren Hass in mir brodeln. Wütend blickte ich in das Gesicht meines Bruders, denn ich wollte seine Reaktion sehen. Er war auf einmal ganz still geworden. Seine Augen wirkten leicht glasig, so als würde er kurz davor stehen zu weinen. Er hatte anscheinend den jetzigen Moment vollkommen vergessen, auch wenn er noch genauso wie vor wenigen Sekunden Druck auf mein Schwert ausübte. Doch sein Blick ging in die Ferne. Er schien mit den Gedanken weit weg zu sein. Während er so vor sich hinstarrte drangen flüsternde Worte aus seinem sonst regungslosen Gesicht. „Du weißt doch gar nicht was in jener Nacht wirklich geschehen ist."

Was sollte das jetzt heißen? Es klang fast so, als wäre das alles nicht seine Schuld gewesen. Gerade wollte ich ihn fragen, was er damit meinte, als er seinen Blick wieder auf mich richtete. Die kurzzeitige Schwäche in seinem Ausdruck war verschwunden.

„Ich werde dich vernichten", fauchte er, bevor er ruckartig von meinem Schwert abließ und zur Seite sprang, dass ich fast nach vorne umgefallen wäre. So schnell konnte ich gar nicht wieder in einen festen Stand kommen, schon schlug er auf mich ein und ich wusste: er würde keine Gnade zeigen.

Time to ReignWhere stories live. Discover now